Bemerkenswert ist die Wandlung des Niederländers und früheren „Superfalken“ Knot, den wir mittlerweile als „neutral“ ansehen. Auch Bundesbankpräsident Nagel verorten wir nunmehr im Lager der Neutralen. Damit bevölkern nach unserer Einschätzung nur noch vier Falken den EZB-Turm.
Unser Hawkometer teilt die EZB-Ratsmitglieder entsprechend ihrer geldpolitischen Grundhaltung ein in geldpolitische Falken, die eine tendenziell straffe Geldpolitik bevorzugen, und geldpolitische Tauben, die eher eine lockere Geldpolitik verfolgen.
Immer zu Beginn eines Jahres werfen wir einen Blick auf die vergangenen zwölf Monate, um unser Hawkometer zu überprüfen. In den Jahren 2022 und 2023 gestaltete sich dies sich schwieriger, weil die rasant steigende und dann fallende Inflation keine andere Geldpolitik zuließ, als zunächst deutlich steigende und anschließend wieder fallende Zinsen. Beide Bewegungen wurden sowohl von den geldpolitischen Tauben, als auch den geldpolitischen Falken mitgetragen.
Mittlerweile befinden wir uns mit Blick auf Inflation und Zinsen auf dem Weg der Normalisierung. Damit wird es wieder einfacher, basierend auf Reden, Interviews und Kommentaren die geldpolitische DNA der EZB-Ratsmitglieder zu bestimmen.
Der wandelbare Herr Knot: Vom Superfalken ins Lager der Neutralen
Die bemerkenswerteste Entwicklung durchläuft der Niederländer Klaas Knot. Wir hatten in unserem letzten Hawkometer bereits ausführlich beschrieben, wie sich der Niederländer von einem Hardliner-Falken zu einem moderaten Falken gewandelt hat. In den vergangenen Monaten hat dieser seinen Weg zu einem „ neutralen Pragmatiker“ fortgesetzt. Diesen Eindruck haben wir seit dem Frühsommer 2024 gewonnen, der sich in den Folgemonaten verfestigt hat.
Bis dahin äußerte sich Knot noch – in der Art eines moderaten Falken – zurückhaltend hinsichtlich Inflation und geldpolitischer Lockerungen. Allerdings änderte sich seine Kommunikation ziemlich abrupt. Im Juni präsentierte er bei seiner Rede in Mailand eine Grafik mit einem „optimalen geldpolitischen Pfad“, der für die zweite Jahreshälfte zwei bis drei Zinssenkungen und gegen Ende 2025 einen Leitzins von rund 2,5 Prozent nahelegte.
Erstaunlich ist dies deshalb, weil Knot damit in einer Klarheit und mit der Aussicht auf deutlich sinkende Zinsen vorpreschte, während sich andere Ratsmitglieder kaum konkret äußern wollten. Selbst moderate Tauben wie der Slowake Kažimír sprach nur von einer möglichen Zinssenkung bis Ende 2024.
Chart 1: Knots „optimaler Pfad der Geldpolitik“
Einlagensatz (DFR), €STR und optimaler Pfad der Geldpolitik in Prozent ab Juni 2024. Modellkalkulationen der niederländischen Notenbank

Im September meinte Knot, dass die Inflationsrisiken „mehr oder weniger ausgeglichen“ seien und er mit den Markterwartungen zu weiteren Zinssenkungen einverstanden sei. Hingegen sprachen andere Falken einen Tag zuvor noch von einer „alarmierend hohen“ Inflation im Dienstleistungssektor, weshalb die Intervalle zwischen den Zinsschritten variieren könnten.
Nur wenige Tage später erörterte Knot in einem Interview im niederländischen Fernsehen, dass er in naher Zukunft und in der ersten Jahreshälfte 2025 schrittweise Zinssenkungen erwarte. Außerdem gehe er davon aus, dass sich die Zinsen „auf einem natürlicheren Niveau ... irgendwo im Bereich von 2 Prozent“ einpendeln dürften. Damit hat er bereits im September klarere Worte hinsichtlich der Landezone gefunden, als die allermeisten seiner Ratskollegen.
