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Zurückgehende Inflation Zinssenkungen in mehreren Schwellenländern in Sicht

Hochhäuser-Skyline der Millionen-Metropole Recife im brasilianischen Bundesstaat Pernambuco

Hochhäuser-Skyline der Millionen-Metropole Recife im brasilianischen Bundesstaat Pernambuco: Brasilien und Chile könnten noch im Verlauf des Sommers damit beginnen, ihre Leitzinsen zu senken. Foto: Imago Images / Pond5

Die Inflation in den Emerging Markets dürfte in der zweiten Jahreshälfte weiter nachlassen

Peter Becker

Die Emerging Markets hatten in der Vergangenheit immer wieder mit einer hohen Inflation zu kämpfen – auch 2022, als die Rohstoffpreise aufgrund des Ukraine-Kriegs stiegen. In den Schwellenländern reagiert die Inflation empfindlich auf steigende (Agrar-)Rohstoffpreise, weil Nahrungsmittel und Energie hohe Anteile an den ihr zugrunde liegenden Warenkörben haben. Hinzu kamen Lieferengpässe und die Abwertung der Schwellenländerwährungen. Als die Nahrungsmittel- und Energiepreise nach ihrem Anstieg im Vorjahr in diesem Jahr zurückgingen, die Lieferengpässe nachließen und der US-Dollar abwertete, sank in den meisten Emerging Markets auch die Inflation, sowohl gegenüber dem Vormonat als auch dem Vorjahr. Nachdem die Teuerung in den vergangenen Jahren häufig überraschend hoch war, hat sie sich zuletzt überraschend abgeschwächt. Dieser Trend dürfte sich in der zweiten Jahreshälfte fortsetzen.

Zwischen den einzelnen Ländern gibt es indes erhebliche Unterschiede. Während sich die Inflation in Asien in Grenzen hielt, war sie in Mittel- und Osteuropa sowie in Lateinamerika hartnäckig hoch. In letzteren beiden Regionen war nicht nur vor allem der Anstieg der Nahrungsmittelpreise ein Problem. Insgesamt legte die Teuerung kräftig zu, also auch bei wichtigen Waren und Dienstleistungen. Einer der Gründe hierfür waren die steigenden Inflationserwartungen, die zu höheren Löhnen geführt haben. Daraus lässt sich schließen, dass die Teuerung noch längere Zeit als gedacht über den Zielspannen der Zentralbanken liegen wird. Aber sie hat ihren Höhepunkt erreicht und dürfte allmählich nachlassen.

 

Bevor die Schwellenländer-Zentralbanken ihre Zinsen wieder senken, muss noch einiges passieren

Angesichts des grundsätzlich besseren Inflationsausblicks dürften einige EM-Zentralbanken ihre Leitzinsen früher oder später wieder senken. Dafür spricht auch, dass viele Emerging Markets ihre Zinsen früher und stärker angehoben haben als die Industrieländer, um zu verhindern, dass die Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen. Die Türkei war die größte Ausnahme. Hier wurden die Zinsen trotz hoher Inflation gesenkt. Allerdings ist man nach den Wahlen von dieser unorthodoxen Geldpolitik abgerückt und hat die Leitzinsen im Juni fast verdoppelt.

Grafik 1: Viele Emerging Markets haben ihre Leitzinsen sehr stark angehoben

Die Abbildung zeigt die Veränderung der Leitzinsen von 31. Dezember 2020 bis zum 20. Juni 2023.
Quelle: Bloomberg

Jetzt nähern sich die meisten Zentralbanken dem Ende ihres Zinserhöhungszyklus oder haben ihn bereits abgeschlossen und signalisieren eine Pause. Ungarn tat im Mai den ersten Schritt und senkte seinen Leitzins, und die Marktteilnehmer gehen davon aus, dass Chile und Brasilien in diesem Sommer nachziehen werden.

Während Ungarn bereits seinen Zinssenkungszyklus angestoßen hat, werden die meisten EM-Zentralbanken erst abwarten, bis sie mehr Klarheit zum Tempo des Inflationsrückgangs haben. Das gilt vor allem für die Kerninflation. Wenn sich die Teuerung als hartnäckiger erweist als erwartet, dürften die EM-Zentralbanken vorsichtig bleiben, vor allem in Europa und Lateinamerika.

Die Geldpolitik der US-Notenbank und der Zinsabstand zwischen den Schwellenländern und den USA spielt ebenfalls eine Rolle. Zwar steht noch nicht fest, ob die Fed ihre Zinserhöhungen tatsächlich vorerst beendet hat oder ob noch weitere Schritte folgen, aber ein so starker Anstieg der US-Zinsen wie in der Vergangenheit ist unwahrscheinlich.

