Lehren aus der Verhaltensökonomie Wie Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte Haftungsrisiken vermeiden

 Frank Koch ist Partner der internationalen Wirtschaftssozietät Taylor Wessing

Frank Koch ist Partner der internationalen Wirtschaftssozietät Taylor Wessing

4 Milliarden Euro – auf diese Summe schätzt Michael Hendricks, Geschäftsführer der auf Organ- und Managerhaftpflichtversicherung (D&O) spezialisierten Beratung Hendricks & Co. in Düsseldorf die Auszahlungen und Rückstellungen der Versicherer zwischen 2011 bis 2015. Dies bedeutet eine Verdoppelung im Vergleich zu den Zahlen zwischen 2001 und 2005.

Organhaftung ist also ein reales Thema und nimmt an Bedeutung zu. Einer der Gründe dafür ist, dass mittlerweile auch die Insolvenzverwalter erkannt haben, dass es D&O Versicherungen gibt. Es gehört deshalb zum natürlichen Reflex eines Insolvenzverwalters, zunächst zu prüfen, ob er nicht die Organe für das Scheitern des Unternehmens in Anspruch nehmen kann.

Dabei wird häufig übersehen, dass diese Haftung nicht nur den Geschäftsführer oder Vorstand betrifft, sondern auch die Mitglieder des Aufsichtsrats. Diese haften gemäß Paragraf 116 des Aktiengesetzes (AktG) nach denselben Grundsätzen wie der Vorstand. Diese Regelung gilt auch entsprechend für Aufsichtsräte einer GmbH (Paragraf 52 des GmbH-Gesetzes).

Die Haftung des Aufsichtsrats droht beispielsweise bereits dann, wenn er ohne ausreichende Prüfung den Jahresabschluss der Hauptversammlung vorlegt oder es unterlässt, seinerseits Regressansprüche gegen den Vorstand zu prüfen und durchzusetzen.

Vorsicht vor Besserwissern

Auch für den Aufsichtsrat gilt das Privileg der sogenannten Business Judgement Rule (BJR). Danach sind unternehmerische Entscheidungen, die zum Wohle der Gesellschaft auf Basis einer angemessenen Entscheidungsgrundlage und im Rahmen der Gesetze erfolgen, einer späteren Bewertung durch die Gerichte entzogen.

Durch diese Regelung wollte der Gesetzgeber das unternehmerische Ermessen stärken und verhindern, dass Gerichte sich nach Schadenseintritt als nachträglicher Besserwisser gerieren. Allerdings zeigt die zunehmende Anzahl von Schadensfällen im Bereich der D&O-Versicherung, dass die BJR in der Rechtswirklichkeit nicht unbedingt ein sicherer Hafen für die Organe ist.

Michael Hendricks schätzt, dass derzeit rund 6.000 Managerhaftungsverfahren vor den deutschen Gerichten anhängig sind. Gleichwohl finden sich nur wenige veröffentlichte Entscheidungen zur Organhaftung, da ein Großteil der Verfahren durch einen Vergleich beendet wird. Untersucht man aber die in den einschlägigen Fachzeitschriften veröffentlichten Entscheidungen, so lässt sich doch ein aufschlussreiches Bild über die Organhaftung in der Praxis gewinnen.

Obsolete Schutzvorkehrung

Aus den zwischen 2004 und 2014 veröffentlichten Entscheidungen zur Organhaftung lässt sich zunächst ableiten, dass in 65 Prozent der Fälle das Organ tatsächlich verurteilt wird. Das deutlich höhere Risiko einer Verurteilung liegt also trotz Privilegierung durch die BJR beim Organ.   

Warum verweigern die Gerichte den Schutz durch die BJR? Auch hier gibt es eine eindeutige Tendenz: In 69 Prozent der Verurteilungen ist das Gericht der Auffassung, dass das handelnde Organ nicht auf einer ausreichenden Informationsgrundlage gehandelt habe. Die Einhaltung von Satzung und Gesetzen oder das Handeln zum Wohle der Gesellschaft sehen die Gerichte dagegen deutlich seltener verletzt.

Nun stellt sich die Frage, warum ausgewiesene Experten immer wieder Entscheidungen fällen, ohne sich nach Ansicht der Gerichte ausreichend genug mit den Risiken und Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu befassen.

Hier geben die neuesten Erkenntnisse der Verhaltensökonomie Aufschluss. Bisher ging die herrschende Lehre davon aus, dass der Mensch ein „homo oeconomicus“ sei, ein Wesen, das stets die nützlichste Entscheidung auf vollständiger Informationsbasis fällt.

Die neueren Erkenntnisse belegen jedoch eindrucksvoll, dass der Mensch fehleranfällig ist. Vor allem neigt er zu einem unverhältnismäßigen Optimismus und zu einer Überschätzung seiner eigenen Fähigkeiten, was ihn immer wieder zu falschen Entscheidungen verleitet.

Dieser Befund der Verhaltensökonomie wird durch die Untersuchung der Verurteilungen bestätigt: So zeigt sich bei 50 Prozent der untersuchten Verurteilungen, dass das handelnde Organ das Risiko unterschätzt oder seine eigenen Fähigkeiten überschätzt und nicht den gebotenen Rat externer Berater eingeholt hat. Der Mensch neigt nun einmal dazu, zu glauben, es werde „schon gutgehen“ und blendet Risiken aus.