Mittlerweile haben sich auch diese zu einem zu erreichenden Zins bzw. zum neutralen Zins geäußert, den die meisten Ratsmitglieder zwischen 2 Prozent und 2,5 Prozent verorten. Damit lag Knot bereits im September mit seiner Einschätzung am unteren Rand dieser Bandbreite.
... und zum EZB-Präsidenten?
Angesichts dieses zu beobachtenden Sinneswandels ordnen wir den Niederländer dem Lager der Neutralen zu (siehe Chart unten). Ein möglicher Grund für diese Veränderung seiner Kommunikation könnte in seinem Interesse liegen, Präsidentin Lagarde zu beerben, deren Amtszeit im Oktober 2027 endet. Knot wurde bereits 2019 als Draghi-Nachfolger gehandelt.
Auch für die niederländische Regierung wäre eine EZB-Präsidentschaft in den kommenden Jahren attraktiv, zumal die Niederländer mit Wim Duisenberg (1998 bis 2003) bisher nur für fünf Jahre einen Präsidenten in die EZB entsandt haben, wohingegen Frankreich diesen Posten mit Trichet und Lagarde für jeweils acht Jahre für sich beanspruchen konnte. Mit seiner langjährigen Expertise wäre Knot sicherlich ein aussichtsreicher Kandidat.
Fraglich bleibt allerdings, wie Knot die Zeit bis Herbst 2027 überbrücken wird, da seine zweite Amtsperiode an der Spitze der niederländischen Notenbank im Juni 2025 enden wird und eine dritte ausgeschlossen ist. Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, im EZB-Direktorium seinen Landsmann Frank Elderson (dessen Amtszeit ebenfalls im Oktober 2027 ausläuft) zu ersetzen.
Eine Alternative bestünde darin, in der Zwischenzeit eine andere hochrangige Position in der Finanzpolitik auszufüllen – wie der Spanier Pablo Hernández de Cos, der von der Spitze der spanischen Notenbank an die Spitze der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich wechselte.
Chart: Commerzbank-Hawkometer

Deutschland: Nagel nicht länger falkenhaft
Wir haben uns auch bei Bundesbankpräsident Nagel dazu entschlossen, diesen in das Lager der "neutralen Pragmatiker" einzusortieren. In den letzten Monaten sind uns an ihm drei Dinge aufgefallen, die uns zu diesem Schritt bewogen haben: Erstens klingen einzelne seiner Äußerungen fast schon taubenhaft, wenn er nach der Dezember-Sitzung in einem Platow-Brief-Interview sagt, dass es nicht verkehrt sei, über eine 50-Basispunkte-Zinssenkung zu sprechen, da dies Teil des Jobs sei.
Unbenommen der Richtigkeit der Aussage, vermeiden es aber seine Kollegen aus dem Falkenlager, einen größeren Zinsschritt in Erwägung zu ziehen. Der Österreicher Holzmann sprach im Gegenteil sogar von Zinspausen. Darüber hinaus gab sich Nagel in einem Fokus-Interview kurz vor Weihnachten selbstsicher, dass "das Inflationsbiest letztlich gezähmt" sei und die EZB "den Preisanstieg gut unter Kontrolle" habe, sodass die Notenbank "die Zinsen sicherlich noch ein wenig senken" könne.
Zweitens ist uns davor eine gewisse Wankelmütigkeit aufgefallen, betreffend seiner Einschätzung zur Inflation. Im Juni gab sich Nagel in einem ZDF-Interview überzeugt, dass das Schlimmste vorüber sei und die Inflation sich weiter auf dem Rückzug befinde: "We are approaching — in the next year [2025] at the latest — our price stability goal of 2 Prozent." Im Juli unterstrich er dies in Rio mit den Worten, dass das "gierige Inflationsbiest" nicht länger existiere.
Insofern mutet es etwas irritierend an, wenn Nagel im August auf einer Konferenz in Alpbach davor warnt, dass "eine baldige Rückkehr zur Preisstabilität noch nicht als gesichert" angesehen werden könne. "Wir haben die Phase erhöhter Inflation noch nicht vollständig hinter uns".
