Krisen sind keine Vulkanausbrüche, deren Entstehung und Ablauf sich physikalischen Gesetzen gehorchend wiederholt. Während Geologen und Seismologen die Ursachen und Folgen von Eruptionen weltweit immer genauer erfassen, analysieren und entsprechende Warnungen im Vorfeld die Öffentlichkeit erreichen, lassen sich Marktentwicklungen und ihre krisenhafte Zuspitzung bis heute nicht in einer Weise antizipieren, die eine umfassende Schadensbegrenzung im Vorfeld einer Krise ermöglichen würde. Ähnlich verhält es sich mit dem weiteren Verlauf von Krisen.
Wir sind zwar in der Lage, Lehren aus vergangenen Marktkrisen zu ziehen und Krisen miteinander zu vergleichen. Aber wer versucht, Krisen gleichzusetzen und behauptet, zukünftige Entwicklungen deshalb antizipieren zu können – wie ich es dieser Tage immer wieder in Bezug auf die Finanzkrise 2007 und aktuelle Entwicklungen erlebe – verkennt meines Erachtens das Wesen von (Wirtschafts-)Krisen.
Deshalb lohnt es sich, die aktuellen krisenhaften Entwicklungen auf Ursachen und Folgen hin einzuordnen – und so voreilige Schlüsse zu vermeiden, die aktuelle Krise lasse sich mit jener vor rund 15 Jahren gleichsetzen.
1. Unterschiedliche Ursachen
Auslöser der globalen Finanzkrise vor rund fünfzehn Jahren war, dass im Jahresverlauf 2007 in den USA die Zahl von Kreditausfällen im sogenannten Subprime-Segment nach oben schnellte. Schuldner, in erster Linie finanzschwache Privatpersonen, die Häuser auf Basis laxer Kreditvergabe von Hypothekenanbietern gekauft hatten, waren nicht mehr in der Lage, ihre Darlehen zu bedienen. Hinzu kam, dass viele dieser Hypotheken verbrieft worden waren. Bei diesen „mortgage backed securities“ (kurz: MBS) und darauf aufbauenden Strukturen kam es in der Folge zu Ausfällen.
Gerade auch deutsche Banken waren damals in diesen Papieren investiert. Sie stellten fest, dass Bonitätsnoten von "AAA" nicht gleichzusetzen sind mit hoher Liquidität. So kam es zu Übertragungs- und Ansteckungseffekten in Europa. In der Folge führte die Entwicklung zu einer Bankenkrise, die schließlich eine weltweite Rezession nach sich zog.
Dagegen sind aktuell der Preisschub bei den Energiekosten im Sog des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und die daraus folgende Inflation ursächlich für die derzeitige Krise. Mit ihren sukzessiven Leitzinserhöhungen haben die wichtigsten Zentralbanken weltweit dem jahrelangen Niedrigzinsumfeld ein abruptes Ende bereitet und bei Aktien und Anleihen im Jahr 2022 für herbe Verluste gesorgt. Beim Euro-Bund-Future beispielsweise, einem wichtigen Gradmesser für die Wertentwicklung langfristiger Bundesanleihen, sahen wir 2022 ein Minus von 22 Prozent. Darüber hinaus bedingen Zinswende und höhere Inflation höhere Finanzierungs- und Refinanzierungskosten. Hinzu kommen zeitweise Lieferengpässe im Nachgang der Corona-Pandemie.
Zusammengefasst: Die globale Finanzkrise 2007 war in einem Umfeld entstanden, das den Notenbanken Zinssenkungen ermöglichte. In der aktuellen Krise können Notenbanken keine expansive Geldpolitik verfolgen, denn die aktuelle Situation bedingt Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung.
2. Unterschiedlicher Verlauf
Krisen gehen einher mit Phasen der Illiquidität, die Volatilität nimmt zu. Je nach Assetklasse sind beide Tendenzen unterschiedlich stark ausgeprägt. Auf die Verluste in der Assetklasse Festverzinsliche habe ich bereits hingewiesen. In der Assetklasse Immobilien prägen Wertkorrekturen das Marktgeschehen in der Regel in den ersten beiden Jahren einer Krise. Preisvorstellungen von Käufern und Verkäufern klaffen auseinander, der Transaktionsmarkt kommt über weite Strecken zum Erliegen. Die in der Folge einsetzenden Entwicklungen sind indes weniger absehbar.
In den Jahren ab 2009 kam der Markt in einem Umfeld niedriger Zinsen rasch wieder in Gang. Denn niedrige und weiter sinkende Zinsen begünstigten damals die Nachfrage nach Real Assets, weil in dieser Assetklasse häufig mit hohen Fremdfinanzierungshebeln oder ähnlichen Finanzierungsmodellen gearbeitet wird. Ein vergleichbarer (Aus-)Weg zeichnet sich im aktuellen Marktumfeld nicht ab, auch wenn die über alle Sektoren hinweg zu beobachtenden soliden Fundamentaldaten die Mietwerte stützen.
