Interview mit Dieter Lehmann von der Volkswagen Stiftung, Teil 1 „Mein Job ist es, frühzeitig Probleme auszumachen“

Dieter Lehmann von der Volkswagen Stiftung.

Dieter Lehmann von der Volkswagen Stiftung: „Wir wissen, dass wir mit unserer Haltung, was Alternatives betrifft, ein gutes Stück weit gegen den Strom schwimmen.“ Foto: Daniel Moeller

private banking magazin: Herr Lehmann, Sie verwalten ein Stiftungskapital von gut 4,1 Milliarden Euro. Welche Ziele verfolgen Sie?

Dieter Lehmann:Die Stiftung fördert Wissenschaft und Technik. Dies gilt für Forschung und Lehre. Die Förderung umfasst alle Bereiche: Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Gesellschaftswissenschaften, Ingenieurwissenschaften und Medizin. Das Stiftungskapital bringt Erträge. Diese kommen aus drei Quellen: Zinsen, Dividenden und Mieteinnahmen. Von diesen Erträgen werden die laufenden Kosten abgezogen. Ein Teil wird gesetzlich erlaubt zurückgelegt. Der Rest steht für neue Förderungen zur Verfügung.

Wie kann man sich Ihre Stiftungsarbeit vorstellen?

Lehmann: Wir sind zwar eine große Stiftung, aber im Vergleich zu anderen Förderern haben wir natürlich begrenzte finanzielle Mittel. Wir wollen Impulse setzen. Unterm Strich versuchen wir über verschiedene Förderinitiativen Schwerpunkte zu setzen, die nach unserem Verständnis vielleicht etwas zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Gelingt das, schaffen wir es unter Umständen auch, andere Geldgeber zusätzlich zu aktivieren. Dann ziehen wir uns wieder heraus und gehen andere Schwerpunkte an.

Was wäre ein solches, unterrepräsentiertes Thema?

Lehmann: In der Vergangenheit hatten wir eine Forschungsinitiative im subsaharischen Afrika, welche über mehrere Jahre lief. Dabei ging es um konkrete Vorhaben, etwa im Bereich der Medizinforschung, aber auch darum, jungen afrikanischen Nachwuchswissenschaftlern über die Verbesserung wissenschaftlicher Infrastruktur Anreize zu schaffen, in ihren Heimatländern zu arbeiten und zu forschen beziehungsweise auch dabei zu helfen, den wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden.Unser Ziel ist es, nachhaltig zu wirken und nicht nur kurzfristig Geld zu geben.

Wie hoch ist die Summe der Fördermittel, die Sie jährlich bewilligen können?

Lehmann: Bis zur Reform des Stiftungsrechts war eindeutig geklärt, dass Stiftungen nur ordentliche Erträge, die Fruchtziehung wie es früher hieß, verwenden dürfen. Der Kapitalstamm sollte nicht beschädigt werden. Daran halten wir unverändert fest, obwohl es seit 2023 möglich ist, realisierte Kursgewinne aus der Umschichtungsrücklage zu entnehmen und für die Verwirklichung des Stiftungszwecks einzusetzen. Bei uns ist es im Übrigen so, dass wir zwei Fördertöpfe haben. Der eine Topf bedient das sogenannte Programm „Zukunft Niedersachsen“. Das ist in der Gründungshistorie der Volkswagen Stiftung begründet.

Das müssen Sie mir genauer erklären?

Lehmann: Wir sind keine Unternehmensstiftung im klassischen Sinne. Die Stiftung entstand aus der Privatisierung des Volkswagenwerkes. Der Bund und das Land Niedersachsen waren die Rechtsnachfolger nach dem Krieg. In diesem Zuge wurde das Werk von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 60 Prozent der daraus gewonnen Aktien wurden verkauft.

Aus dem Erlös wurde die Stiftung gegründet. Das Gründungskapital in den 60er-Jahren betrug rund eine Milliarde D-Mark. Jeweils 20 Prozent behielten zunächst der Bund und das Land Niedersachsen. Der Bund verkaufte seine Anteile in den 80er-Jahren. Der Erlös von 808 Millionen D-Mark ging dann ebenfalls an die Stiftung.

Und das Land Niedersachsen?

Lehmann: Das hält seinen Anteil, der noch immer bei 20 Prozent liegt. Um den Anteil konstant zu halten, nahm das Land im Laufe der Jahre an Kapitalerhöhungen teil. Finanziert wurde dies aus Steuermitteln.

Warum ist dem Land daran gelegen, den Anteil bei 20 Prozent zu halten?

