Der Geruch von Popcorn und Zuckerwatte wird immer schwächer, aus den Gesprächsfetzen, die man eben noch wahrnehmen konnte, wird allgemeines Gemurmel und das Gefühl im Magen immer flauer, denn je weiter man nach oben gezogen wird, desto näher rückt die rasante Fahrt in die Tiefe – der Beginn einer Achterbahnfahrt. Diesen Nervenkitzel des rasanten Auf und Abs, für den Besucher eines Vergnügungsparks freiwillig Schlange stehen, versuchen Anleger tunlichst zu vermeiden. Und anders als bei der Achterbahnfahrt ist das Ziel des Anlegers auch nicht, nach einer turbulenten Fahrt unten wieder auszusteigen.
Wie groß das Risiko ist, sogar noch tiefer auszusteigen, als man eingestiegen ist, hat das Jahr 2022 gezeigt. Viele Investoren haben ihr Portfolio oder Teile davon mit hohen Verlusten abgestoßen. Andere sind im Vertrauen auf den nächsten Aufstieg ruhig geblieben, wieder andere haben die Achterbahn gewechselt. Besonders beliebt war die jahrelang unbeachtete Hochzinsbahn. Die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken hatte die Renditen sämtlicher Anleihesegmente belastet, bei Staatsanleihen teilweise so stark, dass Investoren reale Verluste erlitten. Mantraartig wiederholten Marktanalysten „There is no alternative“, Aktien galten als alternativlos.
Aktien vs. Hochzinsanleihen: Kaum Unterschiede bei Rendite und Volatilität
Ein Grund dafür war die lang anhaltende Nullzinspolitik der Notenbanken, die die Renditen aller Anlageklassen drückte. Die Aktienmärkte hingegen profitierten von den niedrigen Zinsen und waren damit aus Investorensicht attraktiver. Vergleicht man Volatilität und Gesamtrendite globaler Hochzinsanleihen und globaler Aktien seit 2004, fällt auf, dass die höheren Aktienrenditen nur mit einer gering erhöhten Volatilität einhergingen. Aktien erzielten in diesen Jahren eine Gesamtrendite von 8,3 Prozent, und ihre Volatilität betrug 16,5 Prozent. Die Gesamtrendite globaler hochverzinslicher Anleihen lag im selben Zeitraum mit 6,8 Prozent 1,5 Prozentpunkte unter der Aktienrendite, der Abstand der Volatilität betrug hingegen nur 0,6 Prozentpunkte.
Anleihen, die in der Regel negativ mit Aktien korrelieren und so in Bärenmärkten vor Verlusten schützen sollten, wurden für Investoren aufgrund ihrer geringen Renditen immer weniger attraktiv, je länger die Nullzins-Phase anhielt. Die Folge waren sinkende Anleihequoten zugunsten steigender Aktienquoten in vielen Portfolios und Multi-Asset-Fonds.
Gesunkene Anleihekurse trieben die Renditen
Bis sich 2022 alles änderte. Während die Verluste Anfang 2020 nur ein Vorgeschmack waren, wurden Investoren vergangenes Jahr daran erinnert, wie volatil die Aktienmärkte sein können. Auf die jahrelange Fahrt nach oben folgte die Abfahrt. Der Popcorn-Geruch wurde wieder intensiver, aus Gemurmel wurden Gesprächsfetzen. Kein gutes Zeichen für Investoren. Und auch die Inflation zeigte 2022, dass sie sich nicht ewig auf Immobilien- und Aktienpreise beschränkt. Auf die steigenden Preisindizes reagierten die Zentralbanken mit dem Ende ihrer expansiven Geldpolitik.
War damit die Stunde der Anleihe-Investoren gekommen, die auf die negative Korrelation von Aktien und Anleihen gesetzt haben? Zunächst nicht. Existierende Anleihen, die noch zu Niedrigzins-Konditionen emittiert wurden, waren für Investoren gerade aufgrund der steigenden Leitzinsen äußerst unattraktiv. Es kam zu Abverkäufen. Die Papiere mit niedrigen Kupons und Zinszahlungen, die seit Jahren in den Portfolios schlummerten, versprachen nun deutlich weniger Rendite als die Anleihen, die Unternehmen zu den neuen Konditionen emittierten, sowie die Anleihen, die man aufgrund des durch die Verkaufswelle rasant gestiegenen Angebots zu niedrigen Kursen kaufen konnte.
Schon immer dabei gewesen zu sein, war also kein Vorteil. Im Gegenteil: Oft waren es die gesunkenen Anleihekurse, die die Renditen trieben. Hohe Renditen allein sagen bei Anleihen nichts über den tatsächlichen Gewinn der Anleger aus. Entscheidend für sie sind ihr individueller Einstiegs- und Ausstiegskurs sowie die Höhe der Kuponzahlungen während der Haltezeit.
