Heiko Geiger von Vontobel „Die Eruptionen im Markt schüren das Bedürfnis nach Absicherungsstrategien“

Heiko Geiger

Heiko Geiger: Der Zertifikatespezialist vom Investmenthaus Vontobel spricht über die aktuelle Situation und wie Zertifikate Vermögensverwaltern jetzt helfen können. Foto: Vontobel

private banking magazin: Die Inflationsraten sind sowohl in Europa als auch den USA kräftig angestiegen. Die amerikanische Notenbank hat bereits mit einer Leitzinserhöhung reagiert. Die europäische Zentralbank könnte demnächst folgen. Werden die Notenbank in den kommenden Monaten die Geldpolitik tendenziell straffen?

Heiko Geiger: In den Vereinigten Staaten stieg im März die Gesamtinflation gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 8,5 Prozent – der höchste Anstieg seit den 1980ern. Die US-Notenbank Fed scheint weiter entschlossen, die Preise durch eine Senkung der wirtschaftlichen Gesamtnachfrage zu drücken. Dies dürfte in diesem Jahr zu einer Reihe erheblicher Zinserhöhungen und damit zu einer Konjunktureintrübung führen. In Europa ist es bereits jetzt für die EZB eine heikle Aufgabe, das Inflationsziel von 2,0 Prozent wieder zu erreichen und dabei nicht durch eine straffere Geldpolitik einen Zusammenbruch der Nachfrage auszulösen. Sofern die Wachstumsprognose sich nicht weiter eintrübt, könnte die EZB ihre Nettoanleihekäufe im dritten Quartal fortsetzen und im vierten Quartal oder sogar früher erstmals die Leitzinsen erhöhen.

Welche Auswirkungen wird das auf die Märkte haben? Werden auch die Kapitalmarktzinsen weiter klettern?

Geiger: Für die zweite Jahreshälfte wird mit sinkenden Energiepreisen und anhaltenden Lieferkettenproblemen gerechnet. Die globalen Inflationszahlen könnten demnach im aktuellen Quartal ihren Höchststand erreichen und in der zweiten Jahreshälfte zurückgehen. Da die Inflation in den meisten Industrieländern wohl deutlich über den Zielen der Notenbanken bleiben wird, dürften diese ihre strenge Straffungspolitik fortsetzen. Dies erhöht das Risiko eines Konjunktureinbruchs im Laufe des nächsten Jahres.

Kurzfristig sollten sich Anleger auf steigende Zinsen und eine relativ hohe Inflation einstellen.

Wie könnte sich die Tektonik der Börse verändern, nach Jahren extrem niedriger Zinsen?

Geiger: Kurzfristig sollten sich Anleger auf steigende Zinsen und eine relativ hohe Inflation einstellen. Aktien könnten weiterhin im Fokus der Anleger stehen. Zudem könnte ein Value-Anlagestil, der unterbewertete Qualitätstitel begünstigt, zur präferierten Anlagestrategie reüssieren. Aufgrund des zu erwartenden Inflationsszenarios dürften Anleger weiterhin an Rohstoffen und Gold, die vor Teuerung schützen können, festhalten. Gleichzeitig wird das Segment der Anleihen attraktiver, da die US-Notenbank Federal Reserve die Risiken der Inflation erkannt hat und Leitzinsen und Renditen steigen könnten. 

Welchen Einfluss haben steigende Zinsen auf den Zertifikate-Markt?

Geiger: Steigende Zinsen könnten den Zertifikate-Markt durchaus beflügeln. Die Eruptionen im Markt schüren das Bedürfnis nach Absicherungsstrategien jeglicher Art. Die Konditionen bei Kapitalschutzzertifikaten werden interessanter, aber auch aktive Absicherungsstrategien mit Short-Produkten zur Absicherung von Aktienportfolios werden populärer.

Wie wirken sich höhere Zinsen auf das Pricing von Zertifikaten aus? Gibt es Zertifikate-Arten, die davon profitieren können?

Geiger: Steigende Zinsen haben unterschiedliche Auswirkungen auf Zertifikate. Die Zinskomponenten bei Hebelprodukten wird beispielsweise über die Finanzierungskosten abgebildet. Steigende Zinsen machen klassische Call-Optionsscheine und Turbos durch die gestiegenen Finanzierungskosten teurer. Bei korrespondierenden Short-Produkten oder Puts sinken durch die gestiegenen Zinsen die Finanzierungskosten des Emittenten, was zu niedrigeren Preisen in den Produkten führt.


Bei Kapitalschutz-Zertifikaten hingegen wirken sich steigende Zinsen unterschiedlich auf die Bausteine der Produkte aus. Für die Call-Optionskomponente sind steigende Zinsen preissteigernd. Bei Nullkuponanleihen verhält es sich hingegen spiegelverkehrt. Dort wirken steigende Zinsen preisreduzierend. Da der Preiseinfluss der Anleihen-Komponente meist den positiven Preiseffekt der Call-Option überkompensiert, wirken steigende Zinsen eher preisreduzierend auf bereits emittierte Kapitalschutz-Zertifikate.