Chef von BNP Paribas AM im Interview „Es wird für kleine Boutiquen wirtschaftlich schwieriger“

Sandro Pierri ist Vorstandsvorsitzender von BNP Paribas Asset Management.

Sandro Pierri ist Vorstandsvorsitzender von BNP Paribas Asset Management. Foto: BNP Paribas Asset Management

private banking magazin: Herr Pierri, welches sind die größten Risiken für die Weltwirtschaft in den nächsten Jahren?

Sandro Pierri: Kurzfristig sind es die Auswirkungen der veränderten Geldpolitik der Zentralbanken. Interessanter ist aber die mittel- und langfristige Perspektive, denn wir leben in einer ungewöhnlichen Zeit. Der Grund dafür sind vier Disruptionen, die gleichzeitig auftreten. Erstens, der Nachhaltigkeitswandel, der sich nach der Covid-Pandemie beschleunigt hat. Zweitens, die demografische Krise, die sich tiefgreifend auf die allgemeine Wirtschaftsentwicklung auswirkt. Sie umfasst sowohl die Alterung in den Industrieländern als auch den möglichen Höhepunkt des Bevölkerungswachstums in einigen Schwellenländern, insbesondere in China.

Drittens, die technologische Disruption. Auch diese hat sich nach Covid beschleunigt und hat deutlich beeinflusst, wie wir die Wirtschaft betrachten. Viertens, die geopolitische Disruption, deren Keime bereits vor der Russland-Ukraine-Krise vorhanden waren. Sie ist eindeutig eines der Hauptthemen. Wir stehen vor dem Ende der Globalisierung, zumindest so, wie wir sie bisher erlebt haben. Es ist außergewöhnlich, dass vier große Umbrüche gleichzeitig stattfinden. Ich habe das in meinem Berufsleben noch nicht erlebt, und es ist auch einzigartig in den letzten hundert Jahren. Alle vier Trends sind zudem miteinander verknüpft. 

Können Sie Beispiele dafür nennen, wie die Trends miteinander verbunden sind? 

Pierri: In einigen Fällen verstärken sie sich einander, in anderen Fällen sind sie gegensätzlich. Beginnen wir mit Demografie und Nachhaltigkeit: Wie schaffen wir einen gerechten Wandel, wenn die Mehrheit der Schwellenländer, in denen die demografischen Veränderungen am größten sind, von fossilen Brennstoffen abhängig sind? Oder Globalisierung und Inflation: Wir haben in einer Welt gelebt, in der der Zugang zu günstigen Arbeitskräften und günstiger Energie die Norm war, was die Inflation gedrückt hat. Das ist jetzt vorbei. 

Die meisten der von Ihnen genannten Störfaktoren sind schon seit Jahren bekannt. Haben einige Vermögensverwalter diese einfach ignoriert oder nicht rechtzeitig reagiert? 

Pierri: Es stimmt, dass einige dieser Trends schon seit Jahren bekannt sind. Aber ich würde auch behaupten, dass die geopolitischen Umwälzungen relativ neu sind, sie begannen vor vier oder fünf Jahren. Die Entwicklung der Herausforderungen durch den Nachhaltigkeitswandel hat sich nach der Covid-Pandemie ebenfalls enorm beschleunigt. Es ist richtig, dass diese beiden Trends schon bekannt waren, aber sie haben deutlich an Fahrt gewonnen. Covid war ein echter Katalysator für ein Umdenken in der Art und Weise, wie wir Geschäfte machen und arbeiten. Ich würde nicht sagen, dass die Vermögensverwaltungsbranche langsam war. Zudem dürften die langfristigen Fundamentaldaten der Branche solide bleiben. 

 

Wie begründen sie das? 

Pierri: Das basiert auf zwei Faktoren. Erstens, auf dem Wachstum des globalen Vermögens, das immer noch anhält. Dessen Zusammensetzung kann sich allerdings ändern, da wir mehr Wachstum in den Schwellenländern beobachten. Das zweite Element ist der Prozentsatz des professionell verwalteten Vermögens: Ein erheblicher Anteil wird immer noch nicht professionell verwaltet. Wir profitieren daher weiterhin von einem Anstieg, der darauf zurückzuführen ist, dass institutionelle Anleger ihre Anlagetätigkeiten zunehmend an Vermögensverwalter wie uns auslagern. Die langfristigen Grundlagen für unsere Branche haben sich also nicht geändert. Was sich ändert, ist, dass uns diese Umwälzungen dazu zwingen, darüber nachzudenken, was Erfolgsfaktoren in diesem Umfeld sein könnten. 

Was wird zum Erfolg führen? 

Pierri: Wir glauben, dass aktives Management aufgrund der Disruption wieder wichtig werden wird. Im Moment des Umschwungs gibt es Gewinner und Verlierer auf Unternehmens-, Branchen- und Länderebene. Und ein guter aktiver Manager wird diese Gelegenheiten nutzen, um für seine Kunden einen Mehrwert zu schaffen. Passive Anlagen werden weiterhin eine wichtige Rolle spielen, aber wir sehen, dass aktive Anlagen an Bedeutung gewinnen. Zweitens wird Nachhaltigkeit ein Kernprozess der Vermögensverwaltungsbranche werden. In dieser Hinsicht wird das regulatorische Umfeld absolut entscheidend sein, um die Form des Wachstums zu definieren. Drittens wird die technologische Entwicklung beeinflussen, wie Vermögensverwalter mit ihren Partnern Geschäfte machen. Sie wird die Beziehung zu Vertriebspartnern sowie das Produkt- und Serviceangebot verbessern.

