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Interview mit Bond-Spezialist „Investmentgrade-Anleihen bieten zurzeit attraktive Einstiegskurse“

Fed-Chef Jerome Powell

Fed-Chef Jerome Powell: Je stärker sich die Inflation der 3-Prozent-Marke nähert, desto eher wird die Fed zu einer Zinspause bereit sein und die Geldpolitik irgendwann wieder lockern. Foto: Imago Images / MediaPunch

Herr Bettini, 2022 war eines der schwächsten Jahre für Anleihen seit Langem. Sind Investmentgrade-Anleihen nach dem Ausverkauf wieder interessanter?

Damir Bettini

Damir Bettini: Der Ausblick ist heute vielschichtiger. 2022 war wirklich sehr schwierig. Anders als in früheren Krisen war diesmal aber kein Einzelereignis der Auslöser, etwa ein großer Zahlungsausfall oder sektorspezifische Probleme. Der Ausverkauf betraf daher alle Marktsegmente. Aufgrund der großen Unsicherheit weiteten sich die Investmentgrade-Spreads weltweit stark aus, seit ihren Tiefstständen 2021 um etwa 100 Basispunkte. Im Herbst lagen sie laut Bloomberg bei fast 190 Basispunkten. Wegen der steigenden Renditen und Spreads fielen die Kurse oft deutlich.

Ende 2022 notierten fast 90 Prozent der Investmentgrade-Anleihen weltweit unter pari (Grafik 1), und 40 Prozent sogar unter 90 (Grafik 2). Die Bewertungen sind jetzt sehr viel günstiger geworden.

Grafik 1: 2022 notierten so viele Anleihen unter pari wie selten zuvor

 

Grafik 2: Weltweit notierten 40 Prozent der Investmentgrade-Anleihen unter 90

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Im 4. Quartal 2022 stiegen Credits dann aber wieder kräftig, sodass fast die Hälfte der Spreadausweitung rückgängig gemacht wurde. Mittlerweile bezweifelten die Marktteilnehmer, dass die kurz zuvor noch für unausweichlich gehaltene Rezession wirklich stattfinden wird. Als die Kurse stiegen, gingen die Spreads drastisch zurück. Aber die Renditen sind noch immer hoch: Für Langfristinvestoren, für die die Gesamterträge zählen, bieten Investmentgrade-Anleihen zurzeit attraktive Einstiegskurse. Hinzu kommt ein ordentlicher Renditepuffer für den Fall, dass die Kurse erneut nachgeben.

Die Stimmung hat gedreht. Aber was genau ist heute anders? Hat der Markt recht?

Bettini: Die Trendwende begann im Oktober. Immer mehr setzte sich die Ansicht durch, dass die Inflation konjunkturelle Ursachen hat und die Fed sie auch ohne große Abstriche beim Wirtschaftswachstum eindämmen kann. Man rechnete also mit einer maßvolleren Geldpolitik. Heute ist man sich einig, dass wir nur eine sehr milde Rezession bekommen dürften. Vielleicht gelingt es den USA sogar, sie ganz oder fast ganz zu vermeiden. Dennoch bleibt die Unsicherheit groß. Da die Geldpolitik die Realwirtschaft mit Verzögerung beeinflusst, haben wir die volle Wirkung der stärksten Straffung aller Zeiten noch nicht zu spüren bekommen. Auch könnte sich die Inflation als eher strukturell erweisen, sodass die Zinsen noch weiter erhöht werden müssten. Man könnte sogar sagen, dass der stabile Arbeitsmarkt, so oft er auch als Argument gegen eine Rezession herhalten muss, für anhaltenden Inflationsdruck spricht. Dann müsste die Geldpolitik noch stärker gestrafft werden und wir würden eine tiefere und längere Rezession bekommen.