Lehren aus der Verhaltensökonomie Wie Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte Haftungsrisiken vermeiden

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Stellen Sie sich vor…

Die moderne Verhaltensökonomie bietet aber auch ein Gegenmittel gegen die immanente Selbstüberschätzung des Menschen, das auch Organen helfen kann, ihr Haftungsrisiko zu vermindern:  Die sogenannte Prä-Mortem-Analyse, bei der die Organe vor einer Entscheidung folgende Aufgabe lösen müssen: „Stellen Sie sich vor, wir sind ein Jahr weiter. Das beabsichtigte Projekt wurde durchgeführt und ist katastrophal gescheitert. Schreiben Sie bitte in 5 bis 10 Minuten auf, was die Gründe für das Scheitern waren.“ 

Die so herausgearbeiteten Risiken werden dann in einem zweiten Schritt darauf untersucht, wie hiergegen im Plan ausreichend Vorsorge getroffen werden kann.

Die Auseinandersetzung mit einem möglichen Scheitern eines beabsichtigten Projekts ist das geeignete Mittel, um den angeborenen Optimismus zu bekämpfen. Dies bedeutet nicht, dass Projekte, die scheitern können, nicht durchgeführt werden sollen. Selbstverständlich sollen Unternehmer Risiken eingehen. Dies müssen sie auch, und auch der Gesetzgeber hat dies erkannt.

Allerdings erwartet auch der Gesetzgeber, dass der Unternehmer die Risiken erkennt und soweit möglich Vorsorge trifft. Die Prä-Mortem-Analyse dient zur Identifizierung möglicher Risiken und bietet die Möglichkeit, anschließend sachgerechte Lösungen zu entwickeln.

So ist es den Organen möglich, vor allem Risiken zu identifizieren, die im Falle ihrer Realisierung das Unternehmen als Ganzes bedrohen könnten. Dies gilt gerade bei der Entscheidungsfindung in Gruppen, wie zum Beispiel dem Aufsichtsrat. Denn die Gefahr des Gruppendenkens, dem kritiklosen Übernehmen der Meinung eines dominanten Gruppenmitglieds, besteht immer. 

Bei der Risikoanalyse kommt es weniger darauf an, wie wahrscheinlich der Eintritt des betreffenden Risikos ist. Denn eine weitere Erkenntnis der modernen Verhaltensökonomie ist, dass der Mensch Wahrscheinlichkeiten nur sehr unzureichend einschätzen kann.

Was er aber einschätzen kann, ist der Schaden, der im Falle einer Realisierung des Risikos droht. Vorausschauende Organe bemühen sich also, die Risiken im Vorwege zu erkennen, die das Unternehmen gefährden könnten.

Vorsorge durch Aufschreiben

Aus juristischer Sicht ist dem hinzuzufügen, dass die Dokumentation der Entscheidungsfindung für einen späteren Regressprozess von immanenter Bedeutung ist. Immer wieder scheitern die insoweit beweisbelasteten Organe vor Gericht daran, zu beweisen, dass sie sich ausreichende Gedanken gemacht haben.

Ob nun im Rahmen einer Prä-Mortem-Analyse oder auf andere Weise: Die Organe müssen in der Lage sein, zu belegen, dass sie die notwendigen Informationen zur Verfügung hatten und auf ihrer Basis entschieden haben. Dies sollte unbedingt verschriftet werden. Haftungsprozesse werden in den meisten Fällen nach Ausscheiden des Organs geführt, zu einem Zeitpunkt also, zu dem das Organ auf interne Unterlagen nicht mehr zugreifen kann.

Allerdings klingt die Prä-Mortem-Analyse einfacher als sie in der Praxis ist. Beim Coaching von Mandanten stellen wir immer wieder fest, dass es erheblicher Anstrengungen bedarf, bis sich Geschäftsführer, Vorstände oder Aufsichtsräte daran gewöhnen, sich länger mit der Frage des Scheiterns zu beschäftigen.

Wie eingangs erwähnt, gibt es allerdings 4 Milliarden gute Gründe dafür, diesen Aufwand zu betreiben. 


Über den Autor:
Dr. Frank Koch ist Partner der internationalen Wirtschaftssozietät Taylor Wessing. Er ist auf die Beratung bei gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen und Organhaftungsklagen spezialisiert.

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