Handlungsdruck dank Niedrigzins „Die Professionalisierung im Stiftungswesen ist dringender denn je“

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Professionelle Stiftungsarbeit hat sicherlich ihren Preis. Gibt es eine kritische Vermögensgröße, ab der Stiftungen sich überhaupt erst professionelle Strukturen leisten können?

Burgard: Darauf habe ich eine zwiegespaltene Antwort. Auf der einen Seite glaube ich, dass Stiftungsarbeit erst ab einem Vermögen von10 Millionen Euro professionell zu bewerkstelligen ist. Kleinere Stiftungen sollten besser als Verbrauchsstiftung konzipiert sein. Ansonsten sind die Erträge für eine kontinuierliche Förderung einfach zu niedrig. Andererseits gibt es auch kleine Stiftungen, die ihre Erträge ansammeln und dann punktuell ganz tolle Sachen machen. Trotzdem: Mit einer Million Euro, eigentlich eine stolze Summe, kann man bei den heutigen Zinserträgen nicht mehr allzu viel bewegen. Darüber muss sich der Stifter klar sein. Allein, ich glaube, dieses Bewusstsein besteht oft nicht. Es wird also anfangs bei Stiftungsgründung bereits ein Denk- und letztlich Beratungsfehler gemacht.

Herr Naeve, wie geht damit das Stiftungszentrum bei Berenberg um?

Naeve: Wir schauen immer auf den Einzelfall. Bekanntermaßen betreut unser Haus erst ab einem Vermögen von einer Million Euro. Wenn die Satzung einer Eine-Million-Euro-Stiftung in der Kapitalanlage gewisse Risikobestandteile erlaubt und keine Verpflichtungen für regelmäßige Zahlungen wie Stipendien bestehen, kann das auch mit dieser Vermögensgröße zum Beispiel als Förderstiftung gut funktionieren.

Burgard: Leider werden die Weichen für die Stiftungsarbeit oftmals bereits bei Stiftungsgründung falsch gestellt. Oft berät der Hausanwalt den Stifter ohne über eine spezielle Stiftungsexpertise zu verfügen. Der Anwalt denkt von seiner gesellschaftsrechtlichen Erfahrung her und übersieht die stiftungsspezifischen Besonderheiten. Das ist ein geradezu dramatischer Fehler, weil die Satzung einer Stiftung – anders als etwa der Gesellschaftsvertrag einer GmbH – nicht ohne weiteres jederzeit geändert werden kann. Meist nicht ausreichend berücksichtigt wird beispielsweise, dass es bei Stiftungen zwei ganz unterschiedliche Lebensabschnitte gibt: die Zeit, in der der Stifter noch lebt und sich in der Stiftung engagiert, und die Zeit nach seinem Ableben. Häufig wird versucht, in der Stiftungssatzung einen Kompromiss zwischen diesen beiden Abschnitten zu finden. Dabei wäre es viel besser mit zwei verschiedenen Regelungen zu arbeiten. Die einen gelten bis zum Tod des Stifters, die anderen danach.

Naeve: Dem kann ich nur zustimmen. Leider erlebt man oft, dass sich im Stiftungssektor sehr stark an Musterlösungen orientiert wird. So werden wir oft gefragt, ob wir eine Mustersatzung, -anlagerichtlinie oder -geschäftsordnung haben.

Burgard: Leider scheitert es ja nicht nur an der fehlenden Expertise, sondern auch an der Bereitschaft, Zeit und Geld in die Gründung zu investieren. Die Schwierigkeit bei der Stiftungsgründung besteht darin, die unbekannten Wechselfälle der Zukunft durch geeignete Gestaltungen aufzufangen. Ein Muster kann das nicht leisten. Alles andere als trivial ist auch die Frage der Besetzung der Stiftungsorgane und deren Zusammenspiel.

Was kann man heutzutage den 46 Prozent der befragten Stiftungen sagen, die keine Anlagerichtlinie haben? Wie breit, wie eng sollte diese sein?

Burgard: Eine Stanze gibt es nicht. Dafür sind die Unterschiede zwischen den Stiftungen zu groß. Klassischerweise werden Anlagerichtlinien, wenn sie nicht schon von dem Stifter vorgegeben wurden, vom Vorstand oder von Vorstand und Aufsichtsorgan gemeinsam entwickelt. Dabei können sich die Organe von einem Kreditinstitut – oder besser mehreren – beraten lassen. Die Anlagerichtlinie sollte zumindest die Anlageziele – also nominaler oder realer Vermögenserhalt, Erzielung von laufenden Einkünften und Wertsteigerungen – genauer definieren und Grenzen hinsichtlich der Anlageklassen – also beispielsweise höchstens oder wenigstens x Prozent Aktien – setzen. Dabei sollten Anlagerichtlinien idealerweise weder in Stein gemeißelt noch jederzeit beliebig abänderbar sein. Im letzten Fall würden sie nämlich keine Verbindlichkeit entfalten, im ersten Fall dagegen keine oder nur geringe Flexibilität.

Die Anlagerichtlinie als Nebenordnung einer Stiftung ist vergleichsweise leicht zu ändern. Was können Stiftungen tun, die beispielsweise ein Gebot der mündelsicheren Anlage in ihrer Satzung stehen haben?

Burgard: Das ist kein großes Problem. Zwar ist im Einzelnen umstritten, unter welchen Voraussetzungen die zuständigen Stiftungsorgane die Stiftungssatzungen ändern können, wenn der Stifter dies – wie so oft – nicht geregelt hat. Einigkeit besteht jedoch, dass Satzungsänderungen bei einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse zulässig, wenn nicht sogar geboten sind.

Und die aktuellen Verhältnisse stellen eine wesentliche Veränderung dar?

Burgard: Die Kapitalmarktverhältnisse, so wie sie sich in den vergangenen Jahren entwickelt haben, sind keine kurzfristige, sondern eine längerfristige, wenn nicht sogar grundlegende Veränderung. Man kann daher das Satzungsgebot einer mündelsicheren Anlage abändern. Allerdings gilt es dabei, den Willen des Stifters zu berücksichtigen. Man darf daher nicht ins Gegenteil verfallen und zum Beispiel nur noch Private-Equity-Investments vorsehen.

Was würden sie sich von einer Stiftungsreform wünschen?

Burgard: Auf jeden Fall mehr Transparenz und Publizität. Ein Stiftungsregister wäre dringend erforderlich, eines mit Publizitätswirkung, auf das sich die Leute auch verlassen können, ähnlich wie das Handels- oder Vereinsregister. Das wird der Gesetzgeber in der kommenden Reform zum Stiftungswesen hoffentlich vorsehen.

Inklusive der erzielten jährlichen Erträge?

Burgard: Ich bin dringend dafür, dass gemeinnützige Stiftungen ihre Rechnungslegung offenlegen müssen. Es besteht meines Erachtens gar kein Grund, weswegen gemeinnützige Stiftungen nicht ihr Vermögen, ihre Erträge und deren Verwendung offenlegen sollten. Das sind ja keine privaten Daten einer natürlichen Person, sondern wirtschaftliche Daten einer juristischen Person, die noch dazu öffentlich, das heißt vom Steuerzahler, gefördert wird und die oft als Spendensammler auftritt. Für kleine Stiftungen muss sich der Aufwand einer Offenlegung allerdings in engen Grenzen halten.