Harter Brexit Absehbares Desaster oder Riesenchance für disruptive Unternehmer?

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In Großbritannien ist es in den vergangenen Jahrzehnten zu deutlichen Fehlentwicklungen in der Wirtschaft gekommen, die eine große Rolle für die Ablehnung der EU gespielt haben. Zu verzeichnen sind eine ökonomische Spaltung des Landes, stark wachsende Außenhandelsdefizite und der Niedergang des traditionellen Mittelstandes.

Bei den Brexit-Befürwortern hatte sich der Eindruck verfestigt, dass diese Missstände ein Resultat von mehr als 40 Jahren EU-Mitgliedschaft waren. Viel stärker als durch die europäische Integration wurde die britische Wirtschaft aber von den 11 Jahren der Regierung Margaret Thatchers geprägt. Die „eiserne Lady“ trat 1979 an, um die Nation nach jahrzehntelangen Niedergang durch einen konsequent marktwirtschaftlichen Kurs wieder auf die Erfolgsspur zurückzubringen.

Damit war sie – zumindest auf den ersten Blick – erfolgreich: Die Wirtschaft wuchs wieder; Großbritannien entwickelte sich zum einem bevorzugten Standort für ausländische Investoren. Dennoch hat sich als Konsequenz des Thatcherismus eine relativ einseitige Struktur der Wirtschaft mit klarer Trennung zwischen Gewinnern und Verlierern ergeben.

Selbst wenn die EU nicht verantwortlich für hausgemachte britische Schwierigkeiten ist, so muss doch festgestellt werden, dass sie auch nicht nennenswert dazu beigetragen hat, sie zu beseitigen. Und unabhängig davon, was nun die tatsächlichen Ursachen für die britische Misere sind, die Diskussion um den Brexit hat die akuten Probleme auf die Tagesordnung gesetzt.

Einerseits gibt es in Großbritannien Wachstumszentren wie London, Edinburgh, Oxford oder Cambridge, die von expandierenden Dienstleistungsbranchen (Tourismus, Bildung & Forschung, Finanzen, Medien) geprägt sind. Dem gegenüber stehen sehr strukturschwache Regionen vorwiegend in Nordengland und Wales, deren niedergegangene Industrie nicht ersetzte wurde und wo sich bei der Bevölkerung große Frustration breitgemacht hat.

Der Verfall des produzierenden Gewerbes ist dramatisch: Die Wertschöpfung des industriellen Sektors am Bruttoinlandsprodukt war z. B. 2015 mit 13,3 Prozent nur noch circa halb so groß wie in Deutschland mit 25,9 Prozent. Selbst die USA, die mit heruntergekommenen Industrieregionen und einem dominanten Dienstleistungssektor relativ vergleichbar sind, hatten 2015 noch einen Wertschöpfungsanteil der Industrie von 16,9 Prozent.

Die EU hat zwar versucht, über ihre Hilfsprogramme für strukturschwache Regionen der ökonomischen Spaltung entgegenzuwirken. Im Endeffekt blieb sie damit aber relativ erfolglos. Zudem wurde sie trotz ihrer Bemühungen von den Brexit-Anhängern zum Sündenbock für die Verarmung der zurückgefallenen Regionen gemacht.