Mit Corona fing es an. Stillstand auf den Baustellen, Lieferketten waren gestört, Arbeiten im Homeoffice machte Büro-Immobilien nachhaltig Konkurrenz, die bereits vorhandenen Probleme bei Einzelhandelsimmobilien – exklusive Grundversorger – wurden verstärkt. Es folgte der russische Angriffskrieg, eine hohe Inflation – und in deren Windschatten die Zinswende. Jedes einzeln für sich ein tiefgreifendes Problem. Vor dem Hintergrund der vom Regulator beschlossenen Energiewende treten sie geballt auf und setzen der Immobilienbranche zu.
„Insgesamt ist mit einer Marktkonsolidierung zu rechnen, ähnlich wie nach der Lehman-Krise. Sowohl einige Asset- und Fondsmanager als auch Entwickler und Dienstleistungsunternehmen werden betroffen sein“, sagt Markus Reinert, Geschäftsführer der IC-Immobilien-Gruppe. Projektentwickler bräuchten jetzt klar größere Eigenkapitalpuffer. Es sei nicht mehr möglich, von einem Objekt zum nächsten zu springen, indem gebundenes Eigenkapital durch einen schnellen Exit frei gemacht wird. „Zudem kommt es auf das Management an, um die Balance zwischen steigenden Fremdkapitalzinsen, hohen Kosten, Fachkräftemangel und stockender Nachfrage auszutarieren. Schwächer aufgestellte Anbieter werden vermehrt aus dem Markt ausscheiden“, ergänzt Carsten Mumm, Chefvolkswirt der Privatbank Donner & Reuschel.
Immerhin die Lieferkettenproblematik löse sich laut Fabian von Köppen, Geschäftsführer der Garbe Immobilien-Projekte, langsam auf. Die Rohstoffpreise für Holz, Glas und Stahl seien wieder auf dem Vor-Corona-Niveau. Die vergangenen Jahre zeigen laut von Köppen auf vielfältige Weise, dass es mehr denn je Zeit ist, umzudenken. Und zwar insbesondere für Projektentwickler: „Die Anforderungen an die Stadt sowie an Immobilien haben sich verändert. Zum einen aufgrund des herausfordernden ökonomischen Marktumfeldes, aber auch angetrieben durch veränderte Nutzerbedürfnisse und letztlich auch durch die Rolle, die Immobilien in unserer Umwelt einnehmen.“
Reinert von IC Immobilien rechnet damit, das frühestens Mitte 2025 das von den Notenbanken angestrebte Inflationsziel von 2 Prozent erreicht wird. Bis dahin werde es „schmerzliche Anpassungen“ geben, die gerade erst anlaufen. „Nachdem die erzielbaren Kaufpreise je nach Nutzungsart und Lage bereits teils deutlich gesunken sind, werden die Portfolios neu durchbewertet. Es wird noch zu spürbaren, wenngleich nicht zu erheblichen Abschreibungen kommen“, so Reinert. Bei diesem Prozess hinke Deutschland hinterher, weiß Martin Lemke, Chef des Family Office AM Alpha und Chairman der European Association for Investors in Non-Listed Real Estate Vehicles. Die Inrev ist eine gemeinnützige Vereinigung, die Interessen von über 460 Mitgliedern, darunter institutionelle Anleger und Fondsmanager für nicht-börsennotierte Immobilienfonds in Europa, wahrnimmt.
Hierzulande werden Immobilien einmal im Jahr bewertet. Im angelsächsischen „Mark to market“-Modell geschehe das mindestens einmal im Quartal. Bewegt der Markt sich, spiegelt sich das schnell im Gutachten wider. Der Wert der Immobilie ist das, was der Markt dafür bezahlt. „In Deutschland haben wir einen langfristigeren Verkehrswert. Negative und positive Effekte, die nur temporär sind, werden in der Betrachtung ausgeklammert“, so Lemke. Aus diesem Grund gibt es in Deutschland stabilere Marktwerte, weshalb derzeit oft die Rede davon ist, dass Verkäufer und Käufer um die zwei Jahre brauchen werden, um sich hierzulande wieder zu finden.

Nervenaufreibende Findungsphase
„Ein Art Schockstarre“, nennt Mumm von Donner & Reuschel den Zustand, in dem der Markt sich derzeit befinde. Nach Jahren deutlicher Preissteigerungen seien Verkäufer in seinen Augen derzeit noch nicht bereit, größere Abschläge im Vergleich mit den einmal erreichten Preisniveaus zu akzeptieren. Potenzielle Käufer hingegen würden abwarten und auf noch günstigere Einstiegsmöglichkeiten hoffen. „Der Markt entwickelt sich von einem Verkäufer- zu einem Käufermarkt“, so Mumm. Allerdings steige der Refinanzierungsdruck mit anhaltend hohen Zinsen. In den kommenden Monaten dürfte daher sukzessive mehr Angebot auf und damit mehr Bewegung in den Markt kommen, schätzt Mumm.
