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In den vergangenen Monaten haben sich die Zusammenhänge an den Kapitalmärkten verändert. Wer früher sein Portfolio über verschiedene Anlageklassen hinweg gestreut hat, vertraute in der Regel auf einen Diversifikationseffekt: US-Staatsanleihen und der US-Dollar galten als Gegengewichte zu Aktienmärkten, die in schwierigen Börsenphasen Verluste abmildern könnten.
Inzwischen ist dieser Effekt jedoch spürbar zurückgegangen. Besonders der US-Dollar erlebt das schwächste Jahr seit 1973 – unter anderem getrieben durch strukturelle Risiken und politische Unsicherheiten – und hat nicht als Diversifikator gewirkt, sondern selbst zur Volatilität beigetragen. Diese Entwicklungen stellen Investoren vor neue Herausforderungen. Eine breite Streuung über verschiedene Anlageklassen scheint inzwischen nicht mehr unbedingt auszureichen. Vielmehr wird die gezielte Diversifikation innerhalb der Anlageklassen selbst wichtiger, um Risiken zu steuern.
Gerade im aktuellen Marktumfeld, das gleichermaßen von belastenden wie unterstützenden Faktoren geprägt ist, rückt die Frage nach einer robusteren Aktienallokation stärker in den Fokus. Einige Marktteilnehmer ziehen in Betracht, ihre Aktienquote unverändert zu lassen, tendieren dabei jedoch zu einem risikobewussten Vorgehen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die zentrale Frage: Welche Ansätze können sich eignen, um die Aktienallokation etwa in Multi-Asset-Portfolios widerstandsfähiger zu gestalten?
Mehr Balance im Portfolio
Im Aktiensegment lassen sich sowohl Regionen auch Sektoren gezielt steuern. Jedoch können stil- beziehungsweise faktorbasierte Ansätze wie Low-Volatility-Strategien einen zusätzlichen Mehrwert für die Portfoliokonstruktion bieten. Diese konzentrieren sich auf Aktien mit vergleichsweise geringen Kursschwankungen und können dazu beitragen, die Volatilität im Portfolio zu reduzieren – insbesondere in herausfordernden Marktphasen. Solche Strategien können die Möglichkeit eröffnen, das Risiko zu diversifizieren, ohne auf die langfristigen Ertragschancen von Aktien zu verzichten.
Die Umsetzung defensiverer Strategien im Aktienbereich kann sowohl über aktive Fonds als auch über ETFs erfolgen, die verschiedene Anbieter bereitstellen können. Für eine globale, breit angelegte Positionierung entlang des MSCI-World-Minimum-Volatility-Index, bei dem die Titelwahl auf einem quantitativen Modell basiert, das Aktien innerhalb des MSCI-World-Index mit geringen historischen Kursschwankungen auswählt und regionale sowie sektorale Ausgewogenheit sicherstellt, stehen beispielsweise derzeit zwei ETFs zur Wahl:
iShares Edge MSCI World Minimum Volatility Ucits ETF (ISIN: IE00B8FHGS14)
Xtrackers MSCI World Minimum Volatility Ucits ETF (ISIN: IE00BL25JN58)
Ein Blick in die Historie zeigt, dass Low-Volatility-Indizes in turbulenten Marktphasen die kurzfristigen Verluste im Vergleich zu klassischen Aktienindizes begrenzen und damit zur Stabilisierung von Portfolios beitragen konnten. Diesen Effekt konnte man beispielsweise in der durch den Zollkonflikt geprägten Abwärtsphase im April dieses Jahres beobachten. Während der iShares Core MSCI World Ucits ETF im Zeitraum vom 2. April 2025 bis zum 7. April 2025 circa zwölf Prozent verlor, waren es bei dem iShares Edge MSCI World Minimum Volatility Ucits ETF lediglich etwa acht Prozent.
Somit verlor der MSCI-World-ETF 50 Prozent mehr als der Minimum-Volatili - ty-ETF. Gleichzeitig ist jedoch zu beachten, dass diese Strategien in besonders dynamischen Haussephasen, etwa bei starker Outperformance einzelner Technologiewerte, weniger an der Gesamtentwicklung teilhaben können. Somit hat die Minimum-Volatility-Strategie nur begrenzt von dem anschließenden Aufwärtstrend profitiert.
