Bekanntlich kommt der sogenannten Nachhaltigkeitspräferenzen bei der Beratung von Kunden zu Kapitalanlagen mittlerweile eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Seit dem 2. August 2022 müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen vor einer Anlageberatung oder Portfolioverwaltung die Nachhaltigkeitspräferenzen eines Kunden im Rahmen der Geeignetheitsprüfung erfragen und bei der Erbringung der jeweiligen Finanzdienstleistung auch beachten.
Es ist diesen Unternehmen dringend zu empfehlen, diese aufsichtsrechtliche Vorgabe einzuhalten, um Probleme im Rahmen der WpHG-Prüfung zu vermeiden. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Verstoß gegen diese Vorgaben zivilrechtliche Haftungsansprüche des Kunden auslösen könnte. Man mag sich in diesem Zusammenhang an die Rechtsprechung zur Aufklärung über Zuwendungen erinnern. Damals haben Kunden im großen Umfang die Rückabwicklung von Wertpapiergeschäften erwirken können, wenn sie nicht richtig über Zuwendungen aufgeklärt worden waren.
Zwar haben sich in der Zwischenzeit zahlreiche Verbraucherschutzanwälte von den Finanzdienstleistungsbranche abgewendet und sich mit „Dieselgate“- Fällen beschäftigt. Es muss allerdings befürchtet werden, dass sie wieder zurückkommen, wenn sie Ansatzpunkte für eine Haftung der Wertpapierdienstleistungsunternehmen sehen. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn bei den Kunden Kursverluste eingetreten sind, die durch eine Rückabwicklung ausgeglichen werden können.
Aufsichtsrechtliche Pflicht zur Erfragung der Nachhaltigkeitspräferenzen
Es besteht nunmehr die aufsichtsrechtliche Pflicht der Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die (potenziellen) Kunden über ihre Kundeberater zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen zu befragen und diese dann bei der Erbringung der jeweiligen Wertpapierdienstleistung auch zu berücksichtigten. Die Nachhaltigkeitspräferenzen ergänzen somit die bislang zu berücksichtigenden Punkte, nämlich die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden, seine Risikobereitschaft, seine Verlusttragfähigkeit und seine Anlagedauer. Abgefragt werden muss folgendes:
- Welcher Mindestanteil soll in ein ökologisches Investment gemäß der EU-Taxonomie-Verordnung investiert werden?
- Welcher Mindestanteil soll in eine nachhaltige Investition nach der EU-Offenlegungsverordnung investiert werden?
- Welche nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren (sog. Principal Adverse Impacts, PAI) sollen berücksichtigt werden?
Unterlässt das Wertpapierdienstleistungsunternehmen diese Abfrage, verstößt es gegen das Aufsichtsrecht. Dies allein führt nicht unbedingt zu einer zivilrechtlichen Haftung. Grundsätzlich gilt weiterhin, dass Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorgaben des WpHG nicht ohne Weiteres zivilrechtliche Haftungsansprüche begründen. Allerdings hatte das oberste deutsche Zivilgericht, der Bundesgerichtshof (BGH), schon bei Verstößen gegen die früheren aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltenspflichten der §§ 63 ff. WpHG einen zivilrechtlichen Anspruch anerkannt, wenn hinsichtlich die jeweilige aufsichtsrechtliche Vorgabe „als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsprinzips“ gesehen werden konnte. Dies wurde damit begründet, der Kunde könne dann davon ausgehen, dass der Vertragspartner (hier das Wertpapierdienstleistungsunternehmen) die tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts beachtet.
Hier wird sich deshalb die Frage stellen, ob die Erfragung der Nachhaltigkeitspräferenzen als ein solches allgemeines Rechtsprinzip angesehen werden kann. Dies mag derzeit noch nicht der Fall sein. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der BGH ein solches allgemeines Rechtsprinzip zukünftig auch hier annehmen wird – insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung der Nachhaltigkeit. Um Probleme mit der Aufsicht zu vermeiden und um Haftungsansprüchen aus dem Wege zu gehen, sollte man den Kunden deshalb unbedingt nach seinen Nachhaltigkeitspräferenzen fragen.
