Ein steiler Weg führt zur ehemaligen Universitätssternwarte im Kieler Villenviertel Düsternbrook. Das Haus ist mit seiner Lage und strahlend weißen Fassade nicht zu übersehen. Das denkmalgeschützte Gebäude ist Sitz des unabhängigen Vermögensverwalters Dahm & Jess. „Damals war das hier eine Ruine ohne Dach, die Eingänge zugemauert“, sagt Philipp Jess. „Eigentlich war es naiv, dieses Gebäude zu kaufen.“
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Ein steiler Weg führt zur ehemaligen Universitätssternwarte im Kieler Villenviertel Düsternbrook. Das Haus ist mit seiner Lage und strahlend weißen Fassade nicht zu übersehen. Das denkmalgeschützte Gebäude ist Sitz des unabhängigen Vermögensverwalters Dahm & Jess. „Damals war das hier eine Ruine ohne Dach, die Eingänge zugemauert“, sagt Philipp Jess. „Eigentlich war es naiv, dieses Gebäude zu kaufen.“
Als sein Vater, Eckhard Jess, vor mehr als 30 Jahren erstmals mit der 1873 errichteten Sternwarte in Kontakt kommt, hat dieser nicht die Absicht, einmal darin zu arbeiten und zu leben. Eine Baugesellschaft will Anfang der 1990er Jahre mehrere Eigentumswohnungen in dem Gebäude schaffen. Jess soll das Finanzierungskonzept erstellen. Weil ihm aber der Gedanke nicht behagt, dass der frühere Forschungsort zum Spekulationsobjekt verkommt, kauft er die Immobilie nach einigem Hin und Her selbst. Ein finanzieller Kraftakt, doch es gebe Aufgaben, bei denen der ökonomische Ansatz auch für einen Kaufmann in den Hintergrund tritt, sagt Eckhard Jess nach der Sanierung in einem Zeitungsinterview.
Wie aus einem Versicherungsmakler ein Vermögensverwalter wird
Die lange Historie des Unternehmens lässt sich nicht nur an ihrem Firmensitz ablesen. „Es gibt wenige Vermögensverwaltungen in unserer Größenordnung mit einer so langen Geschichte“, sagt Eckhard Jess. Unabhängige Vermögensverwalter sind in Deutschland meist aus Banken herausgewachsen. Prominentestes Beispiel: Flossbach von Storch, 1998 von den Goldman-Sachs-Direktoren Bert Flossbach und Kurt von Storch in Köln gegründet. Jess selbst war nie für eine Bank tätig. Aber: „Die Gründung von Dahm & Jess war stark davon getrieben, dass ich negative Erfahrungen mit Banken gemacht habe.“
Der Kieler begann seine Laufbahn im Versicherungsgeschäft bei der Firma Dahm. Deren Wurzeln reichen bis ins Jahr 1901 zurück. Adolf Dahm, dem Sohn des Firmengründers Heinrich Dahm, wird nach dem Zweiten Weltkrieg von der Britischen Verwaltung der Aufbau des Versicherungswesens übertragen. In den 1970er Jahren treten die späteren Gesellschafter Eckhard Jess und seine Frau Monika in das Unternehmen ein. Mit ihnen wendet sich das Unternehmen einer neuen Klientel zu – Ärzten, Apothekern, Architekten, Rechtsanwälten und Notaren. Jess begleitet Praxisgründungen, unterstützt bei der Kreditbeschaffung, erstellt Machbarkeitsstudien – und erhält tiefe Einblicke in Bankhäuser. 1985 gründet das Paar eine weitere Gesellschaft: den unabhängigen Vermögensverwalter Dahm & Jess.
Als ausländische Investmentfonds in Deutschland nicht zugelassen waren
Doch Jess‘ Übergang von der Versicherungsvermittlung hin zur Vermögensverwaltung endet zunächst mit einem Rausschmiss. „Damals hat es noch eine völlige Gewaltenteilung zwischen Banken und Versicherungen gegeben“, erinnert er sich. Versicherungsgeschäft hieße aber auch, zur Altersvorsorge zu beraten. Die habe mit Kapitalbildung zu tun, die wiederum in den Anlageverwaltungen der Versicherungsgesellschaften stattfinde. Und Jess habe sich schon als junger Mann gefragt, wie eigentlich das Geld der Versicherungsnehmer verwaltet wird. Mit dieser Frage klopft Jess Anfang der 1980er Jahre ohne Ankündigung bei einem in Kiel ansässigen Versicherer an, wird aber – ohne eine Auskunft zu bekommen – vor die Tür gesetzt.
