private banking magazin: Herr Andersen, Sie beobachten inzwischen Deutschland von Kanada aus. Ist die Klimapolitik in Ihrer alten Heimat gescheitert?
Svend Andersen: Leider ja. Der deutsche Weg ist ineffektiv und sozial ungerecht. Deutschland setzt auf Verbote und auf den Endkunden belastende CO2-Steuern, während wir in Kanada mit der Regulierung von Treibhausgasintensität viel bessere Ergebnis...
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private banking magazin: Herr Andersen, Sie beobachten inzwischen Deutschland von Kanada aus. Ist die Klimapolitik in Ihrer alten Heimat gescheitert?
Svend Andersen: Leider ja. Der deutsche Weg ist ineffektiv und sozial ungerecht. Deutschland setzt auf Verbote und auf den Endkunden belastende CO2-Steuern, während wir in Kanada mit der Regulierung von Treibhausgasintensität viel bessere Ergebnisse erzielen.
Ein Beispiel für Ineffektivität: Wenn ein Stadt oder Gemeinde in Deutschland in erneuerbare Energien investiert, verbessert das seine CO2-Bilanz nach dem hier verwendeten Bisko- Bilanzierungsstandard für Städte und Gemeinden nicht einmal. Das ist ineffektiv und das verhindert sogar wirksamen und sozial gerechten Klimaschutz meiner Meinung nach.
Das ist völlig absurd. In Deutschland wendet man viel zu viel Energie auf, um über symbolische Maßnahmen wie Plastikverbote zu diskutieren, vernachlässigt aber wirklich wichtige Hebel wie die Dekarbonisierung der Energieversorgung.
Was genau machen Sie mit Ihrem Unternehmen GHG Accounting Services denn besser?
Andersen: Wir bilanzieren Treibhausgasemissionen nach Din-Iso-Standards und fokussieren uns dabei auf Faktoren, die unsere Kunden tatsächlich kontrollieren können – ein fundamentaler Unterschied zum deutschen Ansatz. Der Iso-Standard hat das klare Ziel, Treibhausgase zu reduzieren. In Deutschland wird dagegen oft nach dem Bisko-Standard bilanziert, der alles in einen Topf wirft, ohne Rücksicht darauf, was man wirklich beeinflussen kann.
Derzeit betreuen wir etwa 60 Städte weltweit und für die Regierung von British Columbia ein Portfolio von 36.000 Gebäuden. Unsere Din-Iso-Norm-basierte Bilanzierung ist die Grundlage für effektiven Klimaschutz, weil sie direkt in einen Aktionsplan übersetzt werden kann. Wenn ich weiß, welche Emissionen ich kontrolliere und wo , weiß ich auch, wo ich ansetzen muss. Das ist effizienter als symbolische Maßnahmen, die kaum Wirkung zeigen, aber in Deutschland oft im Vordergrund stehen.
Nur bilanzieren, was zu kontrollieren ist, klingt sinnvoll. Wer entscheidet aber, was eine Stadt oder ein Unternehmen kontrollieren kann?
Andersen: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Im Din-Iso-Standard ist das sogenannte Boundary Setting – also die Festlegung der Bilanzierungsgrenzen – klar geregelt und muss transparent dokumentiert werden. Es geht um finanzielle und Management-Kontrolle. Kann ich als Bürgermeister wirklich den Verkehr auf der Bundesautobahn beeinflussen? Nein. Kann ich als Unternehmen beeinflussen, wie meine Mitarbeiter zur Arbeit kommen? Teilweise ja, wenn ich Parkplätze, Fahrradständer oder ein Deutschlandticket anbiete.
Entscheidend ist die Transparenz. Jeder Schritt wird im Din-Iso-basierten Report dokumentiert – welche Daten erhoben wurden, welche Berechnungsmethoden angewandt wurden und warum bestimmte Emissionsquellen ein- oder ausgeschlossen wurden. So kann jeder nachvollziehen, warum welche Entscheidung getroffen wurde. Im Bisko-Standard wird dagegen alles in einen Topf geworfen, was zu Intransparenz führt.
