private banking magazin: Ihr Unternehmen Unique AI hat sich auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Wealth Management spezialisiert. Erzählen Sie uns, wie KI in diesem Bereich eingesetzt wird und wo die Reise hingeht.
Martin Heibel: Ich erzähle vielleicht kurz die Geschichte, wie Künstliche Intelligenz Schritt für Schritt Einzug ins Wealth Management gehalten hat: Der Ausgangspunkt war das Aufkommen von Chat GPT vor rund zweieinhalb Jahren. Viele Vermögensverwalter und Privatbanken äußerten den Wunsch, ein solches System für ihre eigenen Mitarbeiter bereitzustellen. Viele unserer Kunden, wie etwa Pictet, LGT und BNP Paribas, sagten daher: „Bevor unsere Mitarbeiter KI Chat-Bots eigenständig im Web nutzen, wollen wir eine interne Lösung schaffen.“
Mitarbeiter können solche Systeme beispielsweise zum Verfassen von E-Mails nutzen. Ebenso besteht die Möglichkeit, Investmentdokumente oder Broschüren hochzuladen, um gezielt Fragen dazu zu stellen. Das waren die ersten Anwendungsszenarien. Zunächst wurde den Mitarbeitern also eine unternehmensspezifische Version von Chat GPT zur Verfügung gestellt. Ein Beispiel dafür ist etwa Metzler GPT beim Bankhaus Metzler in Frankfurt.
In einer weiteren Ausbaustufe wurden die internen KI-Plattformen, wie beispielsweise One.Chat bei Pictet oder Lumen bei LGT um interne Ressourcen ergänzt – etwa Inhalte aus dem Intranet, Arbeitsanweisungen oder spezielle Suchfunktionen.
Doch dann kamen die Relationship-Manager auf uns zu und sagten: „Wir brauchen eine noch spezifischere Lösung für die Arbeit mit unsere Kunden. Wenn ein Kunde anruft und fragt: ‚Sollte ich in XY investieren? Wie ist eure Einschätzung dazu?‘, dann müssen wir aktuell sehr viel manuelle Recherchearbeit leisten, die uns eine spezialisierte KI abnehmen könnte.“ Das war die Geburtsstunde der heutigen KI-Agenten im Wealth Management.
Und genau an dieser Stelle setzt Ihr Unternehmen an?
Heibel: Genau, solche KI-Agenten haben wir in enger Zusammenarbeit mit über 40 Kunden entwickelt, darunter einen ganz spezifischen Investment-Research-Assistenten für Vermögensverwalter.
Dieser Assistent aggregiert zunächst einmal alles Wissen über den einzelnen Kunden, das in verschiedenen System bereits vorliegt – also sein Risikoprofil, sein Anlageinteresse, auch bestimmte Compliance-Themen, die an diesem Kunden hängen. Wo darf er investieren oder wo dürfen wir ihn gegebenenfalls nicht unterstützen? Das sind die internen Daten über den Kunden.
Zudem kennt der Assistent das spezifische Investment-Universe: Was empfehlen wir auf Basis unserer laufenden Analysen? Wie passen bestimmte Anlageoptionen zum Kundenprofil?
Und zuletzt haben wir externe Quellen – Earnings-Calls zu bestimmten Unternehmen etwa, sowie Markt- und Finanzdaten, auf die Unique AI ebenfalls Zugriff hat.
Statt diese Quellen alle manuell zu analysieren, kann der Berater mit dem Unique AI Investment-Research-Assistenten quasi sofort, innerhalb von Sekunden, ein komplettes Bild bekommen. Er kann somit das, was früher eine halbe oder eine Stunde Research bedeutet hätte, in zwei, drei Minuten erledigen.
Mal ganz banal gefragt: Wenn ich als Kunde einer Privatbank begeistert bin, dass Gold jetzt über 3.000 Dollar steht und meinen Banker anrufe, um zu fragen, ob ich noch mehr Gold kaufen sollte, auch für meine Kinder – wie läuft das dann ab? Schmeißt der Banker dann die Maschine an?
Heibel: Das ist genau das, was passiert. Der Berater hat natürlich immer noch den persönlichen Kundenkontakt, das ist ganz wichtig. Es geht nicht darum – und KI ist auch nicht an dem Punkt – dass wir jetzt sagen würden, es braucht keinen Berater mehr. Unser Ziel ist umgekehrt, den Berater zu entlasten, dass er seine Zeit nicht mit Admin und der Suche von Informationen verbringt, sondern mit echter Kundenbetreuung.
