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Im Krisenmodus Warum in der Türkei eine Zinsrevolte nötig ist

Thomas Kruse, CIO bei Amundi Deutschland

Die Spannungen zwischen den USA und der Türkei haben sich zuletzt immer weiter zugespitzt. Dabei bot sich noch vor wenigen Jahren ein ganz anderes Bild: Die Türkei feierte ihren Pluralismus und ihre 60-jährige NATO-Mitgliedschaft. Das Land am Bosporus bildete stolz die südöstliche Flanke des Militärbündnisses, pflegte gute Beziehungen zur Europäischen Union, um auf dem Weg des Beitrittsprozesses voranzukommen, und erfreute sich eines außergewöhnlichen Wirtschaftswunders. Die wirtschaftlichen Zuwächse gehörten zu den höchsten weltweit.

Heute hat sich die Lage komplett gewandelt. Durch die zollpolitischen Maßnahmen der USA befand sich die türkische Lira in den vergangenen Wochen im freien Fall und hat sich zuletzt auf niedrigem Niveau halbwegs stabilisiert. Staatschef Recep Tayyip Erdogan sieht sich von in- und ausländischen Marktteilnehmern gedrängt, die Krise um den US-Pastor Andrew Craig Brunson, der angeblich am Putschversuch gegen ihn beteiligt gewesen sein soll, besser früher als zu spät zu beenden.

Unnachgiebige Politik beherrscht die türkische Börse

Die Auswirkungen des diplomatischen Kräftemessens auf die Finanzlage der Türkei sind beträchtlich: Türkei-Aktien und -Anleihen und vor allem auch die Landeswährung sind seit dem Frühjahr heftig unter Druck geraten, nicht zuletzt aufgrund der offensichtlichen Uneinsichtigkeit der türkischen Staatsführung. Der türkische Leitindex ISE 100 hat auf Jahressicht mehr als 15 Prozent verloren.

Anleger konnten gewarnt sein: Seit 2013 galt die Türkei als einer der verletzlichsten Schwellenmärkte weltweit. Vor dem Hintergrund der geopolitischen Spannungen hat sich die Lage im Land dann rapide verschlechtert: Die Nettoverschuldung gegenüber internationalen Geldgebern liegt nach jüngsten Zahlen vom März 2018 bei 466 Milliarden US-Dollar – was 60 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Besonders brenzlig: In den kommenden zwölf Monaten müssen 180 Milliarden US-Dollar dieser Summe – rund 22 Prozent des BIP – umgeschuldet werden.

Zugleich ist die Inflationsrate bis Ende Juli auf 15,8 Prozent gestiegen. Seit Jahresbeginn hat die türkische Lira drastisch abgewertet. Waren im Januar 2018 3,75 Lira für einen US-Dollar zu zahlen, wurden Mitte August 2018 bereits 6,89 Lira fällig. Weil die ungeschickt agierende Staatsführung eine massive Kapitalflucht ausgelöst hat, unterstützt die hohe Inflation den Wertverlust türkischer Assets. Dabei brauchen Banken, Unternehmen und der öffentliche Haushalt dringend Finanzmittel.

Keine rasche Änderung in Sicht

Wir gehen nicht davon aus, dass sich die Bewertungen von allein wieder umkehren. Erst wenn die Türkei sich zu geld- und fiskalpolitischen Reformen durchringt, werden die internationalen Investoren wieder zu türkischen Assets greifen. Danach sieht es auf kurze Sicht nicht aus: Erdogan will die Freilassung des US-Pastors nur dann verhandeln, wenn die USA Fethullah Gülen ausliefern, den vermeintlichen Drahtzieher des Putschversuchs in der Türkei. Derweil schwächen die US-Sanktionen den türkischen Staatshaushalt und die Zusammenarbeit in der NATO bleibt angespannt, nicht zuletzt weil die Türkei russische Waffensysteme anstelle von US-Systemen kaufen will.