1. Vom Arbeiterenkel zum Spitzenbeamten
Geboren am 21. Februar 1968, wuchs Jörg Kukies als Sohn eines IBM-Elektroingenieurs und Enkel einer Fabrikarbeiterin in der Schellenmühle im Schwarzwald auf. Seine Kindheit verbrachte er teilweise in San José, Kalifornien, wo sein Vater für IBM arbeitete.
Die SPD-Prägung kam aus dem Elternhaus. Seine politischen Wurzeln liegen in der Juso-Bewegung: Anfang der 90er Jahre führte er als Landesvorsitzender die Jusos in Rheinland-Pfalz an, organisierte Anti-Atomkraft-Demos und fuhr mit der Lederjacke auf dem Motorrad zu Parteitreffen.
2. Der akademische Aufstieg
Seine Ausbildung führte ihn durch Europas Elite-Universitäten: Erst VWL-Studium in Mainz, dann an der Pariser Sorbonne. 1995 erhielt er das prestigeträchtige McCloy-Stipendium für Harvard – einer von nur sechs deutschen Stipendiaten pro Jahr.
1997 schloss Jörg Kukies seine akademische Laufbahn mit der Promotion an der University of Chicago ab. Seine Themen: „The effects of introducing a new stock exchange on the IPO process and venture capital financing“ und „Stock Markets for High-Technology Firms and Venture Capital Financing: Evidence from Europe“.
3. Der Goldman-Sachs-Einstieg
Mit 33 Jahren startete er bei der US-Investmentbank Goldman Sachs. In der Abteilung „Global Securities“ entwickelte er komplexe Anlageprodukte für institutionelle Investoren: Pensionskassen, Landesbanken und Versicherungen.
Anders als die Deal-Maker im „Corporate-Bereich“ arbeitete er im Stillen an Derivaten, Optionen und strukturierten Finanzprodukten. Seine Arbeitsweise: akribisch, zahlengetrieben, erfolgreich – „bis der Arzt kommt“, wie Ex-Kollegen berichten.
4. Der Investment-Chef
2014 wurde er zusammen mit Alexander Dibelius Co-Vorsitzender für Deutschland und Österreich. Während Dibelius als schillernder Deal-Maker die Wirtschaftsbosse beriet, managte Kukies die profitablere, aber diskretere Sparte der Finanzprodukte.
Trotz seiner Führungsposition blieb er bescheiden. Sein Geld legte Kukies nach eigenen Angaben konservativ an, etwa in Immobilien seiner Heimatstadt Mainz.
5. Der Wechsel in die Politik
2018 warb Olaf Scholz den damals 50-jährigen Top-Banker als Staatssekretär ins Finanzministerium ab. Das Vorstellungsgespräch in der Hamburgischen Landesvertretung geriet zum stundenlangen Fachgespräch über Euro-Rettungsschirm, Bankenunion und Finanzmarktregulierung.
Kukies' Antwort auf Kritiker: „Nirgendwo auf der Welt werden Lebensläufe wie meiner so diskutiert wie in Deutschland.“
6. Der Finanzmarkt-Reformer
Als Staatssekretär setzte er sich für einen Provisionsdeckel bei Lebensversicherungen ein. Seine klare Position: „Es ist bedauerlich, wenn manche das Interesse an hohen Provisionssätzen über das Interesse der Altersvorsorge stellen.“
Für die Reform der Altersvorsorge orientiert er sich am schwedischen Modell: Ein staatlich organisiertes, digitales und kostengünstiges System, das besonders Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen zugutekommen soll.
7. Der Kanzleramt-Stratege
Seit 2021 leitete er im Kanzleramt gleich zwei Schlüsselabteilungen: Wirtschafts-, Finanz- und Klimapolitik sowie Europapolitik. Als deutscher „Sherpa“ verhandelte er die Abschlussdokumente der G7- und G20-Gipfel.
Ein diplomatischer Erfolg: Beim G20-Gipfel in Bali 2022 gelang es ihm, eine klare Verurteilung des russischen Angriffskriegs im Abschlussdokument zu verankern – auch China stimmte zu.
8. Der unermüdliche Detailarbeiter
Jörg Kukies' Arbeitsweise ist legendär: Keine Lücke im Kalender, keine Pause zwischen Terminen. Selbst auf Dienstreisen füllt sein Team jede wache Stunde.
Bei einer 21,5-Stunden-Reise nach Harvard schaffte Kukies eine Konferenzrede, Treffen mit der deutschen Botschafterin, Gespräche mit Professoren und Start-up-Investoren - und sein obligatorisches Morgenjogging um 6:30 Uhr.
9. Der internationale Verhandler
Als „Sherpa“ verhandelte er die kompliziertesten internationalen Abkommen. Seine Stärke dabei: die Verbindung von Zahlenverständnis und diplomatischem Gespür.
Der spieltheoretische Lehrsatz seines Harvard-Mentors Richard Zeckhauser prägt bis heute sein Handeln: „If you can't solve a problem, go to extremes “ – wenn du keine Lösung findest, gehe bis zum Äußersten.
10. Der Modernisierer
Sein vielleicht wichtigstes Reformprojekt: die Einführung elektronischer Wertpapiere auf Kryptobasis. Das Ziel: Deutschland zum führenden Krypto-Finanzplatz Europas zu machen.
Gleichzeitig kämpft Jörg Kukies für eine Reform der Altersvorsorge nach schwedischem Vorbild – kostengünstig, digital und sozial ausgewogen. Seine Vision: ein modernerer, effizienterer Finanzplatz Deutschland.
11. Der Privatmensch
Kukies' internationale Prägung begann früh durch die Auslandsaufenthalte seiner Familie. Der verheiratete Vater einer Tochter schirmt sein Privatleben bewusst ab.
Als Staatssekretär verzichtet er auf jeglichen Büroschmuck – nicht einmal ein Familienfoto stehe auf seinem Schreibtisch, heißt es.
Seine Leidenschaft für Sport zeigt sich in seiner treuen Anhängerschaft zum 1. FSV Mainz 05. Er selbst ist ein passionierter Läufer. Seine Marathon-Bestzeit ist beeindruckend: In seiner Harvard-Zeit lief er die 42,195 Kilometer in 2 Stunden und 47 Minuten.
Ausblick: Was von Jörg Kukies zu erwarten ist
Als Finanzminister bringt Jörg Kukies eine seltene Kombination mit: internationale Bankerfahrung, tiefes Verständnis für Finanzmärkte und sozialdemokratische Wurzeln. Seine Prioritäten dürften darin liegen, die bereits angestoßenen Reformen und Gesetze zu Ende zu bringen und das Ministerium zu stabilisieren.
So er denn in seiner kurzen Amtszeit Gelegenheit dafür bekommt.
Bekannt für seine Akribie und Detailversessenheit, wird Jörg Kukies diese Aufgaben sicherlich mit der gleichen Intensität angehen wie alle bisherigen Herausforderungen. Allerdings nicht mehr wie bisher als „Schattenmann“, sondern im politischen Rampenlicht.
Quellen für diesen Artikel:
- Melanie Amann und Martin Knobbe, in spiegel.de: „Das zweite Gehirn des Kanzlers“, 16.12.2022
- Martin Greive und Felix Holtermann, in Handelsblatt: „Der Kanzler-Einflüsterer“, 7.12.2021
- Georg Meck, in faz.net: „Der Banker in der Regierung“, 13.4.2019