Kommentar zum Green Deal Beim Erneuern des Alt-Bewährten müssen wir selbst mit anpacken

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Allerdings fehlt es dafür noch immer an echten Vernetzungen und Schnittstellen. Die Finanzwelt versucht stattdessen noch immer, ihre Misere mit denselben Mitteln zu lösen, die diese erst verursacht hat. Albert Einstein hat das einst als „die reinste Form des Wahnsinns" bezeichnet.

Ähnliches gilt bislang auch für den durch von der Leyen und Lagarde vorgestellten Green Deal, der leider nicht viel mehr ist als das weitere Fluten der Märkte mit Kapital für „nachhaltig agierende“ Staaten? Unternehmen? Banken? Ja, was denn eigentlich? Das alleine kann aber noch keinen Green Deal abbilden, hat doch dieser Begriff eine, von seinen Erfindern durchaus beabsichtigte, Konnotation zu Roosevelts New Deal.

New Deal meint umgangssprachlich die Neuverteilung der Karten. In Roosevels New Deal wurde dies durch eine enge Verbindung von wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen erwirkt. Wir meinen, dass wir heute insbesondere die Vernetzungen zwischen Staat, seinen Bürgern und der Wirtschaft neu denken und strukturieren müssen. Dabei ist insbesondere die Frage zu lösen, wie wir die in der Zivilgesellschaft gespeicherte Energie in Form von Finanzmitteln aus Sparguthaben und in Form von persönlichem, bürgerlichen Engagement dauerhaft aktivieren.

Hemmnisse sind vielleicht in der sinkenden Loyalität der Menschen zum Staat als allheilende Kraft zu finden. So liegen mittlerweile Politiker im Vertrauensranking auf den hintersten Rängen. Nur 19 Prozent vertrauen Politikern voll und ganz. In Rostock musste erst ein ausländischer Bürger aus Dänemark mit überwältigender Mehrheit zum Oberbürgermeister gewählt werden, um dem städtischen Handeln die Prämisse „Gestalten statt Verwalten“ zu verordnen. Und so bleibt das, was die Bürger Europas verlangen weiter ungelöst. Nämlich die disruptive Energie der Nachhaltigkeit zu kanalisieren, kreativ Ideen zu entwickeln und diese auch nutzbar zu machen – zusammengefasst Wirtschaft endlich auch aus dem ethisch-moralischen Blickwinkel neu zu denken.

Statt länger auf den Staat zu warten, könnte es aber einen wirklichen Kraftschluss aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Finanzwelt geben, für die der Staat konsequent neue und innovative Rahmenbedingungen schaffen sollte. Dieser Kraftschluss ist durch neue Institutionen herzustellen. Institutionen nach neuem Zuschnitt: Bottom-up, bürgernah, beweglich und transparent sowie horizontal organisiert und durch die Leitlinien der Politik befördert statt gehemmt. Ganz, wie die damals frisch gewählte Kanzlerin Angela Merkel in Ihrer Regierungserklärung im November 2005 sagte: „Mehr Freiheit wagen!“. Dafür muss aber auch gelten: „Mehr Freiheit denken können!“ Und zwar eine verantwortungsvolle Freiheit.

Damit ist die Finanzindustrie ebenso angesprochen wie die Lehre. Auch wenn dies bedeutet, eingefahrene Gewinne der Vergangenheit, so schmerzlich dies zusätzlich zu überbordenden Regulierungsaufwänden ist, überwiegend für Neues aufzuwenden. Doch ein solch neues Denken ist oft noch in weiter Ferne.

„Das hat seine Kernursache darin, dass an den Universitäten der Manager- Nachwuchs bestenfalls für das Bewältigen allfälliger Krisen ausgebildet wird, meistens aber nur für das Lösen von Problemen im akademischen Elfenbeinturm“, sagt Professorin Dr. Silja Graupe von der Cusanus Hochschule in Bernkastel-Kues, die sich explizit als Hochschule für Gesellschaftsgestaltung versteht.