Weniger Personal – mehr externe Dienstleister und KI Darum müssen Versicherer bei ihrer Kapitalanlage umdenken

Maxim Pertl von Clearwater Analytics.

Maxim Pertl von Clearwater Analytics: „Je genauer man schaut, desto offensichtlicher ist es, dass der Standard von 1995 nicht derjenige von 2025 sein sollte. “ Foto: Clearwater Analytics

private banking magazin: Herr Pertl, wie gravierend ist der demografische Wandel im Versicherungs- und Rückversicherungssektor?

Maxim Pertl: Anhand von Zahlen wird die Dramatik klar: die meisten Versicherer und Rückversicherer werden zwischen 25 und teilweise sogar über 50 Prozent ihrer Fachkräfte in den kommenden fünf Jahren verlieren. Der Durchschnitt den wir aus unseren Assessment-Analysen erheben liegt bei circa 35 Prozent, Tendenz zunehmend. Damit lassen sich die historisch gewachsenen operativen Modelle in Zukunft nicht mehr betreiben.

Wie kommen die Zahlen innerhalb ihrer Analyse konkret zustande?

Pertl: In den meisten Häusern liegen die Zahlen auf Vorstands- und Entscheiderebene bereits vor, der Fachkräftemangel war ja lange demografisch absehbar. Abfindungsprogramme während Corona verschärften bei manchen Unternehmen die Problematik. Die Zahlen ergeben sich zunächst auf Basis der vorhandenen Arbeitsverträge – Personalabteilungen wissen, wie viele Mitarbeiter das Rentenalter wann erreichen. Vorausschauende Abteilungsleiter kennen die Fakten ihrer Abteilung nur zu gut und merken, dass das übliche Gegensteuern über Stellenausschreibungen nicht mehr fruchtet. Eine Führungskraft, welche die Mitarbeiterzahlen für die relevanten Abteilungen der Kapitalanlage mit status quo zum geplanten Status 2027 und 2030 vergleicht, muss reagieren. 

Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen?

Pertl: Es braucht einen Strategiewechsel und der kann nur auf einer soliden Datenbasis und dem Wissen um Handlungsoptionen getroffen werden. Um in 3 bis 5 Jahren auf einer zukunftssicheren Plattform und einem von generativer KI unterstütztem skalierbaren Modell zu arbeiten, müssen die Weichen schnellstmöglich gestellt werden, denn ein Onboarding sowie ein Parallel Run benötigen Zeit.

Wie sollten Versicherer den wachsenden Druck durch steigende Betriebskosten und veraltete IT-Strukturen angehen?

Pertl: Modernste Technologie kombiniert mit Daten und globalen Servicemodellen können einen Ausweg bieten. Die häufig zwei Jahrzehnte alte Infrastruktur muss von Grund auf modernisiert werden. Machine-Cloud-Native-Plattformen, welche Tausende von Kunden unterstützen können, dazu Machine Learning, generative KI und Servicemodelle mit großen Expertenteams in der Zeitzone des Kunden, welche den kleiner werdenden Teams der Versicherer unter die Arme greifen können. Wenn Investmentdaten über eine Plattform laufen, profitieren in meinen Augen alle Kunden von Neuerungen, beispielsweise bei regulatorischen Reports.

Welche Risiken bergen überholte IT-Architekturen in der Kapitalanlage, und wie können Unternehmen diese zielführend modernisieren?

Pertl: Der Kapitalmarkt funktioniert zunehmend in Echtzeit. Die Systeme, welche wir bei den meisten Versicherern und Rückversicherern vorfinden sind im Kern circa 30 Jahre alt, waren damals Standardsoftware und die Implementierungen liegen häufig 15 bis 20 Jahre zurück. Die Systeme wurden für die monatliche Abrechnung eingeführt. Solche Supertanker, welche über Jahre erweitert und sehr komplex geworden sind, lassen sich nicht zu einem Speedboat umbauen, auch nicht mit großem finanziellen Aufwand, die Probleme und die Komplexität liegen tief im Kern. Da braucht es ein Umdenken zu neuen modernen Modellen und Lösungen.

Gibt es valide Belege für das Durchschnittsalter der Infrastruktur?