Warum viele Analysten und Fondsmanager 2022 von der High-Yield-Rückkehr sprachen, zeigt sich beim Blick auf die Renditen. Während der globale Aktienindex MSCI World 2022 knapp ein Fünftel an Wert verlor, stieg der Effektivzins des US-Hochzins-Index ICE Bofa US High Yield im Jahresverlauf von 4,4 Prozent auf 8,9 Prozent, der Effektivzins des europäischen Pendants ICE Bofa High Yield Index erhöhte sich währenddessen auf 7,5 Prozent, ausgehend von 2,8 Prozent. Hochzinsanleihen boten damit, im Gegensatz zu Aktien, einen Schutz gegen die Inflation. Vorausgesetzt, das Timing stimmte.
High Yield: weniger zinssensitiv als Staats- und Investment-Grade-Anleihen
Die höchsten Renditen von Hochzinsanleihen treten in der Regel in Bärenmärkten und Krisenjahren auf. Das vergangene Jahr war dabei keine Ausnahme: In Zeiten der platzenden Dotcom-Blase und der Finanzkrise erzielten europäische High-Yield-Anleihen effektive Renditen von 20,5 Prozent im September 2001 und 24,6 Prozent im November 2008, beide Werte beziehen sich auf den Europäischen Hochzinsindex.
Während die Renditen in vergangenen Krisenjahren jedoch häufig durch Abverkäufe und die dadurch sinkenden Anleihekurse getrieben wurden, lagen die Verkäufe hochverzinslicher Unternehmensanleihen 2022 sogar unter denjenigen der Investment-Grade-Anleihen. High-Yield-Anleihen sind, unter anderem durch ihre kürzere Duration, häufiger weniger zinssensitiv als Staats- und Investment-Grade-Anleihen. Damit führten die steigenden Zinsen auch zu einem geringeren Verkaufsdruck. Hinzu kommt, dass Investoren den emittierenden Unternehmen auch mehr Vertrauen als in vergangenen Krisen entgegenbrachten. Die meisten Unternehmen konnten die Jahre 2020 und 2021 nutzen, um sich zu günstigen Konditionen zu refinanzieren, und waren nicht auf Neu-Emissionen angewiesen, um sich zu kapitalisieren. Die erwarteten Ausfallraten der verschuldeten Unternehmen stiegen daher nur in wenigen Fällen.
Absolute-Return-Strategien mit Outperformance im Bärenmarkt
Besonders krisenresistent waren laut Frank Becker, Geschäftsführer institutionelle Kunden bei der Meag, Hochzinsanleihen kurz vor Ende ihrer Laufzeit: „Aus Risikoüberlegungen sind High Yields mit kurzer Restlaufzeit besonders attraktiv. Die kürzere Laufzeit relativiert das Bonitätsrisiko, da das Ausfallrisiko nur noch über einen überschaubaren Zeitraum zu managen ist. Short-Term-High-Yield-Anleihen haben sich in den jüngsten Kapitalmarktturbulenzen als resilient erwiesen.“
Institutionelle Investoren, die sich vor Turbulenzen schützen und ihr Kapital erhalten wollen, setzen häufig auch auf Absolute-Return-Strategien. „Absolute-Return-Anleihefonds versuchen, in jedem Marktumfeld positive Renditen zu erzielen. Ihr Ziel ist es, die Renditen im Laufe des Marktzyklus zu glätten, wobei sie in einem Bärenmarkt outperformen, während sie in einem Bullenmarkt oft unterdurchschnittlich abschneiden“, fasst Mark Nash, Manager des Jupiter Absolute Return Bond Funds, zusammen.
Liquid-Alternatives-Strategien besser als andere Asset-Klassen
Das ist Absolute-Return- und Liquid-Alternatives-Strategien, zu denen auch Absolute-Return-Anleihefonds gehören, im ersten Halbjahr 2022 auch gelungen. Mit minus 1,65 Prozent rentierten sie zwar negativ, lagen damit aber weit vor anderen Asset-Klassen. Europäische Unternehmensanleihen verloren mehr als 12 Prozent, Hedgefonds schnitten mit minus 5,05 Prozent noch vergleichsweise gut ab.
Das geht aus der Absolute-Return-Studie von Lupus Alpha hervor, die in Deutschland zum Vertrieb zugelassene Ucits-konforme Fonds aus dem Absolute-Return- und Alternatives-Universum betrachtet. Absolute-Return-Anleihefonds erzielten demnach im Schnitt minus 3,6 Prozent und lagen damit leicht vor der Gesamtkategorie Absolute Return (minus 4,3 Prozent). Auch über zwölf Monate und fünf Jahre liegen die Anleihe-Strategien mit höheren durchschnittlichen Renditen und geringeren Performance-Unterschieden zwischen den einzelnen Fonds vorne.

Dennoch verzeichneten Absolute-Return-Anleihestrategien laut Lupus Alpha 2022 Nettomittelabflüsse in Höhe von 3,93 Milliarden Euro, institutionelle Investoren zogen davon 2,56 Milliarden Euro ab. Das waren die zweithöchsten Verluste im Universums-Vergleich. Ein Grund, den die Studienautoren dafür nennen, ist, dass Liquiditätsanforderungen dazu geführt haben könnten, dass Investoren die Anlagen verkauft hätten, mit denen sie die geringsten Verluste realisiert haben.