Haftungsrelevante Fehler bei der Erfragung der Nachhaltigkeitspräferenzen
Äußert der Kunde daraufhin ausdrücklich, dass er keine Nachhaltigkeitspräferenz hat, entfalten diese keine Wirkung für die in der Folge erbrachte Wertpapierdienstleistung und eine Haftung ist insoweit ausgeschlossen. Das Wertpapierdienstleitungsunternehmen kann dann dennoch ein nachhaltiges Finanzinstrument berücksichtigen, wenn im Übrigen die Voraussetzungen der anleger- und anlagegerechten Beratung vorliegen oder im Falle der Vermögensverwaltung die entsprechenden Anlagerichtlinien berücksichtigt werden.
Anders ist es, wenn der Kunde ausdrücklich wünscht, in eine nicht nachhaltige Anlage zu investieren. Wenn ein solcher Kundenwunsch nicht beachtet wird, kann eine Haftung eintreten. Entscheidet sich der Kunde hingegen dafür, dass bestimmte Nachhaltigkeitspräferenzen berücksichtigt werden sollen, werden diese im Falle einer nachfolgenden Anlageberatung zum Inhalt des nach herrschender Auffassung sodann konkludent abgeschlossenen Anlageberatungsvertrags.
Wird in der Folge ein Vermögensverwaltungsvertrag abgeschlossen, muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen darauf hinwirken, dass diese Nachhaltigkeitspräferenzen berücksichtigt werden. Lässt sich der Kunde auf einen entsprechend formulierten Vermögensverwaltungsvertrag ein, werden die Nachhaltigkeitspräferenzen auch bei der Vermögensverwaltung zivilrechtlich verbindlich.
Abstimmung mit dem Kunden: Was bedeutet Nachhaltigkeit?
Folgendes sollte in Hinblick auf die Nachhaltigkeitspräferenzen noch berücksichtigt werden: Der Kunde sollte auch darüber informiert werden, dass die Berücksichtigung der von ihm genannten Nachhaltigkeitspräferenzen möglicherweise nachteilige Auswirkungen haben können, zum Beispiel hinsichtlich der Rendite oder des Risikoprofils der jeweiligen Anlage.
Mit dem Kunden sollte eine Abstimmung über sein Verständnis von Nachhaltigkeit vorgenommen werden. So darf beispielsweise keine Kapitalanlage in Atomkraft und fossiles Gas berücksichtigt werden, wenn der Kunde Atomkraft ausdrücklich aus den Nachhaltigkeitspräferenzen ausgeklammert hat. Dies gilt, obwohl Atomkraft und fossiles Gas seit dem 1. Januar 2023 als Taxonomie-konforme Kapitalanlagen (Sie erinnern den Konflikt innerhalb der EU) und damit aufsichtsrechtlich als nachhaltig gelten.
Worüber Kunden aufgeklärt werden müssen
Für die Beratung ist das aber nur dann maßgeblich, wenn sich der Kunde bei der Erfragung seiner Nachhaltigkeitspräferenzen mit ökologischen Investments gemäß der EU-Taxonomie-Verordnung einverstanden erklärt und nicht individuelle Produkte aus der bestehenden Klassifizierung ausgenommen hat.
Ergeben sich bei der Angabe der Nachhaltigkeitspräferenzen Widersprüche zu den anderen Anlagezielen des Kunden, wie den Kenntnissen und Erfahrungen des Kunden, seiner Risikobereitschaft, seiner Verlusttragfähigkeit und seiner Anlagedauer, ist der Kunde auch darüber aufzuklären. Entspricht keines der Anlageprodukte, die das Unternehmen anbietet, den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden, so ist er auch darüber zu informieren. Die Erbringung der Wertpapierdienstleistung ist dann nur möglich, wenn der Kunde seine Nachhaltigkeitspräferenzen entsprechend ändert.
