Ist Nachhaltigkeit Renditebremser oder sogar -beschleuniger? Normalerweise wird diese Frage anhand von ESG-Ratings bekannter Agenturen nachgerechnet. In der breiten Öffentlichkeit regieren aber auch oft weniger belastbare, subjektive Nachrichten das gewissen Unternehmen zugeschriebene ESG-Verständnis. Nur: Gibt es zwischen dieser Nachrichtenlage und der Aktienkursentwicklung einen Zusammenhang? Eine entsprechende Analyse lohnt.
Die Zutaten: ein Nachhaltigkeitsscore in Echtzeit, das auf der Datenbank von AI Datagreen beruht und ein Anlageuniversum aus amerikanischen und europäischen Bluechips – wobei sich vergleichbare Ergebnisse auch mit kleineren, länderspezifischen Portfolios erzielen lassen. In der genutzten Datenbank werden stündlich pro Unternehmen über 400 Scores zu ESG- und SDG-Thematiken bereitgestellt, sodass mittlerweile über 100 Milliarden nachhaltiger Datenpunkte abrufbar sind. Das Besondere an der Datenbank ist: Aktuelle Scores werden durch regelmäßige Analysen von weltweiten Nachrichten erstellt.
Sentiment-Daten für SDG-Portfolios
Um nicht in der Datenflut zu ertrinken und tatsächlich handelbare Portfolios zu erhalten, werden die ursprünglich stündlichen Scores zu monatlichen Scores zusammengefasst. Darüber hinaus müssen wir aus den über 400 Score-Typen einige beispielhaft auswählen, die im jeweiligen Kontext von Interesse sind. Im konkreten Fall wählen wir zwei SDG-Thematiken: „Goodhealth and Wellbeing“ und „Life on Land“, um anhand dieser beiden Schwerpunkte in unseren Anlageuniversen aus der Europäischen Union und den USA jeweils am ersten Handelstag eines Monats aktualisierte Portfolios aufzusetzen.
Für eine konkrete Umsetzung der Scores sind noch weitere Entscheidungen zu treffen. So müssen aus den gesamten Anlageuniversen die jeweils „besten“ Aktien ermittelt werden. Das US-Universum umfasst 500 Aktien in Anlehnung an den S&P 500 Index und das EU-Universum umfasst 600 Aktien in Anlehnung an den Stoxx 600 Index.
Für die SDG-Portfolios wählen wir nun die nach dem Scoring besten Aktien aus und beobachten die Entwicklung der Portfolios. Ein Portfolio, welches nur aus 10 Aktien besteht, wäre sicherlich zu konzentriert für den Geschmack vieler Asset Manager. Bei 100 Aktien wiederum entsteht ein relativ hoher Aufwand, wenn die Allokation in individuellen Mandaten umgesetzt werden soll. Somit werden in den hier vorliegenden Portfolios die 30 nach dem Scoring besten Aktien betrachtet.
Wir beschränken uns in der vorliegenden Analyse einerseits auf reine Long-Positionen und andererseits auf ein „Long minus Index“-Portfolio, in welchem also der Index Return vom ursprünglichen Long-Portfolio abgezogen wird. Hierdurch lassen sich Drawdowns reduzieren, und eine Abbildung einer Short-Position im Benchmark-Index dürfte in den allermeisten Portfolios zumindest approximativ darstellbar sein.
Verbesserte Sharpe Ratios – vor allem bei Long-only-Portfolios
Die Analyse für den Zeitraum seit 2015 zeigt, dass in den meisten Fällen die Sharpe Ratios Verbesserungen in der Größenordnung von 0,2 bis 0,3 zeigen, wenn diese mit den reinen Sharpe Ratios der Indizes verglichen werden. Die Kennzahlen sind in Tabelle 1 für Europa und Tabelle 2 für die USA dargestellt. Analog finden sich Wertentwicklungen der Portfolios in den Abbildungen 1 und 2.
Was auffällt: Die Verbesserungen sind bei den europäischen Aktien-Portfolios stärker ausgeprägt als bei den amerikanischen. Dies ist sicherlich mit darauf zurückzuführen, dass die risikoadjustierte Rendite der europäischen Benchmark deutlich schlechter ist als die Rendite der amerikanischen Benchmarks. Damit ist beim europäischen Benchmark auch mehr „Luft nach oben“ für Verbesserungen. Für beide Anlageuniversen zeigt sich jedoch eine klare Outperformance beim Long-only-Portfolio.
Das neutralere Long-Index- respektive „Long minus Index“-Portfolio zeigt in Europa eine interessante Dämpfung der Drawdowns. Diese findet sich ebenfalls beim amerikanischen Portfolio, jedoch in schwächerer Form und bei weniger attraktiver Rendite.
Insgesamt ergibt sich, dass bei der Verwendung der Nachhaltigkeitsscoring-Methodologie verbesserte risikoadjustierte Renditen erzielt werden können. Diese erste Analyse bedarf natürlich weiterer Bestätigungen in der praktischen Umsetzung, ist aber vielversprechend. Die vorgestellten Backtests sind nicht optimiert und greifen zwei interessante SDG-Thematiken heraus, um einen ersten Eindruck dessen zu vermitteln, wie Nachhaltigkeitsthematiken in das quantitative Portfolio-Management eingebracht werden können.
Über den Gastautor:
Hans-Jörg von Mettenheim leitet das Department Finance & Economics an der IPAG Business School in Paris. Seit 2010 ist er Mitorganisator der internationalen Konferenz Forecasting Financial Markets. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen bei der Anwendung von Machine-Learning-Verfahren auf großen Datensätzen, und hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre verstärkt mit der Anwendung Künstlicher Intelligenz auf Nachhaltigkeitsfragestellungen beschäftigt. Er ist Mitentwickler der im vorliegenden Artikel zur Anwendung kommenden Sustainability Scoring Datenbank AI Datagreen.