In Vorstandssitzungen macht es einen riesigen Unterschied, ob jemand sagt „Wir müssen die Welt retten und kein Plastik mehr benutzen“ oder „Basierend auf unserer Management-Kontrolle können wir diese Emissionen reduzieren und haben dafür diesen strategischen Plan“. Der zweite Ansatz ist viel überzeugender und führt zu echten Maßnahmen.
Apropos Daten – wie verlässlich ist Ihre Bilanzierungsmethode überhaupt? In Deutschland beklagen viele Investoren, dass sie kaum an verlässliche Daten kommen.
Andersen: Das ist ein großes Problem, besonders in Deutschland. Wenn wir hier Kunden haben, ist die Datensituation oft grauenvoll. Für eine zuverlässige Treibhausgasbilanzierung brauchen wir präzise Verbrauchsdaten – genau hier könnten etwa Smart Meter eine entscheidende Rolle spielen. Statt eines Heizungsgesetzes wäre es viel sinnvoller gewesen, Energieversorger viel früher zum Einbau der Smart Meter für alle zu verpflichten.
Es ist mir schleierhaft, warum noch niemand darauf kam, das zu regulieren. Mit unserer Datengrundlage kann man Emissionen viel genauer messen und gezielter reduzieren, Daten außerdem über APIs automatisch erfassen. Für Aktivitätsdaten – etwa wie viel Strom oder Gas verbraucht wurde – ist das entscheidend. Der zweite Teil sind zuverlässige Emissionsfaktoren, die in vielen Ländern bereits reguliert sind.
Mit beiden zusammen kann man eine zuverlässige Bilanz erstellen, aber ohne gute Datenbasis wird es schwierig. Es ist viel effektiver, als Staat die Grundlage zu schaffen, um effektives Handeln beim Klimaschutz zu ermöglichen, als das Handeln selber zu kleinteilig zu regulieren oder es sogar mit kontraproduktiven Vorgaben zu verhindern.
Sie beraten auch Family Offices – wie passt das ins Bild?
Andersen: Weil neben der Bilanzierung ein Milliardenmarkt für Investments entsteht. Noch vor drei Jahren hätten Investoren uns für verrückt erklärt. Was ist passiert? Beim Pariser Rule Book, der Regelung wie das Klimaabkommen umgesetzt werden soll, wurde festgelegt, dass Länder ihre Klimaziele auch über Zertifikate für Ausgleichsmaßnahmen erreichen können – die sogenannten Itmos, Kurzform für International Transferred Mitigation Outcomes.
Wer solche Zertifikate jetzt kauft, der wettet quasi gegen den Erfolg der Regierungen. Denn wenn einzelne Länder ihre Klimaziele nicht erreichen, werden sie 2030 und die Jahre danach eine Menge Zertifikate brauchen. Und hat man diese dann im Schrank... Wenn ich dann noch in qualitativ hochwertige Projekte investiert habe, ist die Wahrscheinlichkeit einer höheren Rendite gegeben und ich habe einen echt effektiven Klimaschutz unterstützt.
Was sind Itmos genau?
Andersen: Vereinfacht gesagt sind es internationale CO2-Zertifikate. Es ist aber nur ein Oberbegriff. Darunter gibt es unterschiedliche Ausprägungen wie Jurisdictional Voluntary Carbon Credits, der Gold-Standard, Verra oder Corsia, das Offsetting-System der Airlines. Entscheidend ist: Es entsteht gerade ein wesentlich größerer und geregelter internationaler Handelsmarkt für diese Zertifikate.
Die Finanzindustrie hat bei den Klimaverhandlungen erfolgreich Lobbyarbeit betrieben – bei den UN-Klimakonferenz 2021 in Glasgow und denen danach waren hunderte von Finanzlobbyisten dabei. Das Ergebnis: Länder können jetzt selbst regeln, wie die Zertifikate in ihrem Land produziert werden. Diese können international gehandelt werden. Und was entscheidend ist, sie können zum Erreichen der nationalen Klimaziele genutzt werden.
Wie können Family Offices davon profitieren?