Mit Mitte Zwanzig beginnt Eckhard Jess auch deshalb, sich mit Investmentfonds zu beschäftigen. Ausländische Fonds sind zu dieser Zeit noch nicht für den deutschen Vertrieb zugelassen. Er knüpft Kontakte zur kalifornischen Investmentgesellschaft Franklin Templeton, analysiert die Depotstruktur des 1954 aufgelegten Templeton Growth Fund. Der Fonds, dessen Vertrieb in Deutschland 2014 wieder eingestellt wurde, spielt für Jess‘ berufliche Entwicklung eine entscheidende Rolle. „Ich habe gesehen, wie es anders geht, wie man unabhängig von einer Anbindung an eine Versicherungs- oder Bankenverwaltung über Fonds das Vermögen von Mandanten verwalten kann.“
Beratungshonorare statt Abschlussprovisionen
Unabhängigkeit wird bei Dahm & Jess buchstäblich großgeschrieben. In mehreren Sprachen steht das Wort auf einer Fahne, die vor dem Haus weht. „Das kann man als Marketingshow sehen – ist es aber nicht“, sagt Jess, wohlwissend, dass sich den Begriff Unabhängigkeit viele in der Branche auf die Fahne schreiben. „Mit Unabhängigkeit meinen viele Berater, dass Sie verschiedene Produkte im Angebot haben. Darauf begründen Sie den Unabhängigkeitsbegriff.“
Dahm & Jess verbindet mit unabhängiger Beratung eine Beratung auf Honorarbasis. Abgerechnet wird basierend auf dem Depotvolumen zum jeweiligen Stichtag. Etwaige Rückvergütungen oder Provisionen werden den Kunden gutgeschrieben.
Gewerbsmäßig tätige Honorar-Finanzanlagenberater müssen sich seit dem 1. August 2014 in einem Online-Register der Deutschen Industrie- und Handelskammer verzeichnen lassen. „Es hat in den ersten zwei, drei Jahren einen vergleichsweise großen Hype gegeben, als Anbieter versucht haben, das werblich zu nutzen. Die Zahlen sind aber brutal zurückgegangen“, sagt Philipp Jess.
„Das Provisionsmodell ist so etabliert, dass es viele gar nicht hinterfragen“
Zum 1. Juli 2024 waren insgesamt 303 Honorar-Finanzanlagenberater mit Erlaubnis nach § 34h GewO in dem Vermittlerregister eingetragen. Zum Vergleich: Die Zahl der Finanzanlagenvermittler, mit einer Lizenz nach Paragraf 34f lag zum gleichen Zeitpunkt bei 40.857. Das Register unabhängiger Honorar-Anlageberater der Bafin führte im Juli dieses Jahres 18 Unternehmen auf.
Dass Honorarberatung in Deutschland nach wie vor ein Schattendasein fristet, liege vor allem an der Nachfrage der Anleger. „Das Provisionsmodell ist so etabliert, dass es viele gar nicht hinterfragen“, sagt Philipp Jess. Das politische Ringen um ein EU-weites Provisionsverbot hatte das Kieler Unternehmen deshalb mit einer Mischung aus Gelassenheit und Gleichgültigkeit verfolgt. Dessen Ausgang sei vorhersehbar gewesen.
Als Jess 1985 beginnt, Vermögensverwaltung gegen Honorar anzubieten, gibt es noch keine Depotbanken für Vermögensverwalter. „Wir haben einen Auftrag bekommen, die anzulegende Summe auf die Hausbank überweisen lassen und via Transaktions- und Handlungsvollmacht über dieses Depot gehandelt“, berichtet Jess. Das änderte sich erst 1994 mit der Gründung der Direkt Anlage Bank, heute DAB BNP Paribas. Dahm & Jess war der dritte Vermögensverwalter, der bei der DAB eine Geschäftsbeziehung eröffnete.
Dahm & Jess verwaltet Vermögen in zwei Mischfonds
Heute verwaltet das Unternehmen Kundenvermögen in zwei eigenen Mischfonds, die nicht zum offenen Vertrieb zugelassen sind. 2007 legte das Unternehmen den D&J Alpha, flexibel über alle Anlageklassen hinweg, und den defensiven Mischfonds D&J Beta mit einer Aktienquote von 25 Prozent auf. „Wir haben uns nach Inkrafttreten von Mifid I wohl oder übel eines Fondsmantels bedienen müssen, um unseren Mandanten die steuerlichen Vorteile in der Vermögensverwaltung zu erhalten“, sagt Philipp Jess.