3. Rolle der Banken
Banken waren 2007 mit der Krise eng verflochten, weil sie Zwangsverkäufe bei ihren Kreditnehmern ins Rollen brachten. Aktuell ist dies noch nicht zu erkennen. Einer der Gründe, warum wir keine vergleichbare Entwicklung im aktuellen Umfeld erleben, liegt darin, dass das Fremdfinanzierungsniveau (Leverage) in der Finanzkrise vor rund 15 Jahren höher war und Banken damals weniger Eigenkapital unterlegt hatten. Im Zuge der Bankenregulierung in den darauffolgenden Jahren wurden die Eigenkapitalanforderungen an die Banken erheblich verschärft. Regelmäßige Stresstests sind mittlerweile Pflicht.
Entsprechend lösten die Schieflage und das darauffolgende Ende der Credit Suisse sowie der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank im Frühjahr 2023 keine Kettenreaktion im Finanzsektor aus. Dies ermöglicht einen flexibleren Umgang mit kritischen Immobilienkrediten in welchem neben der reinen Schaffung von Liquidität auch mittelfristige Werterhaltung berücksichtigt werden kann. Aufgrund von Syndizierungen und vorsichtigerer Kreditvergabe stehen die Banken somit aktuell nicht im Zentrum der Schwierigkeiten auf den Immobilienmärkten.
4. Keine Überbauungssituation
Anders als in früheren Krisen ist der Immobilienmarkt dieses Mal nicht in einer allgemeinen Situation der Überbauung. Deshalb erfolgte vor allem aus den Mietmärkten in den letzten Quartalen noch eine deutliche Stabilisierung der Kapitalwerte, was in der globalen Finanzkrise nicht der Fall war und Bankenpleiten weltweit begünstigte, da Wertverluste auf den Immobilienmärkten tendenziell verstärkt wurden.
5. Assetklassen lassen sich nicht in einen Topf werfen
In der Niedrigzinsphase sind viele Investoren Schritt für Schritt dazu übergegangen, Immobilien als Alternative zu Staatsanleihen zu sehen. Diese Gleichsetzung greift zu kurz und die aktuelle Marktsituation zeigt dies mit Nachdruck. Während zum Zeitpunkt der vergangenen Krise vielen Investoren die Unterschiede beider Assetklassen noch geläufig waren, stehen wir jetzt vor der Aufgabe, die fundamentalen Unterschiede wieder stärker ins Bewusstsein zu bringen.
Fazit
Die Immobilie ist keine Alternative zur Staatsanleihe. Sie ist eine eigene Assetklasse, hat andere Liquiditätsthematiken, und sie weist andere Eigenschaften bei den laufenden Erträgen auf. Der stetige Einkommensstrom, den Immobilien oft in Form von inflationsindexierten Mieterträgen generieren, erweist sich – nach Jahren des Niedrigzinsumfelds – plötzlich wieder als signifikanter Unterschied und sollte bei einem Vergleich mit Staatsanleihen wieder stärker berücksichtigt werden.
Zwar emittiert die Bundesrepublik seit Jahren inflationsindexierte Bundesanleihen, ihr Anteil am jährlichen Auktionsvolumen beträgt indes seit 2006 im Schnitt lediglich etwa drei Prozent. Investoren, die sich in einem Umfeld anhaltend hoher Inflation absichern wollen, sollten trotz aller Diskussionen über noch notwendige Preisanpassungen diese Vorteile der Assetklasse Immobilien nicht aus den Augen verlieren. Denn die Inflationserwartungen bleiben unverändert hoch. Einer aktuellen Umfrage des Ifo-Instituts zufolge erwarten die befragten Expertinnen und Experten auch bis 2026 keine Rückkehr auf das von der EZB ausgegebene Inflationsziel von 2 Prozent.
Immobilien sind als Inflationsschutz geeignet. Sie haben aber auch dank ihrer Aussicht auf langfristige Wertsteigerungen ein höheres Renditepotenzial als Festverzinsliche, die im aktuellen Marktumfeld steigender Zinsen Vermögensverluste einfahren.
Hinzu kommen bei Immobilien die sogenannten Asset-Management-Themen, die zusätzliche Chancen bieten: Anders als in den Jahren nach 2007 hat sich das Leveraged-Beta-Fenster geschlossen. Heute kommt es darauf an, Immobilien-Assets neu zu positionieren und ihre Erträge durch aktives Asset Management zu steigern. Wir befinden uns bereits in einem Asset Management Zyklus. Auch darin unterscheidet sich der Markt bereits deutlich von der Marktentwicklung der Assetklasse Immobilien in den Jahren nach 2007.
Über den Autor
Marcus Cieleback ist seit 2008 Stadt-Chefökonom der Patrizia. Vor dieser Zeit war in leitenden Positionen bei Eurohypo und der Meag tätig.