 

Ist aktives Management in der Zeit dieses Umbruchs wirklich überlegen? Auch Assetmanager müssen die vier disruptiven Faktoren gleichzeitig bewältigen und können nicht in die Zukunft blicken.

Pierri: Das war schon immer unsere Aufgabe. Entscheidend ist, in Unternehmen zu investieren, die in Zukunft wertvoller sein werden, also Unternehmen zu identifizieren, die in diesem neuen Umfeld einen Wettbewerbsvorteil haben werden. Bei der Diskussion über aktive und passive Anlagen geht es letztendlich um die Effizienz des Marktes und darum, ob alle Informationen im Markt eingepreist sind. Dabei beobachten wir, dass der Nachhaltigkeitsaspekt immer mehr zu einem Alpha-Faktor wird, weil die Qualität der verfügbaren Nachhaltigkeits-Informationen auf Unternehmensebene noch reifen muss. Die Auswirkungen von Nachhaltigkeit und die mit ihrem Mangel verbundenen Risiken sind noch nicht ausreichend erforscht. Diese Informationen sind daher nicht für alle Marktteilnehmer verfügbar.

Das Umfeld ist förderlich für aktives Management. Die Realität ist dennoch, dass es gute und schlechte aktive Manager gibt.  

Ein zweites Argument lautet: Je bedeutender der passive Ansatz wird, desto weniger sind Unternehmen bereit, in die Recherche von Unternehmen zu investieren. Es gibt einen Schwellenwert, ab dem ein Unternehmen nicht mehr ausreichend erforscht ist. Die entstandene Informationsasymmetrie führt dann wiederum zu neuen Chancen. 
Und das dritte Argument ist: Disruption ist der Moment, in dem ein Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil erlangt oder verliert. Und unsere Aufgabe als Branche ist es, dies zu erkennen. Kurz: Das Umfeld ist förderlich für aktives Management. Die Realität ist dennoch, dass es gute und schlechte aktive Manager gibt. 

Wie können Investoren zwischen guten und schlechten Managern unterscheiden?

Pierri: Den Faktor, den ich hier anführen möchte, sind die Ressourcen, die jedes Unternehmen für die Recherche einsetzt, um Alpha zu generieren. Qualität und Quantität sind entscheidend. Hinzu kommt die Unternehmenskultur: Hat das Haus verinnerlicht, dass der Schlüssel zum Wachstum die Qualität der Investitionsmöglichkeiten ist, die sie schaffen? Die Kombination aus Recherche-Budget, Kultur und Menschen ist also wichtig. Das Einzige, was sich von der Vergangenheit unterscheiden wird, ist, dass die Quantität und Qualität der Recherche von den Ressourcen und Rahmenbedingungen abhängt, und damit von der Größe des Unternehmens. Das wird den Wettbewerb intensivieren. Hinzu kommt, dass wir in einem Umfeld agieren, in dem die regulatorischen Vorschriften und ihre Einhaltung immer komplexer werden. Auch das ist eine weitere Motivation auf Skaleneffekte, also Größe, zu setzen.

Glauben Sie, dass es noch einen Platz für Investmentboutiquen gibt, oder werden wir eine enorme Konsolidierungswelle erleben?

Pierri: Es ist nie binär. Es stimmt, dass kleine Boutiquen jetzt in einem Umfeld agieren müssen, das komplizierter für sie ist. Die Kosten für das Einhalten von Vorschriften, die Anpassung an die Regulierung und die Notwendigkeit, ESG als Schlüsselelement zu integrieren, sind meiner Meinung nach zu hoch. Es wird für Boutiquen daher in Zukunft wirtschaftlich schwieriger. Es wird dennoch eine Reihe von Boutiquen geben, denen es gut geht, und die durchaus ihre Berechtigung haben. 

 

 

Sie haben schon einige genannt, was sind die größten Herausforderungen vor denen Vermögensverwalter in den nächsten Jahren stehen?

Pierri: Wir erleben zum ersten Mal, dass die Inflation unsere Kosten in die Höhe treibt. Und – im Gegensatz zu anderen Branchen – können wir diese nicht an unsere Kunden weitergeben. Der Wettbewerb um niedrige Gebühren wird bleiben. Der Umgang mit der Inflation erfordert daher ein höheres Maß an Effizienz und Automatisierung. Technologie ist also der Schlüssel. Und das ist eine der größten Herausforderungen. Unsere Branche hat sich immer auf das Humankapital, das heißt die Portfoliomanager, konzentriert. Das wird der Kern unseres Geschäfts bleiben. Aber wir müssen ein attraktiverer Arbeitgeber für technologisch qualifizierte Arbeitnehmer werden. Das ist herausfordernd, weil es neu ist und wir daher gegenüber den traditionellen Tech-Arbeitgebern noch benachteiligt sind. 


Über den Interviewten: 

Sandro Pierri ist Vorstandsvorsitzender von BNP Paribas Asset Management. Er kam 2017 als Globaler Leiter des Vertriebs- und Marketingbereichs (Global Head of Client Group) zu BNP Paribas AM. Zuvor war er unter anderem für die ING Gruppe in Italien tätig, auch nach deren Übernahme durch Pioneer im Jahr 2004. Seine Karriere startete Pierri als Portfoliomanager bei San Paolo Fondi. 

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