Juerg Steffen von Henley & Partners Warum es immer mehr Vermögende raus aus ihren Heimatländern zieht

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Wo können Vermögende eine Staatsbürgerschaft über Investitionen erwerben?

Steffen: Über 100 Länder der Welt – also fast die Hälfte aller Länder – haben irgendeine Form von sogenannten Investitionsmigrationsgesetzen. Es gibt über 60 verschiedene Programme auf der ganzen Welt, von denen allerdings nur etwa 35 wirklich relevant und erfolgreich sind. Die Länderprogramme bieten eine Reihe unterschiedlicher Investitionsmöglichkeiten: von Immobilien über Unternehmensgründungen bis hin zu Staatsanleihen. Die Mindestanlagebeträge reichen je nach Land und Programmanforderungen von 100.000 bis hin zu zwei Millionen US-Dollar. Was allen Programmen gemein ist: Die Antragssteller müssen eine strenge und sehr gründliche Due-Diligence-Prüfung durchlaufen und zahlreiche Informationen über sich selbst, ihr Immobilien- und Finanzvermögen und etwaige Unternehmen, die sie besitzen, vorlegen. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn ein Kunde in verschiedenen Teilen der Welt gelebt hat, wird er sich in jedem Land mehreren polizeilichen und anderen Überprüfungen unterziehen müssen.

Mit Blick auf den enormen Aufwand: Warum bieten die Staaten entsprechende Programme dennoch an?

Steffen: Nach der Pandemie sind viele kleinere Länder in Liquiditätskrisen geraten. Angesichts eines stärkeren US-Dollars sind flexible Aufenthaltsoptionen eine wichtige Quelle für schuldenfreie ausländische Investitionen und eine breitere Kapitalzufuhr in den jeweiligen Ländern. So können Staaten ihr staatliches Eigenkapital aufbauen, ausländische Direktinvestitionen anziehen und Staatsschulden reduzieren. Zudem können sie Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftsprogramme als Finanzierungsinstrument nutzen, das Kapital der Investoren für nationale oder regionale Sozial-, Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte verwenden. Auf der Abschlusssitzung der 15. Global Citizenship Conference von Henley & Partners im Dezember 2021 sagte der Premierminister von Nevis und Außenminister von St. Kitts und Nevis, Mark Brantley sogar: „Wenn Sie mich fragen würden, was St. Kitts und Nevis während der Pandemie gerettet hat, würde ich sagen: Staatsbürgerschaft durch Investitionen.“

Welches sind die interessantesten Länder für HNWIs?

Steffen: Die zehn wichtigsten Zielländer für Nettozuflüsse von vermögenden Privatpersonen im Jahr 2022 werden voraussichtlich die Vereinigten Arabischen Emirate, Australien, Singapur, Israel, die Schweiz, die USA, Portugal, Griechenland, Kanada und Neuseeland sein. Dazu kommen die „drei Ms“: Malta, Mauritius und Monaco. Die zehn Länder mit den höchsten Nettoabflüssen von vermögenden Personen sind Russland, China, Indien, Hongkong, die Ukraine, Brasilien, das Vereinigte Königreich, Mexiko, Saudi-Arabien und Indonesien.

 

 

Warum sind gerade die Vereinigten Arabischen Emirate für Vermögende interessant? Der Staat hat ja teilweise einen zweifelhaften Ruf.

Steffen: Die Emirate sind internationales Geschäftszentrum mit einer einkommensstarken Wirtschaft und dem Ruf, eine sichere Oase in der Region des Nahen Ostens und Afrikas zu sein. Das Land ist in zahlreichen Schlüsselsektoren stark, darunter Finanzdienstleistungen, Öl und Gas, Immobilien, Reisen und Tourismus, Technologie und Gesundheitswesen mit einem erstklassigen Gesundheitssystem. Die Einwohner profitieren von den weltweit wettbewerbsfähigsten Steuersätzen, die mit denen von Monaco und Bermuda vergleichbar sind. Und: Was den Lebensstil betrifft, so sind die Emirate ein bekannt für erstklassige Wohnungen und Villen sowie Einkaufszentren und Restaurants. Für Menschen mit Kindern gibt es ausgezeichnete internationale Schulen und viele Strände mit Segeln, Wassersport und anderen Freizeitaktivitäten. Diese Faktoren sind für Vermögende natürlich ziemlich attraktiv.

Auf Ihrer Website schreiben Sie von „globalen Bürgern“. Nach Covid, zunehmendem Protektionismus und dem Krieg in der Ukraine: Wie global können Bürger dem überhaupt noch sein?

Steffen: Wir haben bei Henley & Partners ersten Quartal 2022 Anträge für Kunden mit 48 verschiedenen Nationalitäten bearbeitet. Letztes Jahr haben wir insgesamt Kunden aus 79 verschiedenen Ländern betreut. Dementsprechend war das erste Quartal dieses Jahres für Henley & Partners eher schon rekordverdächtig, wir haben die höchste Anzahl von Webanfragen erhalten, die jemals in einem Quartal eingegangen ist.

Was waren die Treiber dieser Entwicklung?

Steffen: Sie hängt ohne Zweifel mit dem beeindruckenden Wachstum des indischen Vermögens zusammen. Indische Staatsbürger führen die Rangliste der Anfragen, die Henley & Partners im Jahr 2021 erhielt, mit einem bemerkenswerten Wachstum von 54 Prozent im Vergleich zu 2020 an. Die zweithöchste Anzahl von Anfragen kam von US-Bürgern mit einem Zuwachs von 26 Prozent. Vermögende Anleger auf der ganzen Welt suchen nach alternativen Geschäfts-, Karriere-, Bildungs- und Lebensstilmöglichkeiten auf globaler Ebene, um ihre eigenen Optionen zu erweitern und die Hürden zu überwinden, die ihnen ihre Herkunftsländer auferlegt haben. So können sie die Widerstandsfähigkeit ihrer Portfolios zu verbessern.

Über den Interviewpartner:

Juerg Steffen ist Geschäftsführer von Henley & Partners. Bevor er 2013 zu Henley & Partners stieß, war er persönlicher Berater in einem Single Family Office. Zuvor war er unter anderem Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter der Abteilung Wealth Planning einer österreichischen Privatbank in Österreich sowie in der Vermögensplanung der UBS in Zürich tätig.

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