Lehmann: Das ist verbunden mit einem besonderen Stimmrecht für das Land, welches im Zuge der Privatisierung des Werkes so festgelegt wurde und dem Land schon bei diesem Anteil ein Vetorecht bei wichtigen zu treffenden Beschlüssen einräumt. Hätte das Land an den Kapitalerhöhungen nicht teilgenommen, läge sein Anteil an der Volkswagen AGnur noch bei etwa 10 Prozent. Das ist aber wiederum genau der Anteil, der auch heute noch mit der Gründungshistorie der Volkswagen Stiftung in Verbindung zu bringen ist.

Was passiert mit dem Gewinn, den die Anteile generieren?

Lehmann: Die Gewinnansprüche aus den mit der Volkswagen Stiftung in Verbindung stehenden Anteilen, in der Regel handelt es sich dabei um die Dividendenzahlungen, müssen an die Stiftung abgeführt werden. Die Stiftung betrachtet diese wirtschaftlich gesehen als einen durchlaufenden Posten. Das Geld wird dem Land Niedersachsen wieder zur Verfügung gestellt, wenn es belegen kann, dass es für Projekte im Sinne des Stiftungszwecks im Rahmen des Programms „Zukunft Niedersachsen“ eingesetzt wird. Hier haben wir als Stiftung eine Art Aufsichtsfunktion inne.

Sie sprachen von zwei Fördertöpfen …

Lehmann: Die ordentlichen Erträge, die wir aus dem eigentlichen Stiftungskapital erwirtschaften, fließen dem zweiten Topf zu, der Allgemeinen Förderung, die also nicht nur auf das Land Niedersachsen beschränkt ist. Es gibt in Deutschland keine gesetzliche Vorgabe darüber, wie viel eine Stiftung ausschütten muss. Es gibt jedoch das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung. Das beinhaltet, dass ordentliche Erträge spätestens zwei Jahre nach dem Jahr des Zuflusses dem Stiftungszweck zugeführt werden müssen.

In den USA ist es anders. Dort müssen Stiftungen jährlich ausschütten …

Lehmann: In den USA müssen jährlich 5 Prozent des Stiftungsvermögens für satzungsgemäße Zwecke, inklusive der laufenden Geschäftskosten, ausgeschüttet werden. Im Gegenzug gibt es in den USA keine gesetzlichen Vorgaben bei der Kapitalerhaltung.

Das klingt logisch …

Lehmann: Das eine würde zu dem anderen nicht passen. Wenn vorgegeben wird, dass ein bestimmter Betrag unabhängig von Inflationsrate und jeweiligen Bedingungen an den Kapitalmärkten ausgeschüttet werden muss, kann auf der anderen Seite kein realer Kapitalerhalt erwartet werden. Wir haben uns in der Volkswagen Stiftung ungeachtet der fehlenden gesetzlichen Vorgaben dennoch im Jahr 2005 eine Zielsetzung gestellt für die Summe der Neubewilligungen für unsere Allgemeine Förderung. Dieselag bei50 bis 60 Millionen Euro pro Jahr. Diese Bandbreite wird seitdem fortgeschrieben mithilfe einer speziellen Inflationsrate, die wir auch zur Berechnung unserer realen Kapitalerhaltung benutzen. Dadurch wuchs im Jahr 2024 das Zielvolumen auf eine Bandbreite von 74 bis 88,8 Millionen Euro an.

In den vergangenen Jahren lagen wir für diesen Fördertopf immer über der Obergrenze. Im vergangenen Jahr lagen wir ziemlich genau bei 100 Millionen Euro. Dazu möchte ich sagen, dass alle Projekte, die wir bewilligen, durchfinanziert sind. Verantwortliche eines Projekts, das beispielsweise drei Jahre Zeit in Anspruch nimmt, können sich darauf verlassen, dass die bewilligten Mittel bis zum Ende der Projektlaufzeit zur Verfügung stehen.

Sie konnten in den vergangenen Jahren mehr Fördermittel als geplant bewilligen. Wie ist das vor dem Hintergrund von Corona, Russland-Krieg, diversen weiteren geopolitischen Spannungen, Zinswende und der einhergehenden Inflation möglich?

Lehmann: Dafür muss man zurückschauen auf die Zeit rund um die Jahrtausendwende und auf das Jahr 2005, in dem wir unsere Förderziele definiert haben. Unser zweites großes Ziel ist die reale Kapitalerhaltung. In Deutschland besteht die Möglichkeit nach Paragraf 62 der Abgabenordnung, ein Drittel des Überschusses aus Vermögensbewirtschaftung dem Kapital zuzuführen zum Zwecke der realen Kapitalerhaltung. Der Überschuss aus Vermögensbewirtschaftung setzt sich aus den ordentlichen Erträgen abzüglich der Kosten für die Vermögensbewirtschaftung zusammen.