Neben der Regulatorik spielte aber auch die Vereinheitlichung der Kundendepots eine wichtige Rolle. Um Mandate zu gewinnen, hatte der Vermögensverwalter in der Frühphase immer wieder Sonderwünsche der Kunden in seinen Depots berücksichtigt. „Das hat zu einer Heterogenität geführt, die kaum noch zu händeln war“, sagt Eckhard Jess. „Wir wollten ja gerade den Einfluss der Mandanten durch unsere Beauftragung – solange es gewünscht war – hintenanstellen.“
Als Fondsberater des ehemaligen Dachfonds Beta Select von DJE Investment landete Eckhard Jess in den 2000er-Jahren mehrfach in Perfomance-Bestenlisten unterschiedlicher Finanzmedien. Damals gewann das Unternehmen neue Kunden, die sich von der kurzfristigen Rendite haben locken lassen. Wenige dieser Mandanten seien aber bis heute geblieben. 340 Kundendepots hat Dahm & Jess. „Wir verwalten keine wabernde Vermögensmasse, sondern kennen jeden einzelnen Kunden und wissen, dass viele Mandanten nahezu ihr gesamtes Vermögen überlassen“, sagt Philipp Jess. „Das führt in der Anlagepolitik dazu, dass wir eher defensiv agieren.“
Konsolidierung unter Vermögensverwaltungen? Die haben eigene Regeln
Insgesamt fünf Mitarbeiter hat die Dahm & Jess Vermögensverwaltung. Im Durchschnitt beschäftigen unabhängige Vermögensverwalter in Deutschland 12 Mitarbeiter, wie eine aktuelle Studie des Instituts für Vermögensverwaltung (InVV) ergab. Mit einem betreuten Volumen von rund 80 Millionen Euro gehören die Kieler zu den kleineren Unternehmen in einer Branche, der seit Jahren ein Gesundschrumpfen prophezeit wird. Das findet allerdings nur langsam statt. Nach Zahlen von Pro Boutiquenfonds sank die Zahl der Portfolioverwalterlizenzen von 498 im Jahr 2014 auf 465 im April 2024. Die Zahl der Lizenzrückgaben hält sich also in Grenzen.
Dass die Konsolidierung unter den Vermögensverwaltern nicht so schnell vonstattengeht, wie vermutet, liegt auch an den Regeln der Branche. Während bei Transaktionen in anderen Sektoren der Preis ganz oben steht, geht es Vermögensverwaltern, die ihr Geschäft abgeben wollen, vor allem um eine beruhigende Nachfolgelösung für die Kunden. Private-Equity-Investoren stoßen mit ihren Geschäftsmodellen deshalb nicht immer auf offene Türen.
Bei Dahm & Jess fühlten solche Konsolidierer jedenfalls noch nicht vor. „Das ist möglicherweise etwas, was auf uns zukommen wird, wenn man sieht, wie viel Geld und Private-Equity-Investoren auf dem Markt sind“, sagt Jess. Laut der erwähnten InVV-Studie wollen derzeit rund ein Drittel der unabhängigen Vermögensverwalter in Deutschland ihre Gesellschafterstruktur verändern. Vor allem kleinere Vermögensverwaltungen, die weniger als 50 Millionen Euro verwalten, liebäugeln mit einem Zusammenschluss mit einer anderen Vermögensverwaltung.
Begriffe „Wertpapierinstut“ und „Vermögensverwalter“ ohne Strahlkraft
Das ist bei dem Kieler Vermögensverwalter zwar kein Thema, doch auch Philipp Jess sagt: „Was wir hier machen, ist eine Besonderheit.“ In Sachen Regulatorik sei das Unternehmen eigentlich zu klein, um die Anforderungen selbst zu schultern – aber unter ein Haftungsdach oder sich einer Holding anschließen wolle man eben auch nicht. Kleinere Einheiten, die heute neu an den Markt gehen, wählen meist den Weg über ein Haftungsdach und verzichten auf den beschwerlichen Weg zur eigenen Lizenz.