Tobias Just, Geschäftsführer der Irebs-Immobilienakademie, ordnet die Lage ähnlich ein, spricht von einer Schockphase, sieht die Immobilienfinanzierung jedoch stabiler aufgestellt als bei der Finanzkrise 2008. „Diese Krise erfordert in erster Linie ein Repricing, einige Investoren müssen Verluste realisieren“, so Just. Er ergänzt: „Verständlicherweise hofft jeder, dass es andere gibt, die sich hier als erste bewegen. Wenn das alle denken, passiert zu lange zu wenig. Das kann nur dann gut gehen, wenn die Zinsen sehr bald wieder deutlich sinken. Das zeichnet sich aktuell nicht ab.“
Unterm Strich eine nervenaufreibende Findungsphase, bei der die hierzulande trägeren Bewertungen auch Vorteile offenbaren. In der Finanzkrise wurden durch das rasante Abwerten Investoren dazu gebracht, schnell Immobilien verkaufen zu müssen, auch stark unter Wert. „Das kann weitere Gefahren für eine Wirtschaft entfesseln. Mit dem deutschen Modell kann man ruhiger schlafen, weil die Volatilität herausgenommen wird“, so Lemke, dessen Portfolio bei AM Alpha jeweils zur Hälfte in Europa und Asien investiert ist.
Nicht nur bei Büros Korrekturen
Dennoch: Auch in Deutschland spielen Büroimmobilien in dieser Gemengelage eine besonders unglückliche Rolle. Die Pandemie war mit dem erzwungenen Homeoffice ein extremer Trendbeschleuniger. Das hat Folgen. „Büros in den USA sind zu 20 Prozent leer, in Deutschland und Europa sind wir bei 7 Prozent Leerstand. Das sind fundamentale Probleme, die den Bereich weiter belasten werden“, sagt Michael Fink, Geschäftsführer von Catella Residential Investment Management. Eine aktuelle Studie des Immobilienberaters JLL, der weltweit 100 Immobilienmärkte analysiert hat, kommt zu dem Ergebnis, dass der Flächenumsatz sich im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 18 Prozent auf 7,3 Millionen Quadratmeter
verringert hat. Das Minus zum Vorquartal beträgt 13 Prozent. In der EU war der Rückgang mit 24 Prozent besonders stark.
Colliers errechnete für das erste Quartal 2023 ein Transaktionsvolumen von Büroimmobilien in Deutschland von 1,1 Milliarden Euro (siehe Grafik). „Wir sind nach wie vor große Büroinvestoren und finden das auch gut“, sagt Lemke trotz allem. In seinem Portfolio sind zu gut 50 Prozent Büroimmobilien enthalten. Die andere Hälfte entfällt auf Einzelhandels-, Logistik- und Wohnimmobilien. Er glaubt, dass gute Büros in guten Lagen, die Mitarbeitern Spaß
beim Arbeiten bieten, eine Zukunft haben. „Bürogebäude, die das nicht können, werden es sehr schwer haben, egal in welcher Lage“, so Lemke.
Damit das so bleibt, tun er und seine Mitarbeiter viel: „Kommunikation ist alles. Wir fangen immer bei uns selbst an und fragen unsere jungen Kolleginnen und Kollegen.“ Zudem wird mit Designern, Architekten und – ganz wichtig für Lemke – mit den Mietern gesprochen. Die seien heute flexibler. In Großbritannien beispielsweise, wo Mietverträge früher oft eine Dauer von bis zu 30 Jahren hatten, wollen laut Lemke viele Firmen nur noch kurz mieten, es aber für diese Zeit – von bis zu fünf Jahren – schön haben. „Dann lassen wir einen Designer kommen, machen den Ausbau für den Mieter. Die Mieten sind dann dementsprechend höher, aber der Mieter ist happy."

Die Wünsche des Mieters sind auch für Michael Fink von Catella extrem wichtig: „Ein Mietvertrag ist letztendlich wie ein Abo zu sehen. Der Mieter muss zufrieden sein, um dieses nicht zu beenden.“ Und das gelte nicht nur für Büroimmobilien. Auch der Einzelhandel müsse seine Hausaufgaben machen. „Ein gutes Konzept ist das Wichtigste. Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir wollen nicht nur Zu Hause vor dem Bildschirm sitzen und per Mausklick einkaufen. Wir wollen etwas erleben, sehen, anfassen“, so Lemke.