Grafik 2: Lateinamerikanische Länder sind hart gegen die Inflation vorgegangen

Stand der Inflationsrate April 2023 (Rumänien und Malaysia) und Mai 2023 (andere Regionen). Stand des Leitzinses 20. Juni 2023.
Quelle: Bloomberg

Am Ende muss auch der US-Dollar genau im Auge behalten werden, weil die Schwellenländer-Zentralbanken ihre Zinsen nur schwerlich anheben, wenn der US-Dollar stark ist und ihre eigenen Währungen schwach sind. Ein starker US-Dollar hat EM-Zentralbanken schon häufig zu Zinsanhebungen gezwungen, während sie ihre Zinsen bei einem schwachen Dollar senken konnten. Die US-Dollar-Zyklen waren (seit der Abschaffung des Bretton-Woods-Systems in den frühen 1970er-Jahren) in der Regel sehr ausgeprägt und dauerten im Durchschnitt etwa neun Jahre. Wenn der letzte Zyklus im vierten Quartal 2022 zu Ende gegangen ist, hat er ausgehend vom US-Dollar-Tiefstand im Juni 2011 elf Jahre gedauert. Abgesehen davon, dass der US-Dollar gemessen an fast allen Kennzahlen überbewertet ist, sprechen weitere Faktoren für eine Abwertung des Greenback, darunter das nahende Ende des Zinserhöhungszyklus der Fed und die Wiederöffnung der chinesischen Wirtschaft. Zwar steht noch nicht fest, dass der US-Dollar jetzt dauerhaft abwertet, aber auf jeden Fall dürfte er jetzt die längste Zeit aufgewertet haben.

Lateinamerika besonders interessant, aber auch Europa wird zunehmend attraktiver

Früher oder später fallende Leitzinsen bei insgesamt recht guten Fundamentaldaten und vergleichsweise attraktiven Nominalzinsen sowie positiven Realzinsen in den meisten Emerging Markets sprechen für gute Aussichten für EM-Anleihen. Das erklärt, warum die nach über zehn Jahren schwacher Performance in diesem Jahr wieder besseren Ergebnisse der Assetklasse von Dauer sein dürften.

 

Dennoch muss man eine sorgfältige Auswahl treffen, weil die Politik und die Inflation in den einzelnen Ländern ebenso unterschiedlich sind wie die relativen und absoluten Bewertungen der Emittenten. Wir halten Lokalwährungsanleihen aus Lateinamerika für interessant, weil hier die nominalen Renditen attraktiv sind und die realen über null liegen, die Inflation nachlässt und die Zentralbanken sehr aktiv sind. Zudem ist das gesamtwirtschaftliche Umfeld heute besser als letztes Jahr. Hinzu kommt die Verbesserung der Fundamentaldaten, was vermutlich weiterhin schwerer wiegen wird als mögliche politische Risiken in diesen Ländern. Die mittel- und osteuropäischen Länder kämpfen noch immer mit der Inflation – und ihre Realzinsen sind nach wie vor negativ –, aber die Region gewinnt an Attraktivität.

Nach zehn Jahren mit schwachen Ergebnissen könnten EM-Währungen die Performance jetzt wieder stützen

Die EM-Währungen haben Lokalwährungsanleihen in den letzten zehn Jahren belastet, sodass die meisten dieser Währungen nach unserem eigenen fundamentalen Bewertungsmodell sowie weiteren Währungsmodellen jetzt unterbewertet zu sein scheinen.

Die Assetklasse könnte nach Jahren mit Mindererträgen jetzt also wieder attraktive Erträge erzielen, aber EM-Währungen waren recht lange unterbewertet, sodass die Bewertung allein keine dauerhafte Verbesserung oder Stabilisierung bewerkstelligen kann.

Ein wichtiger Faktor für die weitere Entwicklung sind die Aussichten für den US-Dollar, die wir weiter oben schon angeschnitten haben. Auch die Fed ist wichtig. Die nachstehende Grafik zeigt die Korrelation der Rendite 2-jähriger US-Treasuries mit der Währungskomponente der Erträge des EM-Lokalwährungsanleihen-Index über rollierende 1-Jahres-Zeiträume. Von Sommer 2022 bis Ende 2022 ist die Korrelation gestiegen, weil die US-Zinsen zugelegt haben. Aber weil die Fed sich dem Ende ihres Zinserhöhungszyklus nähert, scheint sie jetzt wieder nachzulassen.

Grafik 3: Die Fed hat die Erträge der Währungskomponente in der Vergangenheit deutlich mitbestimmt

Stand der Daten 19. Juni 2023. Die Abbildung zeigt R2-Daten von Regressionen der
Währungskomponente der Erträge des JPMorgan GBI-EM Global Diversified gegenüber den
Realrenditen 2-jähriger US-Treasuries.
Quellen: JPMorgan und Bloomberg

Schließlich erscheinen auch die Aussichten für die Fundamentaldaten der Emerging Markets erfreulich. Das könnte zu einer Aufwertung von EM-Währungen gegenüber dem US-Dollar beitragen. Bedenken wegen der steigenden Inflation und höherer Lebenskosten belasten indes die Staatshaushalte der Schwellenländer. Im langfristigen Vergleich sind die Defizite hoch, auch wenn die Staatsverschuldung insgesamt noch immer niedriger ist als in den Industrieländern und handhabbar bleibt. Die Hartwährungsreserven sind etwas zurückgegangen, aber zugleich haben sich die Außenhandelsbilanzen vieler Emerging Markets dank ihrer unterbewerteten Währungen verbessert.

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