Der Einsatz einer solchen Strategie ist eine fokussierte Maßnahme zur Risikosteuerung, mit einer bewusst defensiveren Ausrichtung innerhalb der Aktienquote. Dafür ist eine auf das Risikoprofil abgestimmte Portfoliozusammenstellung unerlässlich. Moderne Risikomodelle machen sichtbar, wie sich eine Beimischung von Low-Volatility-Strategien auf das Portfolio auswirkt. Sie erfassen unter anderem die Reduktion des Marktrisikos und die Verschiebung des aktiven Risikobeitrags hin zum Volatilitätsfaktor und ermöglichen somit eine datengetriebene Portfoliokonstruktion angepasst an unter - schiedliche Marktregime.
Auch über das obige Beispiel hinweg eröffnet die wachsen - de Produktvielfalt am ETF-Markt Investoren zahlreiche Möglichkeiten, um gezielt diversifizierende Strategien den Portfolios beizumischen und aktiv Chancen zu nutzen. Die zunehmende Zahl an ETF-Strategien erfordert allerdings ein hohes Maß an Fachwissen und Sorgfalt bei der Produktauswahl.
Die Zahl der börsengehandelten Fonds ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen: Es gibt inzwischen mehr als 2.000 verschiedene Ucits-ETFs. Die gesamte Vielfalt eröffnet Investoren zahlreiche Möglichkeiten, um die Portfolioallokation gezielt zu steuern.
ETF-Vielfalt bringt Fallstricke für private Anleger
Für Privatanleger ist diese Auswahl jedoch mit Herausforderungen verbunden. Untersuchungen zeigen, dass viele Anleger die Komplexität unterschätzen: Oft werden ETFs zu häufig gehandelt oder dafür genutzt, kurzfristigen Trends zu spät hinterherzuspringen.
Ein solches Verhalten kann die Rendite schmälern, da Positionen möglicherweise ungünstig gewechselt werden und das häufige Handeln zu deutlich erhöhten Handelskosten führen kann. Außerdem ist es für Privatanleger nicht immer leicht, die Unterschiede der ETF-Strukturen, zum Beispiel im Hinblick auf Replikationsmethode, Gewichtungsverfahren, Gebührenstruktur, zu vergleichen und die Auswirkungen auf das eigene Portfolio richtig einzuschätzen.
Dennoch verzeichnen ETFs seit Jahren ein beeindruckendes Wachstum beim verwalteten Vermögen. Ein wesentlicher Treiber ist die auf den ersten Blick oft überzeugende Wertentwicklung im Vergleich zu aktiv gemanagten Fonds. Doch auch hier lohnt sich ein genauer Blick. Dass nicht jeder ETF dauerhaft am Markt bleibt, ist ein Aspekt, der selten thematisiert und häufig übersehen wird, aber für eine fundierte Anlageentscheidung eine wichtige Rolle spielen sollte.
Tatsächlich wurden rund 40 Prozent aller in Europa gelisteten ETFs inzwischen wieder eingestellt – sei es durch Liquidation, Fusion oder eine grundlegende Änderung der Benchmark. Für Anleger kann das bedeuten, Positionen vorzeitig auflösen zu müssen – mit möglichen Nachteilen, etwa durch unerwartete steuerliche Konsequenzen.
Wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass nicht jeder ETF seine Benchmark outperformt, zeigt sich ein noch deutlicheres Bild: Nur 37 Prozent der in der Studie analysierten ETFs haben sowohl ihre Benchmark übertroffen als auch den gesamten Beobachtungszeitraum von 2014 bis 2024 ohne Schließung oder Fusion überstanden. Eine fundierte Analyse der Produkte am Markt bleibt daher unverzichtbar.
Gleichzeitig verändert sich der ETF-Markt strukturell: Jenseits klassischer Indexprodukte rücken aktiv gemanagte und Themen-ETFs zunehmend in den Fokus. Beide Segmente spiegeln das wachsende Bedürfnis vieler Anleger wider, gezielt auf bestimmte Marktmeinungen oder Trends zu setzen.
Mehr als nur Index: Auswahl mit Augenmaß
Aktiv verwaltete Aktien-ETFs gewinnen in Europa derzeit an Bedeutung. Das verwaltete Vermögen ist von unter fünf Milliarden Euro Anfang 2020 auf mittlerweile über 42 Milliarden Euro gestiegen – eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von etwa 17,6 Prozent. Allein im bisherigen Jahresverlauf 2025 sind mehr als acht Milliarden Euro an neuen Mitteln in europäische aktive Aktien-ETFs geflossen.