Drittens wirkt es ebenso irritierend, wenn der Bundesbankpräsident der hauseigenen Analyse widerspricht. Ende Mai argumentierte er auf dem G7-Gipfel, dass in Deutschland die Lohnentwicklung zwar nach wie vor stark sei. Allerdings rechne er mit einer Abflachung der Lohnentwicklung in den nächsten Monaten. Das Lohnwachstum gehe in die richtige Richtung.
Im nur wenige Tage zuvor veröffentlichten Monatsbericht analysieren die Bundesbank-Experten: "Die jüngsten Tarifabschlüsse weisen auf ein weiterhin hohes Lohnwachstum hin... In der diesjährigen Lohnrunde sind hohe Neuabschlüsse zu erwarten. Die Lohnforderungen der Gewerkschaften bewegen sich aktuell zwischen 7 Prozent und 15 Prozent für zwölf Monate Laufzeit und liegen damit im historischen Vergleich weiterhin hoch.
Die seit Februar neu hinzugekommenen Forderungen zeigen keinen Rückgang der Forderungen an... Für auch zukünftig noch vergleichsweise hohe Lohnsteigerungen sprechen die immer noch verbreiteten Arbeitskräfteknappheiten und die hohe Streikwilligkeit, die den Gewerkschaften zuletzt überdurchschnittliche Durchsetzungsquoten ermöglichten.
Spanien: Escrivá weniger taubenhaft als sein Vorgänger de Cos
José Luis Escrivá, der erst im September das Amt des spanischen Notenbankgouverneurs von seinem Vorgänger Pablo Hernández de Cos übernommen hat, ist offenbar ein Mann der Überraschungen. In seiner Antrittsrede betonte er die Bedeutung der Unabhängigkeit der spanischen Notenbank und schlug als seine erste Amtshandlung eine Anpassung des Notenbankgesetzes vor, das der Zentralbank mehr Autonomie garantiert.
Damit trat er Kritikern entgegen, die ihn als Erfüllungsgehilfen eines hoch verschuldeten Staates der Euro-Peripherieländer abstempelten. Schon Wochen vor seinem Amtsantritt kritisierten spanische Medien die Entscheidung von Premierminister Pedro Sánchez, seinen Minister für digitale Angelegenheiten zum Chef der spanischen Zentralbank zu ernennen, dass dies die Unabhängigkeit der Institution gefährde. Die spanische Tageszeitung La Razón veröffentlichte sogar einen Meinungsartikel mit dem Titel „Sánchez übernimmt die Bank von Spanien“.
Zum zweiten Mal überraschte Escrivá beim jährlichen Treffen des International Investment Forum (IIF) in Washington Ende Oktober, wo er konstatierte: "Just last week in Slovenia, we concluded that the risk to inflation remains balanced." Damit vertrat er eine ähnliche Auffassung wie der Österreicher Robert Holzmann, den wir als geldpolitischen Falken sehen, und widersprach EZB-Präsidentin Lagarde, die auf der Pressekonferenz nach der EZB-Sitzung darlegte, dass es für die Inflation "wahrscheinlich mehr Abwärts- als Aufwärtsrisiken" gebe.
Zum dritten Mal überraschte der Spanier nach der EZB-Sitzung im Dezember, als er in seiner Rede auf der Jahrestagung der Asociación de Mercados Financieros (AMF) sagte: "Wenn wir uns alle Szenarien [für die Inflation] ansehen, könnten wir zu dem Schluss kommen, dass die Risiken für das Inflations-Basisszenario leicht nach oben tendieren." Damit zeigte er erneut eine andere Einschätzung als EZB-Präsidentin Lagarde, die auf der Pressekonferenz der vorangegangenen Sitzung darlegte, dass der EZB-Rat die Inflationsrisiken als "zweiseitig" bewerte.
Darüber hinaus fällt auf, dass Escrivá in seinen Reden und Präsentationen stets recht analytisch argumentiert, was uns an den pragmatischen geldpolitischen Stil von Isabel Schnabel und Boris Vujčić erinnert. Ohnehin greift Escrivá auf ein fundiertes geldpolitisches Wissen zurück. Der studierte Ökonom begann seine Karriere im Research der Bank von Spanien und wechselte danach zum European Monetary Institute, das 1998 in die EZB überging, wo er die Abteilung für Geldpolitik leitete.