Die Stärke von Language-Modellen besteht gerade darin, Kontext interpretieren zu können. Im vorliegenden Gold-Beispiel würde der Berater vielleicht sagen, Gold ist gut gelaufen, du hast auch einen entsprechendes Risikoprofil, das wissen wir, insofern können wir uns über Gold grundsätzlich unterhalten. Unsere House-View aber ist, dass Gold wahrscheinlich irgendwie ausgelaufen ist und wir dir eher empfehlen würden, in einen Edelmetall-Fonds zu gehen.
Und zwar nicht, weil der Banker das jetzt gerade so im Bauch hat, sondern weil wir tatsächlich diese Informationen auf einen Blick liefern können, allein mit der Information, dass der Kunde angerufen und sein Interesse an Gold geäußert hat. Unique AI versteht den ganzen Kontext. Die Entscheidung trifft am Ende immer noch der Banker oder der Kunde. Es geht nicht darum, dass die KI die Entscheidung trifft, aber sie beschleunigt massiv die Prozesse.
Weiß der Kunde, dass im Hintergrund eine solche Maschine läuft?
Heibel: Nicht notwendigerweise, nein. Das ist einfach eine moderne Form der Datenverarbeitung, um einen guten, zeitgemäßen Kundenservice liefern zu können. Und der Berater selbst gewinnt unglaublich viel Zeit.
Ist das ein Tool, was den ganzen Beratungsprozess effizienter macht?
Heibel: Absolut! Das große Bild im Wealth Management ist, dass Banken und Vermögensverwalter mit ihrer Cost-Income-Ratio zu kämpfen haben. Die Berater sind teuer, und wenn es durch den Einsatz von KI-Lösungen wie Unique AI gelingt, mit demselben Berater 30 Prozent mehr Kunden zu bedienen, dann ist das ökonomisch effizient und sichert die Wettbewerbsfähigkeit der Bank.
Gibt es noch weitere Anwendungsfelder?
Heibel: Natürlich. Bleiben wir bei dem Thema der Assistenten. Wir sehen eine Transformation hin zur Agentic Bank, das heißt, wir schauen uns alle Prozesse an, wo heute manuell Daten analysiert und Datenquellen zusammengezogen werden, um eine bestimmte Art von Ergebnis zu produzieren. So machen wir einige weitere Assistenten auf der Unique-Plattform verfügbar.
Unser KYC (Know Your Customer) Agent adressiert einen großer Schmerzpunkt für Privatbanken und Wealth Manager. Unique automatisiert den ersten Research zu einem bestimmten Kundenprofil. Die LLMs (Large Language Models) sind in der Lage, externe Datenquellen und Web-Suchen selbst auszuführen und aus dieser Information sehr schnell einen Überblick zu geben, zum Beispiel um zu beurteilen, welche Informationen für oder wider eine mögliche künftige Kundenbeziehung sprechen.
Im Onboarding neuer Kunden helfen die Unique-Agenten bei Standard-Prozessen, z.B. der Abfrage von Informationen beim Kunden, der Analyse von Dokumenten und der Übertragung von Daten in ein internes System. Unsere KYC-Agenten können auch im laufende Monitoring eingesetzt werden.
Und ein drittes Beispiel ist das Thema Due Diligence im Investment Management. Häufiger Startpunkt dabei sind große Datenräume, sei das bei einer Private Equity Transaktion oder im Asset Management. Unsere KI-Agenten sind sehr gut darin, so einen Datenraum komplett zu verstehen und daraus ein gewünschtes Reporting-Ergebnis zu erstellen.
Ein Beispiel: Um die Entscheidung hinsichtlich eines Unternehmenskauf - etwa im Rahmen eines Investment Committee – vorzubereiten, verbringen heute Analysten mehrere Wochen Zeit mit Recherche und Datenaufbereitung. In der Unique-Plattform erstellen wir stattdessen einen Agenten, der dieselbe Arbeitsanweisung erhält wie ein menschlicher Analyst.