Auch Dahm & Jess bräuchte eine Finanzportfolioverwalterlizenz nicht zwingend. Universal Investment fungiert als Kapitalverwaltungsgesellschaft der beiden Mischfonds, die Kieler sind nur Anlageberater. Verzichten wollen sie auf eine Zulassung nach §15 WpHG aber nicht – obwohl dies letztlich nicht die Ausprägung eines Qualitätsnachweises sei, die man sich erhofft. „Mit dem Begriff Wertpapierinstitut können Verbraucher nichts anfangen“, so Philipp Jess. Und auch der Begriff „Vermögensverwalter“ habe kaum Strahlkraft entwickelt, ergänzt sein Vater.
Was Dahm & Jess und DJE Kapital eint
Zumindest ist gut drei Vierteln der finanzstarken Verbraucher in Deutschland das Berufsbild „unabhängiger Vermögensverwalter“ geläufig, wie eine Umfrage des Verbands unabhängiger Vermögensverwalter (VuV) in diesem Jahr ergab. Der Vermögensverwalter ist kein unbekanntes Wesen. Dazu dürften auch Zugpferde wie Flossbach von Storch und DJE Kapital ihren Teil beigetragen haben.
Hinter Eckhard und Philipp Jess, im Foyer des 2. Stocks der Sternwarte, hängen Fotografien von Alfred Ehrhardt, Vater von Jens Erhardt. Eckhard Jess ist seit 40 Jahren bekannt mit dem DJE-Gründer. Erhardt hat die gleichen Fotografien auch in seinem Büro in Pullach bei München hängen. Und noch etwas haben beide Unternehmen – sonst in unterschiedlichen Sphären unterwegs – gemeinsam: Die nächste Generation steht schon lange bereit, um die Geschäfte zu übernehmen.
Bei DJE ist Jan Ehrhardt seit 2015 stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Mit Rechtsanwalt Philipp Jess fand bereits 2007 die neue Familiengeneration ihren Platz im Unternehmensgefüge. Der 50-Jährige ergänzt mit seiner Beratungsdisziplin die Mandantenbetreuung auch zur Nachlassplanung, Testamentsgestaltung und -Vollstreckung – und ist Compliance-Beauftragter. „Ich habe bewusst ein Studium gewählt, bei dem die Schnittmenge nicht besonders groß ist zur Tätigkeit meiner Eltern“, sagt er. Die hätten ihn ohnehin nie gedrängt, einmal die Unternehmensnachfolge anzutreten. Doch mit Jess‘ Eintritt verwirklichte sich noch ein Stück mehr die Idee seines Vaters, die alte Sternwarte zu einem „Haus der Dienstleistungen“ zu machen.
„Ich befürchte, dass einige Vermögensverwalter von den Mühlsteinen zerrieben werden können, die sie umgeben“
Aus dem Dachgeschoss führt eine Leiter auf das Dach der Sternwarte. Im zweiten Weltkrieg stand hier ein Flakgeschütz, das die ankommenden Flieger der Alliierten abwehren sollte. Dass die Sternwarte – in der Flugschneise zwischen Marinehafen und den Werften auf dem Ostufer der Kieler Förde – den Bombenhagel überstand, gleicht einem Wunder. Heute bietet sich von der kleinen Plattform einer der schönsten Ausblicke über Kiel. „Wir betrachten eben alles von einer höheren Warte aus“, sagt Eckhard Jess mit einem verschmitzten Lächeln.
Wie die Aussichten für die Branche der Vermögensverwalter, zwischen einem regulatorischen Dschungel, wachsender Konkurrenz von digitalen Vermögensverwaltern und Fachkräftemangel, sind, vermag der 79-Jährige nicht rundum zu bewerten. Doch die Befürchtung, „dass einige Vermögensverwalter von den Mühlsteinen zerrieben werden können, die sie umgeben“, hat er.
Die breite Aufstellung von Dahm & Jess habe den Vorteil, dass man nicht die komplette Abhängigkeit von guten oder schlechten Börsenjahren habe. Unternehmen, die rein auf die Vermögensverwaltung setzen, dürften es hingegen zunehmend schwer haben.
„Unsere Nische ist nach wie vor zukunftsfähig, will aber verteidigt werden“, sagt Philipp Jess. Es gebe genug Menschen, die mit Vermögensverwaltung nicht nur Rendite verbinden, sondern auch den Gedanken, zu delegieren. „Die Entlastung von Entscheidungen und die Bereitschaft jederzeit Auskünfte jeglicher Art zu bieten, wird von unseren Mandaten geschätzt“, ergänzt Eckhard Jess. „Wir glauben, so etwas wie eine Wohlfühlrendite anbieten zu können.“ Und die lässt sich nicht in Prozent bemessen.