Kritische Prüfung von Nachhaltigkeitskriterien bleibt nicht aus
Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat die Pflicht, die im Rahmen der Anlageberatung empfohlenen oder bei der Vermögensverwaltung eingesetzten Finanzinstrumente sorgfältig, sachkundig und kritisch zu prüfen. Dazu gehört nunmehr auch die konkreten Nachhaltigkeitskriterien zu kontrollieren. Hilfreich mag sein, dass inzwischen von Emittenten für nahezu jedes Finanzinstrument Nachhaltigkeitsangaben gemacht werden müssen. Ist ein Finanzinstrument als nachhaltigkeitskonform ausgewiesen, wird man sich darauf grundsätzlich verlassen können.
Dennoch muss das Prospektmaterial mit dem banküblichem und kritischem Sachverstand geprüft werden. Wenn Unrichtigkeiten oder Widersprüche auffallen, ist der Kunde darüber aufzuklären. Prüfungsmaßstab ist dabei, dass man die Veröffentlichungen in der einschlägigen Wirtschaftspresse zu berücksichtigen hat. Erfolgt all dies nicht, kann es zu einer zivilrechtlichen Haftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens kommen.
Weitere Voraussetzungen für eine Haftung
Eine Haftung setzt allerdings neben der Pflichtverletzung voraus, dass diese zum Eintritt eines Schadens beim Kunden führt. Werden die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden nicht abgefragt oder werden im Rahmen einer Anlageberatung Finanzinstrumente empfohlen, die den Präferenzen nicht entsprechen, haftet das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nur dann, wenn der Kunde das Finanzinstrument nachweislich nicht erworben hätte, wenn er gewusst hätte, dass es nicht seinen Nachhaltigkeitspräferenzen entspricht.
Bei einer fehlerhaften Anlageberatung geht der BGH zugunsten des Kunden von der sogenannten „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“ aus. Das Gericht unterstellt dann, dass sich der Anleger das fehlerhaft empfohlene Finanzinstrument nicht erworben hätte, wenn er korrekt beraten worden wäre. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen kann diese Vermutung allerdings widerlegen, wenn es beweist, dass der Kunde die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben hätte.
Im Falle der Vermögensverwaltung stellt das nicht mit den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden, wie sie im Vermögenverwaltungsvertrag vereinbart wurden, übereinstimmende Finanzinstrument grundsätzlich einen Mangel dar.
In beiden Fällen kommt es noch darauf an, ob bei dem Kunden ein Schaden durch den Erwerb des Finanzinstrumentes entstanden ist, das seinen Nachhaltigkeitspräferenzen widerspricht. Das wird in erster Linie der Fall sein, wenn sich der Wert diese Finanzinstrumentes negativ zum Einstandspreis entwickelt hat. Das Geschäft wird dann abzuwickeln und der Kunde für diese Verlust zu entschädigen sein – und es kann zu empfindlichen Schäden des Wertpapierdienstleistungsunternehmens kommen.
Haftungsgefahren haben sich verschärft
Aber auch ohne einen Wertverfall des Finanzinstruments kann der Erwerb eines nicht mit den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden konformen Finanzinstruments einen zumindest subjektiven Schaden des Kunden begründen. Dieser ist dann ebenfalls durch Rückabwicklung des Geschäftes auszugleichen. In der Regel führt dies allerdings nicht zu einem monetären Schaden des Wertpapierdienstleistungsinstitutes, sieht man einmal von dem operationellen Aufwand der Rückabwicklung ab.
Die Haftungsgefahren bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen haben sich durch die Erweiterung der zu berücksichtigenden Kriterien auf Nachhaltigkeitspräferenzen nochmals verschärft. Zur Vermeidung einer zivilrechtlichen Haftung kommt es entscheidend darauf an, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen das individuelle Verständnis des Kunden vom Begriff der Nachhaltigkeit und seine Nachhaltigkeitspräferenzen hinreichend erfasst und bei der Erbringung der Wertpapierdienstleistung berücksichtigt.
Über den Autor:
Der Autor Jochen Eichhorn ist Gründungspartner von Barckhaus Rechtsanwälte in Frankfurt am Main. Er ist spezialisiert auf Bankaufsichtsrecht und alle Rechtsfragen des Wertpapiergeschäfts und Asset Managements. Auf diesen Gebieten hat er 30 Jahre Erfahrung, als ehemaliger Mitarbeiter des BVI und Leiter Recht und Compliance für das Wealth- und Asset Management der UBS in Deutschland.