Als Ergebnis liefert der Unique-Agent etwa fertige Tabellen, die alle zu beantwortenden Fragen auf Basis der Ausgangsinformationen im Datenraum beantwortet und auch eine Referenzierung auf die genaue Quelle liefert. So können wir 80 Prozent der mühsamen Arbeit des Analysten automatisieren.
Sind diese Agenten auf die jeweiligen Kunden individuell zugeschnitten oder handelt es sich um One-Size-Fits-All-Lösungen? Also nutzt eine LGT den gleichen Assistenten wie eine Pictet, nur unter anderem Namen?
Heibel: Das ist ein wichtiger Punkt. Unser Ansatz ist es, einen Marktplatz von Agenten zu liefern. Da wir aus vielen Projekten sehr gut verstanden haben, wie Privatbanken und Vermögensverwalter arbeiten und welche Prozesse sie haben, setzen wir unsere Agenten entsprechend vorgefertigt auf, sodass man sie gewissermaßen aus dem Regal nehmen kann.
Das heißt, dass ein neuer Kunden mit einer zu 90 Prozent fertigen Lösung anfangen kann zu arbeiten. Es gibt aber immer auch einen Restanpassungsbedarf. Der mag insbesondere in Schnittstellen liegen oder in der gewünschten Form des Outputs. Der Kern der Agentenleistung ist aber immer derselbe. Das macht die Unique-Plattform für unsere Kunden aus Skalierungsgesichtspunkten sehr attraktiv.
Die Investments, die man heute in die Entwicklung eigener Agenten – insbesondere im regulierten Bankenumfeld – stecken müsste, sind astronomisch hoch. Es ist deshalb für Privatbanken und Wealth Manager sehr attraktiv, eine Best-of-Breed-Branchenlösung zu nutzen, die diese Agenten alle schon konfiguriert mitliefert. Die konkrete Anpassung der Agenten auf die eigenen Prozesse erfolgt in unseren Projekten dann oft in enger Zusammenarbeite mit den IT- und Data-Science-Teams unserer Kunden.
Wie ist die strategische Partnerschaft mit der Commerzbank in diesem Zusammenhang zu sehen?
Heibel: Unique ist ein Venture-Capital-finanziertes Unternehmen und unser Ziel ist es, die Firma zu einem global führenden Anbieter für Agentic-Banking-Lösungen zu entwickeln. Wir befinden uns dabei in einem globalen Wettrennen.
Daher ist es für uns sehr wichtig, unsere in der Schweiz entwickelte AI-Lösungen schnell in die großen globalen Finanzmärkte zu bringen. Wir haben gerade ein New Yorker Team aufgebaut, ein Team in London und sind zudem dabei, unsere Präsenz in Asien nochmals zu verstärken.
Commerz Ventures als strategischer Investor kann uns bei der Umsetzung dieser Pläne besonders gut helfen – nicht nur mit finanzieller Unterstützung, sondern auch mit einem sehr starken globalen Netzwerk in der Finanzindustrie.
Sie sprachen bereits über Skaleneffekte und Skalierung. Wäre das Produkt auch für den breiten Retailmarkt oder für den digital getriebenen Endanleger gedacht, oder eher in einer modifizierten Version?
Heibel: Wir haben für die kommende Zeit einen sehr klaren Fokus: Es geht uns darum, die Bank, wie sie heute besteht, in ihren administrativen Prozessen zu beschleunigen, um so besseren Kundenservice liefern zu können. Wir wollen unsere Kunden in ihren bestehenden und gut etablierten Geschäftsmodellen unterstützen – und das vor allem über interne Effizienz durch den Einsatz produktiver KI-Agenten.
Mit welchen Banken sprechen Sie, und was sind die Gründe von Banken zu sagen: "Nett, dass Sie an uns gedacht haben, aber erstmal nicht"?
Heibel: Unsere Kunden sind Vermögensverwalter und Privatbanken, aber auch Alternative Investment Managers und große Private-Equity-Häuser. Immer da, wo es wiederkehrende, zeitintensive Analysetätigkeiten gibt – in Research, Kundenberatung oder Compliance – können wir mit den Unique-AI-Agenten sehr schnell Produktivitätsgewinne erzielen.
Es gibt große Themen über alle Kunden hinweg. Nehmen wir wieder KYC: Wir organisieren eine eigene Gruppe mit unseren Kunden, die sich nur rund um KYC-Prozesse und deren Automatisierung mit AI-Agenten zusammenfindet. Diese Gruppe nennen wir das Unique KYC Advisory Board. Der Kostendruck in diesem Bereich ist sehr hoch, sodass der Schmerz und damit der Wunsch nach Verbesserung gewaltig ist.
