Bernd Scherer vom Bankhaus Lampe Lohnt sich Diversifikation in der Krise?

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Wir können uns diesen Zusammenhang auch grafisch veranschaulichen. Stellen wir uns einen Anleger in europäische Aktien vor. Dieses Anlage-Universum wird durch den MSCI Europe dargestellt. Der Investor will über die Emerging Markets diversifizieren. Deren Universum stellen wir durch den MSCI Emerging Markets Index dar. Wie hoch ist der erwartete Diversifikationsvorteil in einer Krise? Wir benutzen wöchentliche Renditen für die Periode Januar 2000 bis Juli 2020 und berechnen halbjährlich Volatilitäten und Korrelationen aus den jeweils vorangegangenen 26 Wochen. Geben wir diese Werte in unsere Formel für den erwarteten Vorteil eines diversifizierten Portfolios (Anm. d. Red.: berechnet über das sogenannte Sicherheitsäquivalent), erhalten wir den unten dargestellten Chart.

Wir unterstellen dabei eine mittlere Risikoaversion (ausgehend von einer fünfstufigen Skala). Je höher (kleiner) die Risikoaversion, desto höher (niedriger) liegt die gezeigte Kurve. Entgegen dem üblichen Narrativ, dass die Diversifikation in der Krise zusammenbricht, zeigt sich, dass der Diversifikationsvorteil in der Krise besonders hoch ist. Dies galt für jede einzelne Krise der vergangenen 20 Jahre.

Erwartete Diversifikationsvorteile steigen während des Sell-offs im Jahr 2000, der Finanzkrise 2008, der Euro-Krise 2012 oder der jüngsten Corona-Krise 2020 sprunghaft an. In ruhigen Märkten, also wenn Volatilitäten niedrig sind, ist der Diversifikationsvorteil geringer.

Natürlich gilt auch für ein diversifiziertes Portfolio, dass in Krisenzeiten größere Verluste angenommen werden können als in normalen Zeiten. Das bedeutet aber nicht, dass Diversifikation weniger vorteilhaft ist. Hohe zusätzliche Verluste schmerzen hingegen besonders. Das ist das Kernempfinden eines risikoaversen Investors.

  Quelle: Bankhaus Lampe

In der Realität haben viele Privatkunden wahrscheinlich weniger den Vorteil der Diversifikation überschätzt, sondern eher ihren Risikoappetit. Ihre Risikotoleranz ist geringer als sie dachten. Das ist wohl die wichtigste Lehre für viele Privatanleger.

Daher haben die Auswirkungen der Corona-Krise leider tiefe Spuren in manchen Depots hinterlassen. Fast wie aus dem Behavioural-Finance-Lehrbuch haben Anleger das Eintreten von ExtremEreignissen (Teil-Zusammenbruch von Wirtschaft und Gesellschaft) überschätzt und die Entwicklung im März extrapoliert. Hier waren starke und erfahrene Kundenberater gefragt.


Über den Autor:
 
Bernd Scherer ist seit März 2019 Geschäftsführer von Lampe Asset Management, einer Tochtergesellschaft des Bankhauses Lampe. Dort ist der promovierte Ökonom unter anderem für die Themen Portfoliokonstruktion und Risikoanalyse zuständig. Beim Bankhaus Lampe ist er bereits seit 2017, war zunächst Leiter Produktentwicklung Asset Management und anschließend Leiter Wealth Solutions.

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