Klar ist für ihn, dass die Zeiten vorbei sind, in denen eine Immobilie gekauft werden kann, zehn Jahre nur Miete kassiert und nichts weiter gemacht wird: „Geht ein Investor so vor, ist nach zehn
Jahren der Mieter weg und die Immobilie alt.“ Und alte Immobilien mag auch der Gesetzgeber nicht – sie müssen laut Taxonomie und SFDR nachhaltiger und umweltschonender werden. Von Artikel 6 bis 8 und 9 soll auch in Immobilien-Fonds Transparenz hergestellt werden.
Was simpel und zielführend klingt, hat in der Umsetzung viele Tücken. „Dass ein Produkt von vornherein Artikel 9 sein soll, ist problematisch. Es gibt bislang keine regulatorische Vorgabe für die ‚soziale‘ Definition“, sagt Michael Fink von Catella und spricht damit ein Kernproblem an, mit dem die Branche sich konfrontiert sieht: den bislang schwammigen Rahmen des Gesetzgebers. Klar ist eigentlich nur, dass Gebäude mit einer hohen Energieeffizienz preisstabiler sind. Laut JLL büßten Häuser der schlechtesten Energieklasse G/H im ersten Quartal 2023 über 28 Prozent an Wert ein, im Gegensatz zu den besten Kategorien A/A+.
Die Politik ist in der Pflicht
Für Bestandsimmobilien sind Regulierung und Vorgaben zur Energieeffizienz Herkulesaufgaben – und sie machen im Durchschnitt 98 Prozent in Immobilienfonds aus. „Hier scheint noch vieles nach dem Prinzip Hoffnung auf Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft zu funktionieren. Das
reicht meiner Ansicht nach nicht aus“, sagt Tobias Just.
Die ALH-Gruppe beispielsweise will die CO2-Emissionen des Wohnimmobilienportfolios bis 2025 reduzieren. „Unsere Mitarbeiter gehen unser gesamtes Portfolio durch, um sagen zu können, an welchen Stellen wir selbst energetische Sanierungen durchführen können, oder – und das gebe ich ganz offen zu – wo Bestände sind, bei denen sich die Sanierung für uns nicht rechnet“, sagt Martin Rohm, Chef der Kapitalanlage der Versicherungsgruppe. Die Regulatorik und die Rahmenbedingungen müssen für ihn so sein, dass diejenigen, die über Jahrzehnte in die Assetklasse Immobilien und Wohnen investiert haben, noch einen Anreiz haben, das auch zukünftig zu tun.
„Wir wollen den Standort Deutschland insgesamt auch in den Punkten Infrastruktur und Wohnen fördern. Dieser Anreiz muss sich mit unserer Verpflichtungsseite decken“, so Rohm, der ergänzt: „Wir isolieren, dämmen, tauschen Fenster aus und vieles mehr – in einem Rahmen, der wirtschaftlich für uns Sinn macht.“ Dieser Rahmen werde immer kleiner, dabei gehöre die ALH-Gruppe zu den Investoren, die nicht renditeoptimierend agieren: „Wir investieren beispielsweise auch nicht in Luxus-Immobilien, sondern in Projekte, bei denen am Ende eine bezahlbare Miete für die Mieter herauskommt. Das wird immer schwieriger, auch aufgrund der stark steigenden Grundstückspreise, aber das ist und bleibt unser Anspruch.“ Um diesen erfüllen zu können, müsse für Investoren und Mieter ein Weg gefunden werden. Rohm nimmt die Politik in die Pflicht. „Eines ist ganz klar: Werden die Anforderungen für uns zu hoch, dann müssen wir uns überlegen, ob wir weiter in den Wohnungsmarkt investieren.“
Dieser bleibe laut Mumm jedoch hochinteressant, „angesichts anhaltend negativer Realrenditen, des in Deutschland bestehenden strukturellen Unterangebots und wegen absehbar steigender Mieten, zumal die Neubautätigkeit seit Monaten deutlich rückläufig ist“. 400.000 neue Wohnungen pro Jahr war das Ziel der Ampel-Regierung. Laut Ifo-Institut werden 2023 245.000 und 2024 sogar nur 210.000 Wohnungen in neuen Wohngebäuden fertiggestellt, im Jahr 2025 dann nur noch 175.000. Zusammen mit den übrigen Fertigstellungen werden 2025 etwa 200.000
Wohneinheiten entstehen. Behörden und Gesetzgeber müssten zahlreiche Bauprozesse – im Kern Genehmigungsverfahren – verschlanken und beschleunigen.