Auch Nash bestätigt, dass die Strategien Anlegergelder verloren haben. Er hat eine weitere Erklärung: „In der jüngeren Vergangenheit haben Absolute-Return-Anleihefonds unter Abflüssen gelitten, da sich festverzinsliche Wertpapiere in einer Hausse befanden und Long-only-Fonds dominierten. Dies wurde durch die Finanzkrise verstärkt, da alle Volkswirtschaften unter der makroökonomischen Volatilitätlitten. Dies erwies sich als schwieriges Umfeld für die Strategien, um diversifizierte Erträge zu erzielen.“
Während einige Manager dennoch überaus erfolgreich waren, litten andere Fonds enorm unter diesen Bedingungen. Auch das ist ein Ergebnis der Absolute-Return-Studie von Lupus Alpha. Während der beste Absolute-Return-Anleihefonds zwischen Juni 2021 und Juni 2022 ein Plus von fast 24 Prozent machte, war die schlechteste Performance minus 20,5 Prozent. Über fünf Jahre verringert sich der Abstand deutlich. Der beste Fonds erzielte 6,5 Prozent, der schlechteste minus 2,6 Prozent.

Absolute-Return-Strategien unabhängig von einer Benchmark
Ein Grund für diesen großen Performance-Abstand zwischen der besten und schlechtesten Strategie ist die Handlungsfreiheit der Fondsmanager, die Nash so beschreibt: „Wesentliche Merkmale von Absolute-Return-Fonds sind die Flexibilität und die Benchmark-unabhängige
Strategie. So können Derivate eingesetzt werden, um sich gegen Risiken abzusichern und um auch auf der Short-Seite Alpha zu generieren. Daher kann ein Portfolio konstruiert werden, das über den gesamten Zyklus sowohl bei fallenden als auch bei steigenden Märkten performt. Positive Renditen sind somit unabhängig von der Entwicklung des Gesamtmarkts möglich.“
Den Vorteil, dass Absolute-Return-Strategien unabhängig von einer Benchmark sind, bestätigt auch Becker aus Sicht der institutionellen Investoren: „Gerade in volatilen Zinsphasen kann das enorme Vorteile haben, weil sich erfahrene Asset Manager von den Marktkräften ein Stück weit befreien und losgelöst davon systematisch Performance zeigen können.“ Die Strategien hätten sich für konservative Anleger wie Stiftungen über alle Phasen der Kapitalmärkte bewährt und einen festen Platz in der institutionellen Kapitalanlage gefunden. „Ein unabhängiges, stringentes und gut mit dem Portfoliomanagement verzahntes Risikomanagement spielt dabei eine herausragende Rolle“, ergänzt Becker.
Die großen Performance-Abstände zwischen den Fonds verdeutlichen, wie wichtig die Auswahl der Fonds ist, gerade aufgrund dieses großen Spielraums der Manager. Die größte Stärke von Absolute-Return-Strategien, ihre Flexibilität, ist gleichzeitig eine ihrer größten Schwächen. Strategien, die das Portfolio vor Marktschwankungen schützen sollen, werden diese Aufgabe nur erfüllen, wenn Investoren sorgfältig auswählen, in welche Fonds sie investieren.
2023 und darüber hinaus wird das besonders wichtig sein. Noch sind die Märkte nervös. Faktoren wie die anhaltende Inflation, erste Auswirkungen der gestiegenen Zinsen – unter anderem auf
den Bankensektor – und die Unsicherheit aufgrund des andauernden Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine fördern Rezessionsängste. Das ist die Probe für Strategien wie Absolute Return, die damit werben, unabhängig vom Marktumfeld positive Renditen zu erwirtschaften.
High-Yield-Anleihefonds: Interesse dürfte wieder steigen
Weniger Freiheit haben Manager von High-Yield-Anleihefonds. Geeignet in turbulenten Zeiten sind sie dennoch, wie Becker bestätigt: „Für Versicherungen und versicherungsähnliche Anleger wie Pensionskassen, Versorgungswerke, aber auch Stiftungen bilden High-Yield-Anleihen eine gute Möglichkeit der längerfristigen Renditeoptimierung in einem diversifizierten Portfolio – grundsätzlich unabhängig vom jeweiligen Marktumfeld.“ Und er ergänzt: „High-Yield-Anleihen sind für Anleger attraktiv, die gezielt Bonitätsrisiken eingehen und dies durch ein rigoroses Risikomanagement erfolgreich managen können.“
Auch wenn Investoren 2022 ihre Gelder zunächst aus sämtlichen Strategien abgezogen haben, dürfte ihr Interesse in den kommenden Jahren wieder steigen. Wahrscheinlich ist auch, dass sich allein Schlangen dann nicht vor den Aktien-Achterbahnen bilden, sondern sich auch die Wagen der Absolute-Return- und Hochzinsbahnen wieder füllen werden. Der höhere Leitzins und die Unsicherheit könnten dann Motor statt Bremse werden.

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 03/2023 des private banking magazins. Das gesamt Heft als PDF finden Sie hier zum Download.