Andersen: Indem sie in Projekte investieren, die Treibhausgase nachweislich und effektive reduzieren und die dafür Itmos-Zertifikate generieren. Hier ist es eventuell sinnvoll, das eigene Fachwissen zu nutzen. Das kann zum Beispiel ein Dekarbonisierungsprojekt der Keramik Industrie in Marokko sein, betrieben von einem Family Offices, das in der Keramik Industrie in Deutschland erfolgreich ist.
So könnten sie ihr Wissen nutzen, um ähnliche Unternehmen in anderen Ländern eventuell kostengünstiger als hier zu dekarbonisieren. Oder auch andere Techniken wie Solarthermie nutzen. Eventuell ergibt sich sogar die Möglichkeit, die Dekarbonisierung der Lieferkette des eigenen Unternehmens über Itmos-Zertifikate mitzufinanzieren.
Sprechen wir über die Finanzierungsmodelle: Wie genau funktionieren diese?
Andersen: Es gibt inzwischen verschiedene Ansätze. Ein wichtiges Modell ist Carbon Streaming – ähnlich wie in der Öl- oder Agrarindustrie. Große Finanzinstitute, vor allem aus New York, London, Singapur und Zürich, kommen als Geldgeber. Sie sagen: „Die Detailarbeit ist uns zu kleinteilig, aber wir stellen Euch Kapital zur Verfügung.“
Ein Family Office könnte beispielsweise mit seinem Branchenwissen Projekte identifizieren und starten. Statt das langfristig selbst zu finanzieren, findet es einen Finanzpartner, der die Projekte vorfinanziert und die später freien Zertifikate abnimmt. So minimiert das Family Office seinen Aufwand und kann trotzdem sein Know-how nutzen.
Für die Großbanken macht das Sinn, weil sie so ein breites Portfolio diversifizierter Projekte aufbauen können, ohne sich mit den Details beschäftigen zu müssen. Und für Family Offices bietet es die Möglichkeit, sowohl Gutes zu tun als auch attraktive Renditen zu erzielen.
Was müsste ein Family Office beachten, das in diesen Markt einsteigen will?
Andersen: Erstens muss es die Bedingungen der Zertifikate verstehen und sicherstellen, dass sie den Qualitätskriterien entsprechen. Zweitens muss das Family Office die Regeln des jeweiligen Landes kennen. Ecuador hat etwa entschieden, dass der Export solcher Zertifikate aus Waldprojekten „neokoloniale Aktivitäten“ sind und hat diesen verboten.
Andere Länder verlangen 25 Prozent der Einnahmen. Wieder andere haben keine Einschränkungen, achten aber sehr auf inhaltliche Maßgaben bei den Projekten. Und drittens sollte das Family Office das Risiko streuen. Statt in ein einziges Projekt zu investieren, sollte man in mehrere Länder und Projekte investieren.
Gibt es schon Fonds, ETFs oder andere Finanzprodukte in diesem Bereich?
Andersen: Noch nicht, aber das wäre clever. Ein Portfoliomanager, der unterschiedliche Projekte in mehreren Ländern bündelt, kann das Risiko deutlich senken. Wir checken diesen Markt regelmäßig, aber bisher hat noch niemand einen solchen Fonds aufgelegt. Dort liegt eine große Opportunität. Es gibt aber, wie gesagt, schon die großen Finanzinstitute, die dort als Zwischen-Händler agieren.
Das Interview führten Thorben Lippert und Marc Radke.
Zum Interviewten:
Svend Andersen ist Experte für Treibhausgasbuchhaltung und Klimaschutz mit Sitz in Vancouver, Kanada. Als Gründer und Chef (CEO) von GHG Accounting Services unterstützt er seit 2009 Unternehmen, Regierungen und Institutionen dabei, ihre CO₂-Emissionen präzise zu messen, zu berichten und zu reduzieren.
Andersen setzt sich für evidenzbasierte Klimastrategien und regulatorische Transparenz mit Umweltstandards wie ISO-Normen ein. Neben seiner beratenden Tätigkeit engagiert er sich als Autor, Dozent und Redner für nachhaltige Geschäftsmodelle und effektive Klimaschutzlösungen.