Pertl:  In der DACH-Region waren zwei Softwarehäuser über Jahrzehnte Marktführer für Kapitalanlagesysteme bei Versicherungen. Deren Produkte wurden vor circa drei Jahrzehnten am Markt gelaunched und in den Folgejahren bei den meisten Nutzern implementiert. Das ist die Basis, welche wir vorfinden. Es gibt teilweise manuelle Workarounds, mit E-mails, Fax, manuellem Datenabgleich. Die Hauptsysteme sind so komplex geworden, dass sie Millionen Lines of Code beinhalten und einen Rechenkern, welcher in einer Programmiersprache geschrieben ist, den nur wenige Programmierer weltweit noch beherrschen. Je genauer man schaut, desto offensichtlicher ist es, dass der Standard von 1995 nicht derjenige von 2025 sein sollte.

 

Gibt es weitere Problem?

Pertl: Nicht alles, wo KI draufsteht ist auch wirklich modern. Altsysteme bedienen sich gerne Snapshots, welche außerhalb vom Core-System dann mit einem schöner wirkenden Screen angereichert werden, gegebenenfalls auch mit aktuelleren Daten, aber der Schein trügt – denn rechenintensive Analysen laufen dann auch nur in einem neuen parallelen Silo und blenden immer noch z.B. Immobilienanlagen oder Teile der Private Markets aus. Wirkliches Cross-Asset können aus meiner Sicht nur moderne webbasierte Plattformanbieter liefern, welche über 100 Anlageklassen abdecken inklusive aller Liquids, aller Derivate, aller OTC Strukturen und aller Private Market Assets. Der Grund dafür ist, dass sie tausende Schnittstellen und hunderte Experten im Datenmanagement und im Datenabgleich als Basis benötigen. Ein gigantischer Investitionsaufwand.

Das Datenmanagement ist auch wegen alternativer Anlagen gefordert. Mit den sinkenden Zinsen dürfte die Nachfrage nochmals zunehmen. Wie gehen Versicherer und weitere Investoren am besten mit der steigenden Reporting-Komplexität um?

Pertl: Immer neue Datenquellen, unterschiedlichste Formate, Datenverfügbarkeit und das Auslesen und Prüfen – manueller Aufwand, häufiges Rückfragen und endlose Abgleiche sind hier an der Tagesordnung. Alles, bevor man überhaupt erst zum letzten Schritt Reporting gelangt. Und ohne solide Datenbasis, werden auch Look-Throughs, die von der Aufsichtsbehörde vorgesehene Methode zur Ermittlung des Marktrisikokapitals von Fonds, löchrig wie ein Schweizer Käse. Die Lösung liegt meines Erachtens nach in der digitalen Anbindung der auf Private Markets spezialiserten General Partnerships (GPs).  Auslesen – technologieunterstützt und dies parallel durch unterschiedliche Modelle – denn unterschiedliche Datensätze und Formate funktionieren besser mit unterschiedlichen Modellen.

Inwiefern verändert KI die operative Effizienz und das Reporting von Investoren?

Pertl: Dramatisch! Ein Beispiel hierfür: Co-Piloten für unterschiedliche Personen im Unternehmen können so viel Arbeit in Sekunden erledigen, wie früher Teams von drei Analysten in drei Wochen. Jeder Finanzdienstleister erinnert sich noch an die Frage: Was ist unsere Exposure zu Lehman Brothers? Nach Stunden dachten viele der Unternehmen, sie kennen das Ergebnis und waren häufig bereits erleichtert, bevor man beim Durcharbeiten der Collateral Agreements, der OTC-Derivate und der Strukturen auf Tochterunternehmen stieß. Erst nach einem Monat hatten die meisten Finanzdienstleister Klarheit mit einen Confidence-Level.

Mithilfe künstlicher Intelligenz wäre das anders gewesen?

Pertl: KI kann auf einen täglich bereinigten Datenpool der Soft-Closings zugreifen, in Sekundenbruchteilen gemäss Unternehmensbäumen jegliches Exposure aller Portfolien und aller Landesgesellschaften durchforsten, egal ob direkt, über den institutionellen Investor oder den Asset Manager – das Ergebniss, voll konsolidiert mit allen Verlinkungen zu Dokumenten mit Exposure wird sauber aufgearbeitet und nach 2 bis 3 Sekunden vorgelegt – mit allen Drilldown-Möglichkeiten. Dieses und viele weitere Beispiele sind nur der Gipfel des Eisbergs.

Worin besteht der konkrete Wertschöpfungsvorteil von KI?