Das Zinsniveau war bis vor wenigen Jahren niedrig bis negativ …

Lehmann: Und die Rücklage, die wir bis dahin immer komplett ausgeschöpft hatten, hat viele ordentliche Erträge gebunden. Wir mussten feststellen, dass die Rücklage auf den ersten Blick hoch war, aber auch in Zeiten einer niedrigen Inflation nicht ausreichend ist, um das Kapital real zu erhalten. Dafür muss auf Sachwerte gesetzt werden, beispielsweise auf Aktien und Immobilien. Also auf Anlagen, die keine Endfälligkeit haben und bei denen man somit von einem langfristigen Wertzuwachs profitieren kann. Verzinste Wertpapiere können natürlich auch Kursschwankungen haben, werden bei Fälligkeit aber zu 100 Prozent zurückbezahlt, so die Bonität des Emittenten ausreichend ist.

Bei Rententiteln entstehen manchmal Kursgewinne. Diese müssten durch Verkauf realisiert werden. Dabei verliert man aber die höhere laufende Verzinsung. Wartet man bis zur Endfälligkeit, sind die Kursgewinne wieder weg. Deshalb änderten wir unsere Anlagestrategie. Wir verringerten den Anteil an verzinslichen Wertpapieren. Stattdessen investierten wir mehr in Aktien.

Wie schlägt sich das in Ihrem Portfolio nieder?

Lehmann: 1998 hatten wir eine Aktienquote von 26 Prozent, während unsere Immobilienquote seit jeher zwischen 10 und 15 Prozent liegt, damals lag sie bei 11 Prozent. Der Rest, also etwa 63 Prozent, war in verzinsten Wertpapieren angelegt. Aktuell liegen wir bei 49,5 Prozent Aktien im Portfolio, 10 Prozent Immobilien und rund 37 Prozent Rentenpapiere plus circa 3 Prozent Liquidität und 0,5 Prozent in alternativen Investments. Vor der Zinswende lagen wir deutlich über 50 Prozent bei Aktien.

Wie soll sich Ihr Portfolio weiter entwickeln?

Lehmann: Zugunsten der Liquidität reduzierten wir den Aktienbestand zuletzt etwas, da es im kurzfristigen Bereich wieder eine ansprechende Verzinsung gibt. Ab dem Jahr 2012 ging es in diesem Bereich gegen Null und später sogar in den negativen Bereich, weshalb wir keine Liquidität mehr vorhielten, um Strafverzinsungen zu vermeiden. Nun liegen wir wieder bei knapp 3 Prozent, was ungefähr 120 bis 150 Millionen Euro entspricht, die in Termingeldern und Wertpapieren mit einer Laufzeit bis maximal zwei Jahre angelegt sind.

In der Aufzählung vermisse ich ein bisschen Private Equity und Private Debt …

Lehmann: Wir zählen Immobilien nicht zu den Alternatives, weshalb unsere Anlagen in alternativen Investments derzeit bei rund 0,5 Prozent liegen. Wir waren ab 2005 durchaus mit nennenswerten Beträgen in Private Equity und Hedgefonds investiert. Das hat aber alles nicht funktioniert und führte zu wenig erfreulichen Resultaten.

Können Sie das genauer erklären?

Lehmann: Unsere beiden Private-Equity-Mandate, eines mit dem Schwerpunkt US-Buy-outs, eines mit European Secondaries, erzielten über die Jahre eine Performance von 2 Prozent pro Jahr. Das war natürlich viel weniger, als uns zuvor in Aussicht gestellt wurde. Das lag jedoch vielleicht auch daran, dass wir eine hundertprozentige Ergebnistransparenz hatten. Denn wir legtenüber die jeweiligen Commitment-Summen Zertifikate auf. Das stimmten wir zuvor ab, mittels verbindlicher Auskunftmit dem für uns zuständigen Finanzamt.

Wie viel Geld haben Sie investiert?

Lehmann: Es waren 60 Millionen Euro pro Fonds. Den Betrag nutzten wir, um das Zertifikat zu kaufen. So gelangte das Geld, wenn Sie so wollen, hinter die Zertifikatskulisse. Ab dann oblag es den Managern, das benötigte Geld je nach Abruf in die zuvor ausgewählten Private-Equity-Fonds zu investieren und die nicht abgerufenen Mittel anderweitig vernünftig anzulegen.

Die Gesamtperformance des so verwalteten Geldes ließ sich sehr sauber und transparent in der Wertentwicklung der beiden Zertifikate ablesen. Im Ergebnis konnten keine versteckten Kosten und Gebühren verschleiert werden. Unter dem Strich stand nach zwölf und fast 20 Jahren pro Fonds ein ernüchterndes Ergebnis von jeweils nur 2 Prozent pro Jahr, trotz der unterschiedlich gewählten Investment-Schwerpunkte. Das hat uns nicht gereicht, wir sind ausgestiegen.

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