Hendrik Leber von Acatis  „In Europa passiert notenbankseitig praktisch nichts“

Hendrik Leber, geschäftsführender Gesellschafter von Acatis

Hendrik Leber, geschäftsführender Gesellschafter von Acatis: „Call-Optionen sind überraschend billig. Es ist erstaunlich, dass die Marktteilnehmer annehmen, dass die Inflationsrate wieder deutlich zurückgeht.“ Foto: Anna Mutter

private banking magazin: Was ist aus Ihrer Sicht aktuell die größte Bedrohung für die Aktienmärkte?

Hendrik Leber: Die Inflation, ganz eindeutig.

Was ist der Auslöser der Inflation?

Leber: In Nordamerika ist der Auslöser die Geldmenge. Es wurde viel Geld an die Bevölkerung verteilt. Das Warenangebot ist nicht mitgekommen und Arbeitskräfte sind knapp. Das treibt die Inflation von der Nachfrageseite. In Europa haben wir eine angebotsgetriebene Inflation. Es gibt beispielsweise nicht genügend Öl und Gas oder Chips für die Autoproduktion. Die Nachfrage trifft auf ein mangelndes Angebot.

Heißt das auch, dass die Notenbanken unterschiedlich reagieren müssten?

Leber: Im Grunde schon. In den USA macht es die Federal Reserve meiner Ansicht nach richtig. Sie verknappt und verteuert somit das Geld. Das senkt die Nachfrage, beispielsweise nach Gebrauchtwagen und Häusern, und dämpft so mittelfristig die Inflation. In Europa passiert notenbankseitig praktisch nichts, bis auf moderate Zinserhöhungen. Der große Fehler in Europa ist, dass noch mehr Geld an die Bevölkerung verteilt und die Inflation damit angeheizt wird, statt sie abzubremsen. Das ist so, als wenn ich am Berg die Handbremse anziehen und gleichzeitig Gas geben würde. Die Handbremse, damit ich nicht rückwärts rolle, und Gas, damit ich vorwärtskomme. Das hat gegenläufige Effekte.

Wie lange bleibt die Inflation noch erhalten?

Leber: Ich unterscheide zwei Arten von Inflation: Die Basis- und die temporäre Inflation. Die temporäre Inflation legt sich auf die Basisinflation drauf. Temporär sehen wir die Auswirkungen aus dem Krieg in der Ukraine wie die mangelhafte Gasversorgung. Die Basisinflation frisst sich hingegen langsam fest. Das sind auf der einen Seite die Lohnerhöhungen und auf der anderen Seite die Kapazitäten, die nicht hochgefahren werden. Die Basisinflation wird in den nächsten Jahren dauerhaft bleiben, als allmähliche Aufwärtskurve. Die Wellenbewegung aus den temporären Effekten kann aber dazu führen, dass wir zeitweise keine Inflation mehr sehen werden, wenn beispielsweise die Gaspreise wieder sinken. Dann denkt man, dass die Inflation vorbei ist. In meinem Weltbild beschleunigt sich die Basisinflation aber.

Was bedeutet das für die Aktienmärkte?

Leber: Unmittelbar erst mal nichts, denn sie sind recht gut gegen Inflation geschützt. Aber wenn ich mir die Aktienbewegungen anschaue, dann sehe ich, dass die Anleger nicht nach den wirtschaftlichen Aussichten einer Firma differenzieren. Zwischen der Inflation und dem Markt steht noch die Zinsseite. Und der Zinssatz steuert wiederum, was an den Kapitalmärkten passiert. Wenn gute Konjunkturnachrichten kommen, steigt die Inflation und es werden höhere Zinssätze erwartet. Dann sinken die Kurse, und zwar bei Renten und bei Aktien. Es sind eher mittelbare und teilweise paradoxe Effekte, die wir da beobachten.

Also ist es für die Aktienmärkte sogar zumindest kurzfristig von Vorteil, dass die EZB so zögerlich handelt?

Leber: Ja, für die Aktienmärkte ist es angenehm. Wenn Geld vorhanden ist, kann investiert werden, Kredite sind preiswert, und der Konsum steigt. Aber warum reagieren die Märkte überhaupt? Das steuern momentan die Zinserwartungen der Anleger. Sie schauen nicht darauf, welche Unternehmen durch hohe Zinsen besonders gefährdet sind, bevor sie die Aktien verkaufen. Sondern die Anleger sagen sich: „Ich habe zu viel Risiko im Portfolio, ich verkaufe erstmal alles“. Man sieht das daran, dass die Aktienkurse großer Unternehmen weniger stark fallen als die von kleinen. Wenn pauschal ein ganzer Index verkauft wird, der EuroStoxx oder der S&P 500, dann werden die kleineren Firmen stärker getroffen. Aber das eröffnet wiederum Chancen, weil diese kleineren Unternehmen auch das größte Erholungspotenzial haben. Und gerade in den letzten Wochen habe ich festgestellt, dass der Markt wieder neugierig wird und anfängt, zu differenzieren. Da springt mal eine Aktie um 50 Prozent. Das war lange Zeit nicht der Fall. Die Realität kommt zurück an die Aktienmärkte, und das ist eine Chance.

