Der Abbau sicherer Anlagen Krisen kommen und gehen, Schulden bleiben und wachsen

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Diese Entwicklung stellt die konventionelle Logik in Hinblick auf Verschuldung auf den Kopf: Denn die Risiken der Verschuldung ergeben sich aus potenziellen Rückzahlungsproblemen in der Zukunft. Wenn aber mehr Verschuldung dieses Risiko nicht mehr erhöht – oder sogar vermindert – bedeutet mehr Verschuldung nicht automatisch mehr Risiko für die Staatsfinanzen. Im Gegenteil gilt sogar: Staatsschuld wird zur praktisch risikofreien Finanzierungsquelle, durch bei einer Ausweitung der Staatsausgaben unpopuläre Steuererhöhungen vermieden werden können.

Die Schuldenbremse – eine oft missachtete Kernidee der Europäischen Union

Für die Europäische Union und die Gemeinschaftswährung Euro spielte die Idee der Austerität schon immer eine besondere Rolle, da wirtschaftlich stärkere Länder wie Deutschland oder die Niederlande für eine zunehmende Integration nicht den Preis einer schwachen Währung zahlen wollten. In den grundlegenden Vertragswerken der Europäischen Union wurden deshalb Regeln integriert, mit denen die Währungsstabilität gesichert werden sollte:

  • Der Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union untersagt der Europäischen Zentralbank die direkte Staatsfinanzierung.
  • Im Maastrichtvertrag von 1992 wurden als Voraussetzung für eine Währungsunion Konvergenzkriterien festgelegt. Diese bestimmten für die staatliche Kreditaufnahme, dass 1. die jährliche Neuverschuldung der Mitgliedsstaaten 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen dürfe; sowie 2. der gesamte Schuldenstand 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten sollte.

In der Praxis wurden die Konvergenzkriterien weder vor noch nach Einführung des Euro sehr streng eingehalten. Entweder wurden „Ausnahmetatbestände“ definiert, die eine Verletzung rechtfertigen. Oder Staatsverschuldung wurde indirekt über Staatsunternehmen bzw. andere Vehikel aufgebaut, sodass sie nicht mehr in den offiziellen Statistiken auftauchte. Logische Konsequenz war die EuroSchuldenkrise ab 2011, in der dieses System des Selbstbetrugs implodierte.

Als Konsequenz wurde in der Europäischen Union ab 2013 eine Schuldenbremse beschlossen, die sich an den Kriterien des Maastrichtvertrags orientierte. Deutschland hatte bereits 2009 eine Schulddenbremse für die Neuverschuldung im Grundgesetz festgeschrieben. Lediglich in wirtschaftlichen Notzeiten wie der Corona-Krise sollte noch erlaubt sein, hiervon abzuweichen.

Abbildungen 7-10: Die europäische Schuldenbremse wurde und wird nicht überall gleich ernst genommen

Quelle: IMF Datamapper

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Für 2020 hat die EU-Kommission die Schuldengrenzen aufgehoben, insofern sind die Mitgliedsstaaten momentan frei, sich zur Bekämpfung der aktuellen Wirtschaftsprobleme grenzenlos zu verschulden. Nach Überwindung der Corona-Krise stünde aber eine Rückkehr zur alten Schuldenbremse an – sofern es politisch gewollt ist.

Abbildungen 11-14: Niedrige Zinsen reduzieren die Budgetbelastung – auch ohne Schuldenabbau

Quelle: IMF Datamapper

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Angesichts der im vergangenen Jahrzehnt durch Austerität verursachten sozialen Probleme in vielen EU-Staaten wäre dies ein politisch sehr schwieriger Schritt. Denn die strukturellen Probleme, die schon vor 2020 dafür verantwortlich waren, dass die Schuldenbremse nicht eingehalten wurde, sind nicht gelöst. Ihre Wiedereinführung würde daher für neuen sozialen Sprengstoff sorgen. Und zumindest von der Belastung der Staatshaushalte durch Zinszahlungen her gesehen besteht hierfür auch keine Notwendigkeit: Die Niedrigzinsphase hat bei den Schuldenländern Europas zu einer spürbaren Entlastung geführt.

Staatsschulden außerhalb von Europa: keine Angst vor hohen Defiziten

Außerhalb Europas haben Schuldengrenzen in der Politik keine praktische Rolle. Weder in Nordamerika noch in Asien wurde in einer bedeutenden Wirtschaftsnation ein ernsthafter Versuch unternommen, die Schulden der Finanzkrise während des darauffolgenden Aufschwungs zurückzuführen. Im Gegenteil, die Staatsschulden weiteten sich fast überall deutlich aus – Wachstumsprobleme wie in Europa wurden hingegen nicht verzeichnet.

In den USA spielt das Thema Staatsverschuldung zwar beim Alltagsstreit zwischen Republikanern und Demokraten in der Öffentlichkeit eine große Rolle. In der politischen Praxis fordern beide Parteien Haushaltsdisziplin jedoch nur, wenn sie sich in der Opposition befinden. In Regierungsverantwortung wurden die Ideale niedriger Staatsverschuldung gerade bei den Republikanern gerne vergessen: Insbesondere für die Präsidenten Trump und Reagan waren Steuersenkungen und hohe Militärausgaben eindeutig wichtiger als solide Staatsfinanzen. Und der aktuelle Präsident Joe Biden hat schon klar gemacht, dass er die Wirtschaft durch umfangreiche Ausgabenprogramme ankurbeln will, dafür die Steuern für Wohlhabende aber nur geringfügig erhöhen wird.

Mit Ausnahme von Hongkong und Taiwan werden in Asien hingegen Staatsschulden kaum infrage gestellt. Stattdessen werden sie teilweise sehr aggressiv eingesetzt, um Wachstum zu stimulieren. Japan ist mit einer Staatsverschuldung in Höhe von (geschätzt vom IMF) 266 Prozent des BIP in 2020 die am stärksten verschuldete Nation der Welt. Dies kann sich das Land nur leisten, weil die Zinsen schon seit Jahrzehnten in der Nähe des Nullpunktes sind und somit kaum Zinskosten anfallen. Weiterhin gibt es eine hohe Überschussersparnis des privaten Sektors, die durch die wachsende Staatsschuld absorbiert wird. Vor allem aber kauft die Notenbank in großem Umfang Staatsanleihen. 

Abbildungen 15-18: Die neuen Schuldenweltmeister kommen aus Asien

Quelle: IMF Datenmapper

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Gleichzeitig gehört Japan schon seit Jahrzehnten zu den entwickelten Wirtschaftsnationen mit dem geringsten Wirtschaftswachstum. Unter Ökonomen ist stark umstritten, ob dieses niedrige Wachstum Ursache oder Resultat der ständig wachsenden Staatsschuld ist. Das Land hat mit vielen Strukturproblemen zu kämpfen wie einer Überalterung der Gesellschaft oder der Abschottung gegen globalen Wettbewerb.