„Mangelnder Wohnraum und völlig ungenügende Neubauzahlen führen dazu, dass eigentlich nur noch Gutverdiener Wohneigentum bilden können“, so Markus Reinert von IC Immobilien. Die Probleme beim Wohnungsbau sind längst vor der Zinswende bekannt gewesen, diese gieße laut Family Officer Lemke aber weiteres Öl ins Feuer: „Die vergangenen zehn Jahre waren klasse, das Geld war billig. Wer ein bisschen Eigenkapital mitbrachte, hatte die Chance, eine Immobilie zu kaufen oder zu bauen.“ Das sei jetzt nicht mehr möglich und dränge mehr Menschen in den Mietmarkt.
AM Alpha widmete deshalb bereits Büro- in Wohnimmobilien um: „Das funktioniert ganz gut, ist relativ aufwendig. Wir müssen aber, wenn wir die brisanten gesellschaftlichen Fragen beantworten wollen, mit dem Immobilienbestand, den wir jetzt zur Verfügung haben, solche Umbauten machen“, so Lemke. Es müsse dabei immer der Nutzer und das Thema ESG mit einbezogen werden: „Würden wir jedes Gebäude, das für seine eigentliche Nutzung nicht mehr passt – aus welchen Gründen auch immer – abreißen, das wäre ökologischer und ökonomischer Irrsinn.“ Michael Fink widmete mit Catella ebenfalls Gebäude um. „In dieser ganz harten Definition Artikel 9 funktioniert das nicht. Da muss der Regulator vielleicht noch mal nachjustieren“, sagt er und betont: „Artikel 9 darf nicht Ausschluss von guten Ideen sein.“ Fabian von Köppen von Garbe stimmt zu. „Der Fokus muss von der Neubauentwicklung auf die Bestandsentwicklung gelegt werden.“ Bei der Schaffung des Baurechts müsse es aber Erleichterungen durch den Gesetzgeber geben.
Krisen bieten immer auch Chancen
Offene Fragen, tiefgreifende Probleme und dennoch: Wie in jeder Krise gibt es auch hier Chancen. Not leidende Kredite oder „Non-Performing Loans“ (NPLs) werden derzeit gehandelt wie selten zuvor – insbesondere von Private-Equity- und Hedgefonds, aber auch von spezialisierten Investmentboutiquen. Ein Kredit wird als not leidend eingestuft, wenn der Kreditnehmer ausstehende Zahlungen innerhalb von 90 Tagen nach dem Fälligkeitstermin für einen gewerblichen Kredit und innerhalb von 180 Tagen für einen Kleinkredit nicht leisten kann. Und auch eigenkapitalstarke Investoren wie Martin Lemke können derzeit gute Geschäfte machen. „Zum einen, weil wir eigenkapitalstark sind. Zum anderen, weil wir keine Quoten haben“, sagt er und spielt damit auf den Denominator-Effekt an. Dieser tritt ein, wenn illiquide Portfolioanteile stark anwachsen, weil der Wert liquider Bestandteile fällt: „Wir kaufen zurzeit fleißig ein, weil die derzeitige Situation uns entgegenkommt.“ In Großbritannien bilde sich laut Lemke langsam wieder ein Boden: „Investoren kehren jetzt zurück, weil sie überzeugt sind, auf dem neuen Niveau beruhigt kaufen zu können.“
Das könnte auch die Branche hierzulande zuversichtlich stimmen. Schließlich gilt Großbritannien mit seinem „Mark to market“-Modell als Vorreiter. Und auch die Ampel-Regierung in Berlin scheint die Nöte der Branche und der Gesellschaft zumindest teilweise erkannt zu haben. Der viel kritisierte Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) geht überarbeitet zur Abstimmung in den Bundestag, schließt nun unter anderem Gas- und Holzheizung nicht mehr per se aus. Kommunen müssen zudem eine Wärmeplanung erarbeiten, Fristen für Bestandsbauten wurden bis 2028 verlängert.
Bereits 2025 wird von der EU-Kommission ein einheitliches Energielevel, hinter dem bestimmte CO2- und Verbrauchswerte vereint sind, koordiniert. Ein „D“ in Deutschland kann derzeit noch ein „A plus“ in den Niederlanden bedeuten. Irebs-Vorstand Tobias Just müsste das gefallen. Er
wünschte sich unter anderem vom Regulator: „Mehr Digitalisierung für die Prozesse, mehr Kooperation zwischen Kommunen und mehr CO2-Bepreisung anstelle von Mikroregulierung.“ Und auch Martin Lemke dürfte die Bemühungen in Berlin wohlwollend zur Kenntnis nehmen:
„Deutschland ist in einer Rezession, und das ist zu einem guten Teil ein hausgemachtes Problem – und die sind meistens die gefährlichsten.“