Absicherung Künstliche Intelligenz kann von steigenden und fallenden Kursen profitieren

Pablo Hess (l.) und Michael Günther, Entwickler und Portfoliomanager von Tungsten Capital

Pablo Hess (l.) und Michael Günther, Entwickler und Portfoliomanager von Tungsten Capital: „Die Consultingfirma McKinsey geht davon aus, dass maschinelle Intelligenz die globale Wirtschaftsleistung bis 2030 um circa 1,2 Prozent pro Jahr steigern kann.“

Die jüngsten Kursturbulenzen haben die Anleger aufgerüttelt. Viele Vermögensmanager, die sich in den letzten Jahren an ein Umfeld fallender Zinsen gewöhnt haben, beschäftigen sich jetzt mit einem Rebalancing ihrer Risiko-Assets. Aufgrund des Konflikts in der Ukraine, der in erster Linie eine menschliche Tragödie ist, laufen zudem neuerliche Schockwellen durch die Kapitalmärkte. Angesichts der aktuellen Lage dürfte klar sein, dass 2022 ein ruppigeres Börsenjahr wird. Zumal die aktuellen Inflationszahlen eine Geldschwemme seitens der Notenbanken im Umfang der vergangenen Jahre nicht erlauben.

Wohl dem, der in seiner Anlagestrategie über einen „eingebauten Rückwärtsgang“ verfügt, also ein Instrumentarium, um auch fallende Aktien- oder Anleihenmärkte für sich zu nutzen. Für viele ein Hoffnungsträger ist dabei der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI).

Intelligente Algorithmen

Die Consultingfirma McKinsey geht davon aus, dass maschinelle Intelligenz die globale Wirtschaftsleistung bis 2030 um circa 1,2 Prozent pro Jahr steigern kann. Die Leistungsfähigkeit von KI wird bei der Analyse großer Datenmengen bereits in zahlreichen Branchen erfolgreich genutzt. Auch in der Finanzindustrie ist das Thema ein Trend.


Allerdings hat KI seitens der Anbieter bei der Aktienauswahl oder gar der Steuerung von Asset Allocation-Modellen eine geringere Verbreitung, als man vermuten würde. Portfoliomanager, die Algorithmen zur Generierung von Investmententscheidungen einsetzen, dürfte es in Deutschland bislang höchstens ein Dutzend geben mit einem addierten verwalteten Vermögen (AuM) von weniger als einer Milliarde Euro. Welche Zahlenmengen ausgewertet werden, ist dabei von Anbieter zu Anbieter unterschiedlich. Einige setzen auf strukturierte Börsendaten, andere nutzen beispielsweise verfügbare Informationen aus dem Social Web.

Der Mensch gibt der künstlichen Intelligenz einen Rahmen

Gemein ist auf KI basierenden Fondsstrategien, dass sie im Vergleich zu traditionellen Methoden eine größere Anzahl und eine tiefere Durchdringung von Daten nutzen, um Muster zu erkennen und Kursprognosen zu erstellen. Die KI arbeitet dabei objektiv. Das heißt, der Mensch fungiert als Controller und setzt der maschinellen Intelligenz einen Rahmen, überlässt dieser aber - emotionsfrei - die Interpretation des Marktgeschehens. Im Falle unseres Multi-Asset long/short-Fonds, für den im abgelaufenen Jahr über 5.000 Börsentransaktionen auf Basis einer KI-Strategie getätigt wurden, gehen täglich eine siebenstellige Zahl an Finanz-, Umsatz- und Preisdaten in das System ein. Die Herausarbeitung von Handelsgelegenheiten bedarf einer weitaus höheren Rechenleistung als klassische Fondsansätze.

KI in der Praxis

Aufgrund geopolitischer sowie inflations- und zinsbedingter Risikofaktoren sehen wir derzeit einen Rückzug aus Aktien und anderen Assetklassen – die oftmals stark vom Verlauf der Aktienbörsen abhängig sind. Worauf es Anlegern nun ankommt: Können Abschwünge und Ereignisse, die die Märkte bewegen, mittels KI-Algorithmen frühzeitig erkannt werden? Inwieweit die KI „mehr sieht“ als traditionelle quantitative Anlagegattungen und damit Investoren etwa vor Wertverlusten bewahren kann, dies ist stellvertretend für die Branche sicherlich pauschal schwer zu beantworten.

KI leitet Prognosen zur Wahrscheinlichkeit bestimmter Marktbewegungen aus einer Untersuchung auch nichtlinearer Zusammenhänge und Wechselwirkungen ab. In die Analyse der Kursmuster gehen neben Preistrends zum Beispiel auch Kenntnisse über die Geschwindigkeit von Kursänderungen und relativer Wertentwicklungen ein. Das heißt, sie ist mehr als nur „Momentum“ und auch gut geeignet, Trendbrüche zu erkennen. Beispiele solcher Situationen, in denen die Märkte temporär (erheblich) an Wert verloren, waren der Ausbruchszeitpunkt der Corona-Pandemie (März 2020) oder die ersten zwei Monate des aktuellen Jahres, als Staatsanleihen wieder mit leicht positiven Renditen gehandelt wurden. Hier kann es für Anleger, die bisher nur über die Long-Seite investiert sind, interessant sein, auch fallende Kurse zu verwerten.

Ausblick: Notwendigkeit für Alternativen

Die aktuellen Finanzmarktentwicklungen dürften den bereits eingeschlagenen Trend hinsichtlich einer stärkeren Gewichtung nicht-traditioneller Assets in der institutionellen Vermögensallokation noch weiter verstärken. Der Bundesverband Alternative Investments (BAI) schätzt den Portfolioanteil alternativer Anlagen in seinem jüngsten Investor Survey auf knapp 23 Prozent und registriert ein sich fortsetzendes Wachstum.


Allerdings sind die aktuell pressierenden Herausforderungen bei Pensionsinvestoren, Family Offices und Vermögensverwaltern nicht über einen Kamm zu scheren. Der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) bietet sich an, um zu gänzlich neuen Lösungen zu kommen – je nach Bedarf und Ausgestaltung bei der Suche nach Rendite, zur Streuung von Portfolios und Minimierung von Risiken, als Ersatz für Anleihen-Exposures oder als Reaktion auf ein inflationäres Szenario.

Kann KI also ein wirksames Werkzeug sein, um flexibler auf Börsen-Talfahrten und unvorhergesehene Situationen zu reagieren? Die Antwort lautet aus unserer Sicht: Ja. Es gilt, die KI so zu programmieren, dass sie Eintrittswahrscheinlichkeiten auswertet, Richtungswechsel antizipiert und die Chancen moderner Datenanalyse für Anleger hebt. Eine Garantie für Überrenditen lässt sich daraus freilich nicht ableiten.

Investoren werden zur Verwirklichung ihrer Anlageziele künftig mehr Handelsmodelle nachfragen und einbeziehen, die die Korrelation mit anderen Anlagen verringern und das Depot breiter aufstellen. In dieser Rolle können selbstlernende KI-Technologien einen Beitrag leisten.


Über die Autoren

Pablo Hess und Michael Günther sind Vorstandsmitglieder und Gründungsmitglieder des 2002 gegründeten Investement-Teams Trycon und seit 2014 Portfoliomanager bei .

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