Später arbeitete er für die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, von 2014 bis 2020 war er Präsident der Independent Authority for Fiscal Responsibility – ähnlich dem Bundesrechnungshof. Insgesamt ordnen wir damit den neuen spanischen Notenbankgouverneur als "neutralen Pragmatiker" ein.
Zypern: Patsalides im Taubenlager
Christodoulos Patsalides ist seit April Gouverneur der Zentralbank Zyperns und ein Kenner der zyprischen Notenbank und Bankenbranche. Seine Karriere begann der Absolvent der London School of Economics bei der zyprischen Notenbank, wo er sieben Jahre lang in der Abteilung für internationale Angelegenheiten beschäftigt war.
Nach einem zwischenzeitlichen Ausflug in die private Bankenbranche war Patsalides später wieder bei der Zentralbank Zyperns beschäftigt, wo er unter anderem für Strategie, Finanzplanung, M&A, Treasury und Investor Relations zuständig war. 2019 stieg er zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Bank auf. Seit seiner Ernennung zum Gouverneur der Notenbank Zyperns hat er sich allerdings kaum dezidiert geäußert.
Seine Kommentare zur Inflation beschreiben die jüngste Entwicklung oder sind Allgemeinplätze. Seine Betonung liegt auf "graduellen" Zinsschritten und dem Ansatz der Datenabhängigkeit. Insofern ist es an dieser Stelle schwierig, seine geldpolitische Identität festzulegen, so dass wir ihn vorerst in unserem Hawkometer an der Stelle seines Vorgängers Konstantinos Herodotou als Taube einordnen.
Slowenien tut sich schwer mit einem Nachfolger für Vasle
In Slowenien endete die Amtszeit des Notenbankgouverneurs Boštjan Vasle am 8. Januar. Bisher ist es nicht gelungen, einen Nachfolger für das Amt zu finden. Während Vasle eine zweite Amtszeit anstrebte, hatte die Präsidentin des Landes, Nataša Pirc Musar, den früheren Premierminister und Finanzminister, Anton Rop, vorgeschlagen. Dieser wurde aber vom Parlament abgelehnt.
Mittlerweile hat Vizegouverneur Primož Dolenc die Amtsgeschäfte interimsmäßig übernommen. Das bedeutet nach den Statuten der EZB aber auch, dass Slowenien im EZB-Rat derzeit kein Stimmrecht hat.
Malta: Scicluna wegen Gerichtsverfahrens beurlaubt
Der Gouverneur der Zentralbank Maltas, Edward Scicluna, hatte Ende Juli wegen eines laufenden Gerichtsverfahrens gegen ihn, bei dem er alle Vorwürfe bestreitet, um Beurlaubung gebeten. Auf seinen Wunsch hin wird er vertreten durch seinen Vizegouverneur, Alexander Demarco, der im EZB-Rat volles Simmrecht ausübt.
Das Rad im Rat dreht sich weiter
2025 enden die Amtszeiten von sieben Notenbankgouverneuren. Diese sind:
- 8. Januar – Boštjan Vasle (Slowenien): Amtszeit nicht verlängert; wird vertreten durch Vize-Gouverneur Dolenc.
- 1. Juni – Peter Kažimír (Slowakei)
- 30. Juni – Klaas Knot (Niederlande): Keine weitere Amtsperiode möglich.
- 11. Juli – Olli Rehn (Finnland): Der finnische Präsident hat Rehn für weitere sieben Jahre zum Notenbankgouverneur ernannt.
- 19. Juli – Mario Centeno (Portugal)
- 31. August – Robert Holzmann (Österreich): Ab 1. September übernimmt der derzeitige Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher das Amt des Gouverneurs der Österreichischen Nationalbank.
- 31. Dezember – Edward Scicluna (Malta)

Über den Autor:
Marco Wagner ist promovierter Volkswirt und analysiert im Research der Commerzbank die Geldpolitik der EZB sowie die Entwicklung der internationalen Kapitalmärkte.