Investieren statt spekulieren Worauf es beim Value Investing ankommt

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Nackte Zahlen

Bei der Bewertung der einzelnen Titel sollte der Blick zunächst Kennzahlen beziehungsweise deren Entwicklungen wie der Gesamtkapital-Rentabilität, des Umsatzes, des Ertrags auf das Eigenkapital und des Ertrags pro Aktie gelten. Im aktuellen Marktumfeld suchen wir eine Gesamtkapital-Rentabilität, die beständig im zweistelligen Bereich pro Jahr liegt. Kurzfristige Entwicklungen sind dabei meist eher egal. Wichtig ist die Kontinuität im zweistelligen Bereich über zehn oder mehr Jahre. Gesucht wird zunächst nach Beständigkeit im Wachstum. Ist diese nicht vorhanden, wird der Titel entweder aussortiert. Oder er kommt – je nach Konstellation der Kennzahlen – in einen der anderen Töpfe für spezielle Situationen, wie Turnaround-Kandidaten oder Schnäppchen, also Unternehmen mit einem ökonomisch nachhaltigen Geschäftsmodell, die unter ihrem inneren Wert zu haben sind.

Stimmt das erste Bild des Zielunternehmens auf Basis des nackten Zahlenmaterials, kommen weitere Informationen aus Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) hinzu. Des Weiteren richtet sich der Blick auf die Entwicklung der Wachstumsraten in den einzelnen Kennzahlen. Ist sie kontinuierlich oder sprunghaft? Interessant sind unter anderem die durchschnittlichen Entwicklungen der Wachstumsraten über ein, drei und fünf Jahre.

Auch die Strategie der Unternehmensführung ist aufschlussreich: Die Veränderung des Eigenkapitals zeigt an, ob Vermögen aufgebaut wird. Kassenbestand und kurzfristige Wertpapiere oder auch der Free Cash Flow sind Indikatoren für die Reaktionsfähigkeit und Robustheit des Unternehmens bei Marktveränderungen.

Ebenso sind die Auszahlungen ein wichtiger Indikator. Dividenden sind gern gesehen, doch es muss auch noch genug Geld in der Kriegskasse und für Investitionen bleiben, sollen Reaktionsfähigkeit und Wachstumspotenzial gewahrt werden. Das Verhältnis von Dividende zu Gewinn, die Pay-out-Ratio, sollte nicht zu hoch, sondern in einem guten Verhältnis zum Wachstum stehen.

Wachstum ist auch nicht immer gleich zu bewerten, wie das Beispiel eines großen chinesischen Mobilfunkanbieters zeigt: Hier beruhte das beeindruckende Umsatzwachstum auf immensen Ausgaben für Marketing und Vertrieb. Am Ende blieb trotz des Umsatzwachstums kaum mehr Überschuss in der Kasse. Das Nettoeinkommen wuchs nicht mit, sodass die Aktionäre kaum vom Wachstum profitieren. Hier muss die Frage gestellt werden, ob die Unternehmensführung eigene oder andere Interessen verfolgt – die Interessen der Aktionäre jedenfalls nicht primär. Oftmals sorgen hier die am Umsatz ausgerichteten Zielvereinbarungen angestellter Vorstände für Konflikte.

Vorsicht ist auch bei Börsenlieblingen wie Amazon oder Tesla geboten: Die Unternehmen zeigen extreme Wachstumsraten, sind allerdings bereits hoch bewertet. Die allgemeine Erwartung ist hoch und birgt bei geringsten Unregelmäßigkeiten in der Entwicklung erhebliche Enttäuschungen. Ein gutes Beispiel dafür ist Cisco Systems: Investoren, die im Jahr 2000 nach hervorragenden Prognosen investierten, warten noch heute auf die Amortisation ihres Investments, obwohl die Unternehmensentwicklung gut war. Der Preis war damals nur einfach zu hoch.

Gleichwohl ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) eine oft überbewertete Kennzahl. Denn es zeigt nur eine statische Momentaufnahme zum Stichtag, die von Sondersituationen beeinflusst sein kann. So wiesen Ölgesellschaften im Frühjahr 2016 stichtagsbezogen übermäßig hohe KGVs aus, wären zum damaligen Zeitpunkt jedoch ein gutes Investment gewesen.