Kommentar von David Folkerts-Landau Wenn Zentralbanker die Orientierung verlieren

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Finanzinstitute müssen verdienen können

Der im Februar am Aktienmarkt zu beobachtende Ausverkauf zeigte eindringlich, wie bedrohlich nahe eine weitere Bankenkrise ist. Institute wie Versicherungsgesellschaften, Pensionsfonds und Sparkassen, in deren Hände wir unser Vermögen legen, sind schlicht nicht überlebensfähig, wenn sie nichts verdienen.

So warnte auch die deutsche Finanzmarktaufsicht vergangenen Monat, niedrige Zinsen seien ein schleichendes Gift für die Finanzinstitute. Die Bafin hat Sorge, dass einige Pensionsfonds ihre Leistungszusagen nicht einhalten können, und fürchtet, dass 50 Prozent der deutschen Banken zusätzliches Kapital benötigen werden.

Der Präsident der Bafin gab den Banken gar den Rat, die Gebühren zu erhöhen und Kosten zu senken. Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der Bundesbank, schlug mit seiner Warnung, niedrige und negative Zinsen könnten die Banken zu Gebührenanhebungen zwingen, unlängst in dieselbe Kerbe.

Vertrauen in die Zentralbanken verpufft

Unterdessen interpretieren der Normalbürger oder der Mittelstand, der Beschäftigungs- und Wachstumsmotor der deutschen Wirtschaft, die immer laxere Geldpolitik als Indiz für die zunehmend schlechtere Verfassung der Eurozone. In unsicheren Zeiten sparen die Leute immer mehr und die Investitionen stagnieren. Es ist naiv zu glauben, dass negative Zinsen, die als Ultima Ratio angesehen werden, an dieser Haltung etwas ändern könnten. Vielmehr bewirken sie das genaue Gegenteil.

Tatsächlich scheint sich die zunächst positive Wirkung der Geldpolitik über den Vertrauenskanal zunehmend in das Gegenteil umzuschlagen. In einer Umfrage gab im November nur ein Drittel der Bürger der Eurozone an, der EZB zu vertrauen, was den niedrigsten Wert aller Zeiten markiert.

In Spanien lag der Anteil bei 22 Prozent. Selbst in Deutschland bröckelt das Vertrauen, obwohl die Deutschen bis 2007 zu den treuesten Fans der EZB zählten. Seit der Feststellung von Jacques Delor im Jahr 1992, dass nicht alle Deutschen an Gott glauben, aber alle an die Bundesbank, hat sich also einiges verändert.

Selbst ohne den Vertrauenskanal scheint die EZB immer weniger mit ihrer immer extremeren Geldpolitik zu erreichen. Seit letztem April nimmt die sonst so deutliche enge Korrelation zwischen dem Umfang der EZB-Bilanz und einem Index zu den geldpolitischen Bedingungen (MCI) ab, was auf nachlassende Skalenerträge schließen lässt.

Dies liegt unter anderem daran, dass Kreditgeber ohne positive Spreads Kredite nicht verlängern können, selbst wenn sie dies wollten. Die Umfrage zur Kreditvergabe der Banken im ersten Quartal zeigt, wie aufgeweicht dieser Wirkungskanal inzwischen ist. Negative Zinsen ziehen de facto höhere Finanzierungskosten nach sich, da die Banken die Negativzinsen nicht an die Einleger weiterreichen können.

Darüber hinaus führt das extrem billige Geld zu weiteren Verwerfungen, die sich wohl nur mit großen Kosten wieder beheben lassen. So können dank der Kapitalschwemme Unternehmen überleben, die unter normalen Bedingungen nicht lebensfähig wären. Die viel zu geringen Break-even-Renditen führen zur massiven Fehlallokation von Kapital. In Branchen mit dringendem Konsolidierungsbedarf scheidet kein Unternehmen aus dem Markt, während unterdurchschnittliche Unternehmen weiterhin mit hohen Aktienkursen aufwarten können.

Fakt ist, dass positive Zinsen für marktorientierte Volkswirtschaften von zentraler Bedeutung sind. Sie sind der Preis, der gezahlt werden muss, um durch heutigen Konsumverzicht morgen die Früchte aus der mit diesem Geld finanzierten Anlage ernten zu können. Im Kapitalismus sind positive Zinsen die Grundvoraussetzung für Wohlstand. Nicht nur mit Blick auf unternehmerische Entscheidungen – sondern auch im Verständnis rechtschaffener Sparer.

Der gemeine Bürger bekommt den Eindruck, dass die aktuelle Geldpolitik Verschwendung und Überschuldung befördert. Für den theoretischen Volkswirt mag dies zwar einleuchtend sein, es stellt für die hart arbeitende Bevölkerung, die sich um die Absicherung im Alter sorgt, jedoch einen Affront dar.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Armen ungleich härter getroffen werden als die Reichen mit ihren Aktiendepots oder Apartments in Berlin oder München, die von den steigenden Anlagepreisen infolge extrem niedriger Fremdkapitalkosten profitieren.

Was wäre wenn

Die Strategie, die Zinsschraube immer weiter zu lockern, war jedoch nicht unvermeidbar. Es gab durchaus eine Alternative. Unterstützt durch die geldpolitischen Maßnahmen der EZB wären Reformen möglich gewesen, die der EZB geholfen hätten, das Wachstum durch geldpolitische Maßnahmen zu stimulieren und die Inflation innerhalb der Zielspanne zurückzuführen.

Stattdessen hat sich die EZB durch ihr OMT-Programm eigenmächtig zum Retter des Staatsanleihenmarktes aufgeschwungen und so ihren überschuldeten Mitgliedern Solvenz garantiert.

Die Mitglieder der Eurozone müssen nicht länger einen Anstieg ihrer Finanzierungskosten fürchten, wenn sie Reformen nicht umsetzen oder beim Schuldenabbau hinterherhinken. Der Reform-Responsiveness-Rate-Indikator der OECD belegt eindeutig eine Abschwächung der Reformdynamik, insbesondere in jenen Ländern, die am meisten Hilfe erhalten haben.

Doch selbst in Ländern wie Italien, das sich nicht unter den Euro-Rettungsschirm begeben hat, ist eine sinkende Bereitschaft zur Umsetzung von Reformen festzustellen, wenngleich der Reformprozess seit vergangenem Jahr wieder etwas an Dynamik gewonnen hat. Einzige Ausnahme bildet Frankreich, das schon immer Reformwillen vermissen lässt.