Pertl: Der Vorteil besteht auf mehreren Ebenen. Die AI ist multitasking-fähig, Prozesse werden parallel abgearbeitet, unabhängig von Tag und Uhrzeit. Sobald ich irgendwo neue Daten identifiziere, startet ein automatisierter Prozess. Bei rechenintensiven Aufgaben besteht Lastenunabhängigkeit. Ich kann beispielsweise zeitgleich von 2.000 Asset Managern die Anlageinformationen ihrer institutionellen Kunden abrufen, in unterschiedlichsten Formaten und lese diese ein, validiere das Auslesen über einen Ergebnisabgleich von unterschiedlichen Modellen zusätzlich und verarbeite die gewonnen Daten dann systemtechnisch weiter – um beispielsweise Buchungssätze oder Look-Throughs für Risikobetrachtungen zu erstellen.

 

Wie zeitintesiv ist das?

Pertl: Die Rechenleistung der Server wird dort hochgefahren, wo ich gerade die massive Rechenleistung brauche – das heißt zuerst beim Auslesen, dann beim Validieren, im Recon, dann bei analytischen Berechnungen, wie der Investmentbuchhaltung oder dem Erstellen von Reports. Generative KI lernt zudem ständig hinzu, damit steigt die STP-Rate stetig weiter an. Wir konnten unsere eigene Rate zwischen den beiden letzten Quartalen um 1 Prozent von 89  auf 90 Prozent steigern.

Welche Rolle spielt dabei noch der Mensch?

Pertl: Abweichungen von 10  Prozent müssen immer noch Experten übernehmen und abarbeiten, aber auch hier lernt die KI dazu. Und schließlich sollte nicht die Wertschöpfung in der aktuellen Königsdisziplin der Gen-AI Co-Piloten außer Acht gelassen werden. Diese werden mit SLM-basierten Modellen gezielt auf Personal-Aufgaben geschult. Wie betrachtet ein Asset Manager oder ein Risikomanager die Anlagen in einem Portfolio oder aller Anlagen? Hier unterstützen Co-Piloten mit Antworten in Sekunden auf Fragen, Benchmarks, Analytics zu Performance, Risk und so weiter. Das ist ein Bereich, welcher sehr spannend ist und dem Fachkäftemangel entgegenwirken kann.

Wie gross ist die Nachfrage nach KI-gestützten Lösungen bei Clearwater? Können Sie uns hier konkrete Zahlen nennen?

Pertl: Stand heute nahmen in den vergangenen zwölf Monaten 463 unserer Kunden unser Angebot im KI Bereich an. 463 von 1400 – wir rechneten intern mit 5 bis 10 Prozent – dies zeigt, wie wichtig und wie effizient Gen-AI ist.

Auf welchem Stand sind ihrer Systeme?

Pertl: Im Datenmanagement haben wir eine STP-Rate von aktuell 90  Prozent auf fast eine Million aktiver Assets unserer Kunden – und dies beinhaltet auch alle Private Market Assets. Letztes Quartal waren wir, wie bereits erwähnt, bei 89 Prozent. Dennoch haben wir 800 Datenmanagement-Mitarbeiter – diese werden immer größere Datenmengen verarbeiten bei wachsender Präzision und einer steigenden STP Rate.

Welche KI-Strategie verfolgt Clearwater und inwieweit tätigen Sie Investitionen in diesem Bereich?

Pertl: KI ist Teil der Wachstums, der Investitions- und Qualitätsstrategie. Wir investieren über 100 Millionen US-Dollar jährlich in Forschung und experimentelle Entwicklung, aktuell gehen 60 Prozent davon in diese Bereiche. Wir haben mit AWS auch ein EU Datencenter in Frankfurt aufgebaut für unsere europäischen Kunden – auch dies war ein wichtiges Investment in diese für uns wichtige Region. 

Über den Interviewten

Maxim Pertl ist Partner für Asset Owners & Manager bei Clearwater Analytics in Frankfurt am Main. Er unterstützt Kunden in der DACH-Region bei der Umsetzung neuer cloud-native basierter Target-Operating-Modelle. Zuvor hatte Pertl führende Positionen bei Simcorp (Deutsche Börse), State Street, Markit (S&P) and Calypso Technology (Nasdaq) inne. Seine Karriere im Versicherungswesen startete Pertl bei der Aachener Münchener Versicherung.

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