Harter Brexit Absehbares Desaster oder Riesenchance für disruptive Unternehmer?

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Aber Dyson und die anderen Brexit-Befürworter unterschätzen, dass es in Großbritannien aufgrund der Ausdünnung der industriellen Basis und des schwachen Mittelstandes sehr wahrscheinlich nicht genug Unternehmen gibt, die die Chancen des Wandels nutzen können. Zudem ist für die Nation der Handel in Agrargütern und industriellen Vorprodukten eminent wichtig – und dieser wird durch Zölle und zeitraubende Warenkontrollen empfindlich getroffen. In Dysons eigener Geschäftsstrategie offenbart sich das grundsätzliche Problem britischer Strukturschwäche: Konzernzentrale, Forschung und Entwicklung sind in Großbritannien angesiedelt. Die Produktion ist aber in Asien, und damit auch die damit zusammenhängenden Arbeitsplätze und ihre Wertschöpfung.

Die britische Politik macht wenig Hoffnung: Sie hat sich zu sehr daran gewöhnt, die EU als Sündenbock für jede Fehlentwicklung zu präsentieren, als dass sie sich über konstruktive Alternativen zur Entwicklung des eigenen Landes Gedanken machen würde. Die von Schatzkanzler Hammond zwischenzeitlich angedachte steuerliche Belastung von Kleinunternehmern offenbart eine tiefes Unverständnis der britischen Regierung für die Erfordernisse der Wirtschaft. Die Ablehnung von Immigration betrifft nicht nur EU-Bürger, sondern gerade auch die von Dyson als möglicher Ersatz ins Spiel gebrachten Einwanderer aus Schwellenländern. Insofern ist zu befürchten, dass der jetzt anstehende Veränderungsprozess für Großbritannien die ökonomische Spaltung des Landes eher verstärkt. Für einen Großteil der britischen Bevölkerung – besonders in den bereits strukturschwachen Regionen – wird ein Hard Brexit zum absehbaren Desaster.

Doch das mit einem Hard Brexit verbundene Chaos wird langfristig den disruptiven Wandel erleichtern. Dies eröffnet Chancen für kreative Unternehmen. Bei den börsennotierten Firmen werden diese besonders gut viele mittelgroße Gesellschaften nutzen können. Sie sind vom Mid Cap-Index FTSE 250 repräsentiert, dem großen Börsen-Verlierer des letzten Jahres. Viele Firmen haben schon in der Vergangenheit die Wachstumsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb Großbritanniens konsequent genutzt. Bei ihnen – wie auch vielen anderen international erfolgreichen britischen Unternehmen – ist zu erwarten, dass ihnen ein Brexit eher neue Möglichkeiten eröffnet als schadet, selbst wenn er ganz hart kommt. Sie bleiben damit vielleicht in ihrem Heimatland die Ausnahmen – aber für Anleger (auch auf dem Kontinent) ganz besonders interessante Ausnahmen.

Über den Autor:
Karl-Heinz Thielmann ist Vorstand von Long-Term Investing Research – Institut für die langfristige Kapitalanlage.

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