„Die Einführung der Künstlichen Intelligenz ist ein Megatrend. Für die Medien sogar ein Hype-Thema. Aufgrund der Komplexität der neuen Technologie sollten Menschen ohne große Kenntnisse des KI-Marktes aber besser auf einen breiten Korb an Titeln großer KI-Anbieter und deren Zulieferer setzen“, sagt LBBW-Analyst Guido Zimmermann.
LBBW-Analyst: „Netzwerkeffekte sind bei KI Fehlanzeige“
Zur Begründung verweist der Experte auf die Besonderheiten der neuen Technologie und ihrer kommerziellen Nutzung. Im Gegensatz zu anderen Tech-Segmenten wie Social Media ist es für die KI-Anbieter wesentlich schwieriger, eine Monopolstellung aufzubauen. „Netzwerkeffekte sind bei KI Fehlanzeige. Skaleneffekte erst zukünftig denkbar“, urteilt der Digitalisierungsexperte. Hinzu kommt der erhebliche Investitionsbedarf, der große und erfahrene Big-Tech-Konzerne mit tiefen Taschen gegenüber kleinen Fintechs Wettbewerbsvorteile verschaffe.
Sprechen wir von Künstlicher Intelligenz, meinen wir Generative KI (Generative Artificial Intelligence, kurz GenAI). Die bislang neueste Entwicklung von datengetriebenen KI-Methoden ist in der Lage, Texte, Bilder oder Musik „wie von Menschen gemacht“ zu erschaffen. Wie alle KI basiert auch GenAI auf maschinellem Lernen, also auf KI-Modellen, die anhand großer Datenmengen trainiert werden. Besonders vielversprechend sind sogenannte große Sprachmodelle (Large Language Models, kurz LLM), die mit nahezu allen im Internet verfügbaren Texten gefüttert werden und die die statistische Wahrscheinlichkeit der Abfolge von Worten berechnen, erklärt der Experte: „Ihre Antworten werden umso besser, je öfter Menschen bereits Texte zum gefragten Thema verfasst haben.“
Hat am Arbeitsplatz bald jeder seinen eigenen Co-Piloten?
„Die Qualität der Ergebnisse von KI-Anwendungen ist schon länger so gut, dass sie kommerziell genutzt werden. Denken Sie nur an Google Maps. Aber erst seit einem halben Jahr gibt es auch für die Allgemeinheit nutzbare Sprachmodelle“, fügt er hinzu. Entwickler und Start-ups mit neuen KI-Produkten lizenzieren die Nutzung der Sprachanwendungen, die sie mit ihren geplanten Anwendungen verknüpfen. Diese werden dann beispielsweise mit spezifischen Daten aus der Medizin oder dem Finanzsektor gefüttert und trainiert.
In Zukunft wird es also nicht nur eine selbständige KI-basierte Gesundheitsberatung via
Smartwatch geben, ist sich Zimmermann sicher. „Jeder Nutzer könnte über ChatGPT einen individualisierten Tutor bekommen, der ihn als ‚personal assistant‘ durch den Alltag begleitet. Beruflich wird wohl jeder Kopfarbeiter in Zukunft einen solchen spezifischen ‚Co-Piloten‘ haben, der ihm bei der Arbeit mit digitalen Inhalten hilft, egal ob bei Texten, Bildern oder Tönen.“
Weitere kommerzielle Anwendungen sind für Zimmermann bereits absehbar: Die zunehmende Verbreitung von GenAI hat zur Folge, dass Unternehmen stärker als bislang auf Cloud-Anwendungen setzen, weil ihnen zumindest die großen Cloud-Anbieter KI-Anwendungen zur Nutzung anbieten. Zumindest ein Teil von GenAI werde aber auch in Zukunft auf lokalen Rechnern laufen, sagt der Analyst voraus.
KI: weniger Gewinnpotenzial für Unternehmen als frühere Neuerungen
Jedoch warnt Zimmermann, deshalb zu optimistisch in KI-forschende Unternehmen zu investieren, die sehr spezifische Anwendungen anbieten. Besser sei ein Investment in Unternehmen, die aus funktionierenden Geschäftsmodellen heraus in das neue Geschäftsfeld KI expandierten. KI sei zwar der Haupttreiber für die Weiterentwicklung des Internets. Unklar sei aber, welche Anwendungen am Ende wirklich Gewinne abwerfen werden. Zugleich weist er darauf hin, dass neue Technologien wie KI oftmals mit spekulativen Übertreibungen an den Finanzmärkten einhergehen, die Anleger viel Geld kosten können.
Guido Zimmermann glaubt nicht, dass KI grundsätzlich so viel Gewinnpotenzial für die
Unternehmen birgt wie frühere Neuerungen der Informationstechnologie. „Von einer
General-Purpose-Technologie wie KI profitieren deren Nutzer stärker als deren Anbieter.
Es kann aber sein, dass KI bestehende Geschäftsmodelle von Unternehmen langfristig
so stark berührt, dass es deren Erträge explodieren oder zusammenbrechen lässt.“
Guido Zimmermann ist als Senior Economist seit 2007 im LBBW Research beschäftigt und verantwortlich für Fragen der Digitalisierung. Der promovierte Volkswirtschaftler veröffentlicht für das LBBW Research bereits seit 2016 Publikationen zum Thema Künstliche Intelligenz.