Hannes Leitgeb und Alexander Raviol im Gespräch „Die Anwendbarkeit von Mathematik steht nicht in Zweifel“

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Noch ein Unterschied, den Sie herausstellen würden?

Leitgeb:
Ein wichtiger Unterschied ist der, dass eine Theorie im Bereich Wirtschaft, sobald ich diese aufstelle, zu Veränderungen führen kann. Das heißt, dass Akteure im Markt ihr Verhalten wegen dieser Theorie ändern. Dies ist das Phänomen der sich selbst widerlegenden oder selbst erfüllenden Theorien. Es könnte sein, dass dies für einige ökonomische Modelle gilt.

Raviol: Gerade bei Modellen, auf denen Anlagestrategien aufbauen, lassen sich meines Erachtens zwei mögliche Effekte beobachten. Entdecke ich zum Beispiel Anomalien in der Aktienkursentwicklung und verdiene damit Geld, kann es sein, dass, wenn andere davon erfahren und es ebenfalls umsetzen, die Anomalie verschwindet, sie wird arbitriert. Es kann aber auch sein, dass eine Theorie sich nur deshalb zu bewahrheiten scheint, weil sie bekannt ist und angewandt wird. Ich denke da beispielsweise an die Charttechnik.

Betrifft diese Auswirkung auf Märkte nur die Modelle hinter Anlagestrategien?

Raviol: Nein. Notenbanker wie Janet Yellen beeinflussen mit ihren Aussagen ganze Ökonomien, deren Zustand wiederum die Notenbankpolitik beeinflusst. Diese Rückkopplungseffekte oder Interaktionen sind in der Regel in ökonomischen Modellen nicht berücksichtigt.

Ist dies denn kein grundlegendes Problem für die Mathematisierbarkeit?

Leitgeb:
Das ist sicher nicht so. In der Tat sind Theorien gefragt, die diese höherstufigen Informationen einbeziehen. Es gibt bereits einfache Modelle, die allerdings von einer Praxisanwendung noch weit entfernt sind – etwa logische Modelle sogenannter Informationskaskaden. Sie können gut beschreiben, wie Überzeugungen und Handlungen von Einzelpersonen nicht nur von eigenen Informationen abhängen, sondern von höherstufigen Informationen, also davon, was andere denken. Diese höherstufigen Informationen müssten als Input berücksichtigt werden.

Raviol: Ich freue mich über Ihren grundsätzlichen Optimismus. Aus dem Blickwinkel der Praxis in der Volkswirtschaft und der Finanzmathematik ist es bis dahin aber noch ein weiter Weg. Asset Manager tun also gut daran, jederzeit kritisch zu hinterfragen, was mathematische Modelle tatsächlich aussagen können, wo sich Risiken ergeben und wo darauf zu achten ist, dass sich aus dem Mix quantitativer und qualitativer Informationen keine Fehlschlüsse ergeben.

Das Interview wurde dem private banking magazin von Lupus Alpha zur Verfügung gestellt.


Über die Interviewten:
Hannes Leitgeb studierte Mathematik an der Universität Salzburg und promovierte in Mathematik (1998) und Philosophie (2001). Im Rahmen eines Erwin-Schrödinger-Stipendiums forschte er ab 2004 am Department of Philosophy/CSLI der Stanford University. Ab 2007 lehrte er am Department of Philosophy und der School of Mathematics an der University of Bristol. Seit 2010 ist er Alexander von Humboldt-Professor und Lehrstuhlinhaber an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

 

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