Bei thematischen ETFs kam es nach Rekordzuflüssen von 13,7 Milliarden Euro im Jahr 2021 zuletzt zu mehr Mittelabflüssen und Schließungen. Die Zahl neuer Produkte ist ebenfalls gesunken – während 2022 noch rund 70 Neuauflagen stattfanden, waren es im Jahr 2025 bis Mai nur etwa 20. Gleichzeitig wurden 2023 über 20 thematische ETFs vom Markt genommen, wobei sich das Tempo der Schließungen 2024 und 2025 etwas verlangsamt hat.
Dennoch zeigt sich: Trotz verlangsamtem Wachstum bleibt das Interesse an thematischen ETFs groß, und bei ausgewählten Themen sind weiterhin erhebliche Zuflüsse zu beobachten. Ein Beispiel ist der Bereich der Verteidigungstechnologie, wo das verwaltete Vermögen in entsprechenden ETFs seit Anfang 2024 von 124,4 Millionen Euro auf über 9,6 Milliarden Euro gestiegen ist. Dieser Trend zeigt, dass Anleger gezielt nach Alternativen zu klassischen Indexprodukten suchen.
Das breite Spektrum an Themen-ETFs eröffnet gezielte Allokationsmöglichkeiten in zukunftsweisende Bereiche wie Künstliche Intelligenz (KI), Robotik oder eben Verteidigungstechnologie. Doch nicht jede Innovation am ETF-Markt ist automatisch ein Vorteil für den Anleger. Studien legen nahe, dass diese Produkte gerade in Phasen starker Anlegernachfrage aufgelegt werden – oft zu einem Zeitpunkt, an dem ein Großteil der Wertentwicklung bereits stattgefunden hat.
Vorsicht bei prozyklischen Fondsstrategien
So zeigen Analysen, dass viele Themen-ETFs in den ersten fünf Jahren nach ihrer Auflegung zu einem negativen Alpha von minus sechs Prozent pro Jahr führen – im Wesentlichen ein Indiz für eine prozyklische Produktlancierung bei gleichzeitig überhöhten Bewertungen. Zusätzlich können eine stärkere Einzeltitelkonzentration und eine begrenzte Diversifikation zu erhöhten Klumpenrisiken führen.
Im Bereich der KI-ETFs existieren zahlreiche Produkte mit nahezu identischer Namensgebung und scheinbar ähnlichen Strategien. Ein Vergleich der tatsächlichen Positionen zeigt jedoch, dass Zusammensetzung und Risikostruktur deutlich abweichen können. Beispielsweise unterscheiden sich die zehn größten Positionen zweier exemplarischer KI-ETFs kaum, obwohl diese, wenn man nach dem Produktnamen geht, eigentlich eine sehr ähnliche Zusammensetzung erwarten lassen.
Ein genauer Blick auf die Zusammensetzung zeigt, dass sich die Top-10-Positionen nur in zwei Titeln überschneiden, wobei selbst dort die jeweiligen Gewichtungen um bis zu 1,4 Prozentpunkte unterschiedlich ausfallen. In Summe unterscheidet sich die Gewichtung der Top-10-Positionen in den beiden ETFs um fast zehn Prozentpunkte.
Risiken kennen, um Chancen besser zu nutzen
Wer sich allein auf den Produktnamen verlässt, kann also ungewollte Schwerpunkte im Portfolio aufbauen. Trotzdem – sowohl Themen- als auch aktiv gemanagte ETFs können als hilfreicher Portfolio-Baustein fungieren. Sei es als gezielte taktische Ergänzung oder in manchen Fällen sogar für den strategischen Portfolioaufbau. In jedem Fall empfiehlt sich jedoch eine besonders sorgfältige Auswahl, Gewichtung und aktive Kontrolle.
Die Entwicklung der vergangenen Jahre macht deutlich, dass Diversifikation in einer Welt zunehmender Komplexität kein Selbstläufer mehr ist. Ein erfolgreiches Portfolio erfordert mittlerweile mehr als eine bloße Streuung über verschiedene Anlageklassen. Entscheidend ist, auch innerhalb der Anlageklassen gezielt zu diversifizieren, Risiken zu identifizieren und aktiv zu steuern. Wer die Chancen der ETF-Vielfalt nutzen will, braucht ein umfassendes Verständnis der jeweiligen Produkte.
ETFs können hilfreiche Werkzeuge im Portfolio darstellen, sofern Investoren deren Struktur, Risiken und Funktionsweise genau analysieren.
Über den Autor:
Peter Warken ist Co-Leiter Allocation bei der DWS. Warken ist seit 2015 bei dem Fondsanbieter, steuert die DWS-Strategic-Allocation-Investmentstrategie und leitet das Team Strategic Asset Allocation (SAA) im Bereich Multi Asset & Solutions.