Wäre jetzt auch ein guter Einstiegszeitpunkt?

Leber: Ja, ich bin ja öfters in Anlagegremien und unser Grundsatz ist, dass man gut durch die Krisenphase kommt und einen guten Kurseinstieg hat, wenn man im nächsten halben Jahr jeden Monat einen gleichmäßigen Betrag investiert, also ein Averaging betreibt.

Schützen Sie Ihre Anleger auch so oder haben Sie eine andere Strategie?

Leber: Wir sind in der Regel voll oder fast voll investiert. Damit sind wir vielleicht zu früh. Aber ich möchte den Aufschwung nicht verpassen. Es gibt Statistiken, die besagen, wenn man die zehn Tage mit den stärksten Aufschwüngen verpasst, dann hat man den großen Teil der Performance verpasst. Diese Kurserholungen kommen plötzlich und unerwartet, ohne Ankündigung. Wenn ich dann an der Seitenlinie stehe und zuschaue, ist der Zug abgefahren.

Die institutionelle Kapitalanlage ist Ihre Leidenschaft?

Unsere auch. Abonnieren Sie unseren Newsletter „pbm institutionell“. Wir versorgen Sie jeden Mittwoch mit aktuellen Nachrichten, Personalien und Analysen.

Wie sichern Sie Ihre Fonds vor möglichen Kursverlusten ab?

Leber: Das ist sehr unterschiedlich. Je nachdem, ob es ein vermögensverwaltender Fonds oder ein reiner Aktienfonds ist. Bei den vermögensverwaltenden Fonds hatten wir in diesem Jahr mehrere Kurssicherungen mitlaufen, zum Beispiel beim ACATIS Fair Value Vermögensverwaltungsfonds. Teilweise war das eine rollierende Sicherung, die sich angepasst hat und nach unten mitgefahren ist, teilweise waren es klassische Put-Optionen auf große Indizes, im Wesentlichen den EuroStoxx und den S&P 500. Ursprünglich lagen die Optionen „Out of the Money“, jetzt sind sie „At the money“, immer mit Zeithorizont von einem Jahr, also bis Jahresende. Das ist die klassische Kurssicherungsseite. Zusätzlich haben wir eine Inflationssicherung eingekauft. Unsere Kernthese ist: Wenn die Inflation das zentrale Problem ist, dann sollte ich mich auch gegen die Inflation absichern. Das machen wir mit Call-Optionen auf den Konsumentenpreis-Index, teilweise über vier, fünf oder 30 Jahre Laufzeit.

Können Sie genauer erläutern, wie das funktioniert?

Leber: Der Kern sind inflationsgesicherte Anleihen, in denen der Zins und ein Inflationsausgleich die Rendite ergeben. Wenn ich eine inflationsgesicherte Anleihe kaufe und eine gleichlaufende nicht-inflationsgesicherte Anleihe verkaufe, ist die Differenz der Renditen die Inflationsrate. Das geht beispielsweise mit Swaps. Wir haben quasi eine gehebelte Call-Option auf den Konsumentenpreis-Index eingesetzt. Wenn der Index ein bestimmtes Niveau übersteigt, bekommen wir eine Auszahlung. Je weniger er steigt, desto weniger bekommen wir. Und wenn er zu weit von unserem gesetzten Ziel entfernt ist, bekommen wir nichts.

 

 

Sind diese Call-Optionen aktuell nicht besonders teuer?

Leber: Sie sind überraschend billig. Es ist erstaunlich, dass die Marktteilnehmer annehmen, dass die Inflationsrate wieder deutlich zurückgeht. Da ist eine große Diskrepanz zwischen dem Weltbild eines Normalbürgers, der sich fragt, wie die Inflation wieder sinken soll, und dem, was an den Finanzmärkten gehandelt wird. Die Finanzmärkte rechnen in den nächsten Jahren, wenn der Inflationsschub vorbei ist, mit einer Inflationsrate von etwa zweieinhalb Prozent. Ich rechne mit deutlich mehr. Und alle, mit denen ich rede, die im realen Leben stehen, sehen auch eine höhere Inflationsrate. Aber aufgrund der Finanzmarkterwartungen sind die Optionen gar nicht so teuer, im Moment.

Woran liegt es, dass der Markt so optimistisch ist?

Leber: Ist der Markt wirklich optimistisch, oder ist jemand auf der Gegenseite, der das Geld aus meiner Optionsprämie braucht? Ich weiß nicht, wer auf der Gegenseite steht; ob es eine große Versicherung ist, oder jemand anderes, der sagt: „Wir brauchen jetzt Einnahmen. Wo kriegen wir die her? Wir verkaufen Call-Optionen auf die Inflation. Dann haben wir in diesem Jahr zumindest, was in den Büchern drinsteht.“ Das könnte auch ein Grund sein.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen