Kampf gegen den Klimawandel „Wenn der Fortschritt ausbleibt, sind staatliche Eingriffe nicht auszuschließen“

Steffen Hörter ist Spezialist für Nachhaltigkeit. Der promovierte Finanzfachmann verantwortet bei Allianz Global Investors die weltweite Integration von ESG-Faktoren in sämtliche Anlageklassen.

Steffen Hörter ist Spezialist für Nachhaltigkeit. Der promovierte Finanzfachmann verantwortet bei Allianz Global Investors die weltweite Integration von ESG-Faktoren in sämtliche Anlageklassen. Foto: AGI

pbm institutionell: Die EU will den europäischen Kontinent komplett umkrempeln und die Wirtschaft bis zur Mitte dieses Jahrhunderts auf Klimaneutralität umpolen. Wie realistisch ist dieses Ziel?

Steffen Hörter: Zunächst einmal muss man sich vor Augen führen, dass das Ziel sehr ambitioniert ist. Zumal für die nächsten Monate der Kampf gegen das Sars-Cov-2-Virus die Prioritäten aller drastisch verändert hat. Die Europäische Union nimmt aber unbestreitbar mit dem Green Deal global eine führende Rolle ein. Die Realwirtschaft steuert auf einen massiven Transformationsprozess zu, der sich neben der Geschäftspolitik auch auf die Firmenstrategie, auf Produkte und Produktionsprozesse erstreckt. Unternehmen müssen sich daher auch intensiv mit ihrem Treibhausgasfußabdruck auseinandersetzen und Strategien entwickeln, um den Ausstoß klimaschädlicher Gase zu senken. Das muss Kernbestandteil der Geschäftsstrategie sein und sich auch im Risikomanagement widerspiegeln.

Die Expertenkommission „Task Force on Climate-related Financial Disclosures“ (TCFD) der G20-Staaten fordert beispielsweise, dass Unternehmen und Investoren prüfen müssen, wie sich bestimmte Klimaszenarien auf den Geschäfts- und Anlageerfolg auswirken. Die Transformation muss also primär von der Industrie und dem Dienstleistungssektor ausgehen und auch dort erfolgen. Die EU schätzt, dass mehr als 175 Milliarden Euro pro Jahr aus dem privaten Finanzsektor mobilisiert werden müssen, damit die Realwirtschaft den Umbau bewältigen kann.

Was kann die Finanzindustrie tun?

Hörter: Die Finanzindustrie muss eine aktive Rolle beim Umbau der Wirtschaft spielen. Investoren sind Kreditfinanzierer von Geschäftsmodellen und Miteigentümer als Aktionär. Durch den Dialog mit den Führungskräften über die Chancen und Risiken der Geschäftstransformation haben Investoren die Chance auf aktive Einflussnahme, dass sich Unternehmen optimal klimaneutral aufzustellen.

Woran erkennt man die Vorreiter?

Hörter: Erste Anhaltspunkte kann neben einem Geschäftsplan zur schrittweisen Reduktion des Treibhausgasfußabdrucks auch der Blick auf die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie die grünen Patente von Unternehmen liefern. Daran wird bereits deutlich, ob klimaneutrale Geschäftsideen aktiv entwickelt werden. In der fundamentalen Unternehmensanalyse hinterfragen wir nicht nur die Profitabilität von Unternehmen, ihre Marktpositionierung, die Bilanzstärke, sondern eben auch, wie das Management mit dem sogenannten Übergangsrisiko umgeht, mit dem es auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft herausgefordert ist. In unserem Research zeigt sich, dass innerhalb einer Branche sehr große Unterschiede bestehen, wo einzelne Unternehmen auf dem Pfad der Klimatransformation stehen.

Thyssen-Krupp steckt mitten im Transformationsprozess und will „grünen“ Stahl produzieren. Die Stahlproduktion, einer der größten Emittenten klimaschädlicher Gase, wird auf „Grün“ umgepolt. Welche Sektoren müssen ähnlich innovativ sein?

Hörter: Neben dem Stahlsektor stehen zum Beispiel auch Zementhersteller, Stromversorger, die gesamte Öl- und Gasindustrie, sowie die Luftfahrt und viele andere Branchen unter großem strategischem Druck, ihre Treibhausgasemissionen rapide zu senken. Die Automobilindustrie steht bekanntermaßen auf dem Sprung zu alternativen Antriebsarten. Wichtig: für alle diese Industrien ergeben sich auch große Geschäftschancen – neben grünem Stahl zum Beispiel auch durch Innovation für Zement, Chemie und Kraftstoffe. Das gilt auch für die Steigerung der Energieeffizienz durch optimierte Leitermaterialien und vieles mehr. Hier entstehen neue globale Märkte.

Die Allianz will bis 2050 klimaneutral werden. Was treibt Sie an?

Hörter: Der Klimawandel und damit verbundene Risiken sind real, global und erfordern gemeinsames Handeln. Die einhergehenden Auswirkungen sind für Unternehmen und Investoren erheblich und lassen sich in zwei Kategorien einteilen: physikalische Klimarisiken und Übergangsrisiken. Physikalische Klimarisiken zeigen sich in der messbaren Zunahme von extremen Wetterereignissen durch die globale Erderwärmung. Was viele übersehen: Wir haben schon mehr als ein Grad globale Erderwärmung. Extreme Hitze, Stürme und Niederschläge nehmen messbar zu. Übergangsrisiken wiederum ergeben sich für Branchen und Unternehmen aus dem Wandel zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft. Klimarisiken sind insbesondere für langfristige Investoren in der Kapitalanlagestrategie extrem bedeutend. 

Was heißt das für Anleger?

Hörter: Wenn in einer globalen arbeitsteiligen Wirtschaft Lieferketten wegen eines Extremwettereignisses nicht funktionieren, entstehen große realwirtschaftliche Risiken. Wir sehen ja aktuell im Zusammenhang mit SARS-Cov-2, was es bedeutet, wenn Lieferketten zusammenbrechen. Angebots- und Nachfrageschocks sind die Folgen. Wenn einzelne Unternehmen zu spät reagieren, ihr Geschäftsmodell auf Klimaneutralität auszurichten, entstehen Investmentrisiken. Also bin ich als Anleger gut beraten, Klimarisiken und Chancen aktiv in die Investmentanalyse und Anlageentscheidung einzubauen.