Interview zur Wahl in Frankreich „Diese Wahl ist nicht einfach die Wiederholung von 2017“

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Sie sprechen das Klima an – werden bestehende ESG-Regeln und -Vorschriften auf den Prüfstand gestellt?

Chetouane: Der ESG-Rahmen wurde mit dem Ziel gestaltet, private Kapitalströme dazu zu motivieren, jenseits von parteipolitischen Trennlinien die gewaltigen Herausforderungen für unsere Gesellschaft anzugehen. ESG-Vorschriften werden zunehmend gemeinsam von nationalen und europäischen Institutionen erarbeitet, was den Einfluss nationaler Regierungen begrenzt. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass Marine Le Pen größeren Widerstand gegen den auf europäischer Ebene konzipierten Rahmen leisten würde als Emmanuel Macron. Die dem ESG-Rahmen zugrunde liegenden Themen scheinen für die extrem rechte Partei außerdem keine Priorität zu haben. Sie hat vielmehr gesagt, dass sie Subventionen für Solar- und Windkraft senken würde. Damit würde sich Frankreich vermutlich von der Energiestrategie der EU und den europäischen Plänen für eine Energiewende entfernen.

Die Kombination aus Zinsanhebungen und quantitativer Straffung verschiebt die Risiken für eine harte wirtschaftliche Landung nach oben.

Und wird sich die allgemeine Regulierung von Kapitalmärkten durch die Wahl verändern?

Chetouane: Die französischen Kapitalmärkte unterstehen der Aufsicht der Autorité des Marchés Financiers; Finanzstabilität liegt in der Verantwortung der unabhängigen EZB. Im Rahmen der Europäischen Währungsunion entwickeln sich die französischen Kapitalmarktvorschriften durch die Integration von EU-Initiativen und die Weiterentwicklung globaler Kapitalmärkte weiter. Emmanuel Macron ist vor diesem Hintergrund ein proeuropäischer Kandidat und wir rechnen nicht damit, dass er Frankreichs Kurs mit Blick auf die Kapitalmarktregulierung umkehren oder verändern wird. Seine Gegenspielerin zeigt hingegen strukturelle Anzeichen des Widerstands gegen die Umsetzung von EU-Vorschriften in französisches Recht. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit von Störungen, falls sie die nächste Präsidentin wird.

Zur angesprochenen EZB: Die Inflation ist derzeit ein großes Thema, Herr Dujardin...

Dujardin: Große Zentralbanken haben politische Normalisierungsprozesse angestoßen. Das unterschiedliche Tempo der politischen Normalisierung liegt größtenteils darin begründet, dass die verschiedenen Volkswirtschaften mit anderen Dynamiken konfrontiert sind. Obgleich die Energiepreise auch in den USA die Inflation ankurbeln, sind sie dort nur für etwa ein Drittel der Entwicklung verantwortlich, während sie in Europa zwei Drittel ausmachen. Dieser Unterschied ist entscheidend, da er zwei verschiedene politische Werkzeugkästen rechtfertigt, um die Erhöhung der Preise zu bekämpfen. So signalisiert die Fed einen deutlich aggressiveren restriktiven Prozess als die EZB. Das spiegelt sich auch in dem kürzlich angekündigten Fahrplan für quantitative Straffung wider. Die Kombination aus Zinsanhebungen und quantitativer Straffung verschiebt die Risiken für eine harte wirtschaftliche Landung nach oben.

Wie muss vor diesem Hintergrund die künftige Politik der EZB aussehen, um einen breiteren gesellschaftlichen Konsens zu erzielen?

Chetouane: Das Mandat der EZB ist im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgelegt, der ihr die Aufgabe überträgt, Preisstabilität zu gewährleisten. Um das zu erreichen, gewährt der Vertrag der EZB vollständige politische Unabhängigkeit. Preisstabilität ist von zentraler Bedeutung, um günstige Bedingungen für starkes Wirtschaftswachstum und ein stabiles Finanzsystem zu schaffen, was gemeinsam das Erreichen eines gesellschaftlichen Konsenses fördert. Unabhängig vom Ausgang der Wahl gilt das Mandat der EZB weiter und trägt zu einem höheren Grad an gesellschaftlichem Konsens bei.


Auch der Krieg in der Ukraine beschäftigt Märkte und Wähler. Welche Auswirkungen sehen Sie?

Dujardin: Russland hat den von Präsident Putin angestrebten schnellen Sieg nicht erreicht. Tatsächlich ist ein lang anhaltender Konflikt wahrscheinlicher geworden. Die zunehmende Isolation der russischen Wirtschaft und ein zunehmend kritischer Blick auf China stellen die Weichen für einen neuen Kalten Krieg. Vor diesem Hintergrund sehen wir nicht nur Rohstoffpreise, sondern auch die Preise für Zwischenprodukte weiter auf einem höheren Niveau als vor der Pandemie. Geopolitische Spannungen dürften außerdem zu einer volatileren Konjunktur beitragen.

Hat der Konflikt auch Folgen auf die EZB-Ausrichtung?

Dujardin: Die Rahmenbedingungen stellen sich erheblich anders dar, wenn wir die europäische Wirtschaft analysieren, deren Wachstumsaussichten von den wirtschaftlichen und humanitären Folgen des Ukraine-Kriegs überschattet werden. Auch wenn die EZB die Beschleunigung ihres Tapering-Prozesses angekündigt hat, vermuten wir deshalb, dass die EZB bei ihren nächsten Treffen einen vergleichsweise vorsichtigen Ansatz verfolgen wird.

Über die Interviewten:
Frédéric Dujardin ist Portfoliomanager bei Natixis Solutions und managt unter anderem den Natixis Bond Alternative Risk Premia (LU2373384994). Mabrouk Chetouane leitet die globale Marktstrategie bei Natixis Investment Managers. 

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