Mit Blick auf eine breit angelegte Agentic-Bank-Strategie ist natürlich immer der Frage, wer wie früh auf der Adoption Curve ist und wer welche Risikobereitschaft hat, die gewohnten Verfahren zu verändern. Hier steht den Banken die nächste tiefgreifende Transformation ins Haus und nicht jeder kann darauf direkt reagieren. Bei Themen wie Due Diligence oder ESG-Reporting starten wir daher oft über ganz spezifische Agenten, um den Impact auf die konkrete tägliche Arbeit zu zeigen. Das erleichtert dann auch eine weitergehende Zusammenarbeit.
Die Chance von AI sind im Finanzsektor aber unbestritten. Wenn wir also hören „Erstmal nicht“, dann ist das immer mit Betonung auf dem „erstmal“.
Wie sieht die Adoption bei Ihren Kunden aus?
Heibel: Die Adoption unserer Lösungen ist extrem hoch. Nehmen wir den Kunden LGT: Von den 3.600 Nutzern und Beratern mit Zugang zur Lumen-Plattform sind über 3.000 dauerhaft monatlich aktiv, also deutlich über 80 Prozent. Das ist schon beeindruckend und liegt daran, dass die Nutzer unmittelbar die Vorteile erleben können.
Nehmen wir die Vorbereitung auf ein Kundengespräch: Eine herkömmliche Vorbereitung würde den Berater Zeit kosten, um aus verschiedenen Systemen Informationen zusammenzustellen. Mithilfe von Unique erhält der Berater mit einem einfachen Prompt einen detaillierten Vorschlag zur Gesprächsführung.
Verliert der Berater dadurch ein bisschen an individuellem Stil?
Heibel: Es gibt diesen schönen Satz: "Du verlierst deinen Job nicht an KI, sondern an jemanden, der mit KI arbeitet." Die Leute, die diese Technologie wirklich für sich nutzen und experimentierfreudig sind, verlieren dadurch nicht die Kundenbeziehung. Der Kunde muss ja gar nicht wissen und weiß in der Regel auch nicht, wie der Berater seine Information zusammengestellt hat.
Wenn der Berater dadurch mehr Zeit mit seinen Kunden verbringen und ihnen zuhören oder besseren Service liefern kann, verliert er nicht an Individualität – ganz im Gegenteil. Unser Ziel ist es, die wirklich individuelle Beratung einfacher und effektiver zu machen.
Was steht bei Unique als nächstes an?
Heibel: Wir werden weiter spezialisierte Agenten entwickeln und setzen verstärkt auf Vertikalisierung. Der Ansatz besteht darin, zu analysieren, welche Systeme und Datenquellen Wealth Manager heute nutzen, um bestimmte Aufgaben zu erledigen oder spezifische Ergebnisse zu erzielen. Basierend darauf werden maßgeschneiderte Agenten konfiguriert und programmiert.
Über Investment Research habe ich schon gesprochen.
Für Compliance-Themen, etwa im Zusammenhang mit Dora-Vorgaben, steht ein weiterer spezialisierter Agent zur Verfügung.
Darüber hinaus arbeiten wir auch an RFP-Agenten (Request for Proposals) . Wenn beispielsweise eine Anfrage eingeht, wie eine Investition von 30 Millionen Euro strukturiert werden sollte, erfolgt die Bearbeitung aktuell oft vollständig manuell. Durch gezielte Automatisierung lässt sich dieser Prozess erheblich beschleunigen. Rund 80 Prozent der Antworten in einer RFP-Antwort können mit einem KI-Agenten automatisiert werden – ein klarer Effizienzgewinn.
Tatsächlich ist es so, dass unsere Kunden häufig mit einer Liste von 100 Ideen zur Entwicklung spezifischer Agenten zu uns kommen. Die erste Aufgabe ist es dann, diejenigen Agenten zu identifizieren, die für möglichst viele Mitarbeiter eine möglichst große Zeitersparnis bringen. Klar ist damit aber auch, dass uns und unseren Kunden auf dem Weg zur Agentic Bank die Arbeit so schnell nicht ausgehen wird.