Geschlechterdiversität Sonja Laud von LGIM: Die Quote darf keine Abkürzung werden

Frauen in der Position der Vorgesezten sind besonders in der Finanzbranche selten. Bis zur Gleichberechtigung könnte es noch Jahrzehnte dauern.

Frauen in der Position der Vorgesezten sind besonders in der Finanzbranche selten. Bis zur Gleichberechtigung könnte es noch Jahrzehnte dauern. Foto: imago images/MASKOT

Wir haben es schon vor zwei Jahrzehnten versäumt, Frauen anzusprechen. Die Folgen dieses Fehlers sehen wir heute in den Führungsetagen. Denken wir an das Image der Finanzbranche in den 90ern und frühen 2000ern zurück, haben wir einen der Gründe, warum wir heute so wenige Frauen in den Aufsichtsräten und Vorständen haben. Denn um in eine Führungsposition zu kommen, braucht man mindestens 20 Jahre Berufserfahrung. Der Beruf des Asset Managers galt damals als männerdominiert, analytisch und mathematisch, das Image war eher trocken. Die Realität ist zwar anders, aber die Branche hat es nicht geschafft, dies auch zu vermitteln.

Nehmen wir mal an, dass das Verhältnis von Männern zu Frauen im Asset Management in den 90ern bei 80 zu 20 lag. Und nicht alle Frauen, die damals eingestiegen sind, sind heute nach Familie, Berufswechseln etc. noch in der Branche beschäftigt. Damit stellt sich gerade bei der Besetzung von Aufsichtsrats- und Vorstandsposten die Frage: „Habe ich überhaupt genügend talentierte Frauen?“ Wir brauchen mehr Berufsanfängerinnen, damit sich diese Frage nicht mehr stellt.

Vorteile diverser Teams

Warum das so wichtig ist, zeigen zahlreiche Studien: Gemischte Teams arbeiten besser. Das ist natürlich nicht auf die Geschlechterdiversität begrenzt. Die Art und Weise, wie ich denke, ist stark verknüpft mit meinem Geschlecht sowie meiner sozialen und kulturellen Herkunft. Deshalb investieren ausgewogene Teams beispielsweise besser. Sie erzielen risikoadjustiert höhere Renditen, weil sie unterschiedlich risikoavers sind und in ihrem Analyseverfahren verschiedene Risikokomponenten und Opportunitäten einbeziehen. Das lässt sich auf andere Bereiche ausweiten.

Zudem bilden diverse Teams die Gesellschaft besser ab. Wenn sie möglichst viele Kunden ansprechen wollen, aber in ihrem Unternehmen nur eine gesellschaftliche Gruppe vertreten ist, funktioniert das nicht. Ist ein Team zu homogen, wird es sich schwerer in die Bedürfnisse anderer gesellschaftlicher Gruppen hineinversetzen können und diese möglicherweise nicht ansprechen. Das gilt nicht nur für den Absatzmarkt, sondern auch für die Suche nach neuen Talenten. Ein Teufelskreis.

Um diesen zu durchbrechen, müssen wir schon früher ansetzen. Ein großes Manko ist, dass das Thema Finanzausbildung von Schulen und Universitäten nicht ausreichend berücksichtigt wird. Und selbst wenn es behandelt wird: Mit dem CAPM-Modell und Effizienzkurven schaffe ich es nicht, junge Menschen für das Asset Management zu begeistern. Und dabei ist unser Beruf so spannend. Warum tun wir uns so schwer damit, das zu vermitteln? Die Industrie wäre bereit, in Schulen und an Universitäten zu gehen, aber das muss von einem Lehrplan unterstützt und in ihn eingebunden werden, der das Thema auch anderweitig aufgreift.

Finanzbildung gehört schon in die Schule

Dabei geht es nicht um Werbung für einzelne Unternehmen oder die Branche. Das Ziel muss sein, dass jeder Bürger seine eigenen Finanzen regeln kann, dass er oder sie ein Basisverständnis für Sparen, Investieren und Pensionen hat. Die große Lücke ist das gesellschaftliche Unverständnis, dass alles aufeinander aufbaut. Wer die Kontrolle über die eigenen Finanzen hat, fühlt sich auch mündig. Das Bildungssystem muss schon Jugendlichen dieses Selbstvertrauen im Umgang mit Geld und Finanzen geben. Damit wäre der Finanzindustrie automatisch geholfen. Wir wären viel zugänglicher und transparenter.

Doch selbst wenn die Gesellschaft beim Thema Finanzbildung aufholt, müssen wir noch am Image der Branche arbeiten. In diesem Punkt könnte uns die Nachhaltigkeitsdiskussion helfen. Wir sind in der Pflicht, unsere Produkte zu verbessern. Die Finanzindustrie muss deutlich machen, was ihre Ziele sind und welche Rolle sie beim Thema Nachhaltigkeit spielt, und nicht nur dort. Frauen und Minderheiten als Kunden und Kollegen zu gewinnen, geht Hand in Hand.

Das Interesse an der Branche zu wecken ist aber nur Schritt eins. Habe ich Talente gewonnen, muss ich sie auch aufbauen. Alle Kollegen, unabhängig von Geschlecht und Herkunft, müssen gefördert werden. Bei LGIM fokussieren wir uns auf unser Graduiertenprogramm und unsere Praktika. Wir haben unseren gesamten Einstellungsprozess umgestellt. Auf diese Ebene müssen wir uns konzentrieren: Wen suchen wir aus? Wie suchen wir aus? Nur so bekommen wir eine realistischere Reflektion der Gesellschaft. Das ist langfristig der einzige Weg, um genügend Talente für Beförderungen zu bekommen und die Debatte, die wir aktuell führen, hoffentlich irgendwann überflüssig zu machen. Davon sind wir allerdings noch weit entfernt.

Talentförderung wichtiger als Quote

Es nützt uns jetzt aber nichts, eine Abkürzung zu nehmen. Das Geschlecht oder der Hintergrund dürfen niemals der Grund für eine Beförderung sein. Ansonsten erreichen wir genau das Gegenteil, weil sehr offensichtlich ist, was passiert. Jeder muss vor einem Karrieresprung die gleichen Schritte durchlaufen. Wenn wir dann aber bemerken, dass keine oder wenige Frauen oder Mitglieder von Minderheiten vorgesehen sind, müssen wir nach Gründen suchen. Talentmanagement und Chancengleichheit bedeuten, frühzeitig zu fördern, damit wir nicht in die Bedrängnis kommen, ungeeignete Kandidaten bevorzugen zu müssen, damit Teamleiter und die Unternehmensspitze divers genug sind. Dazu gehört auch zu verstehen, dass sich Frauen in der Regel erst bewerben, wenn sie die Anforderungen übererfüllen. Wenn wir aber aufgrund des Geschlechts oder der Herkunft entscheiden und die bisher bevorzugten Gruppen desillusionieren, kommen wir nicht weiter, auch gesellschaftlich nicht.

Der Mehrwert, den wir durch diverse Teams erreichen, basiert auf den Kompetenzen aller und dem gegenseitigen Vertrauen. Deswegen wird auch eine Quote nicht unbedingt erfolgreich sein. Nicht nur, weil sie dazu führen könnte, dass Qualifikationen zweitrangig sind. Niemand will eine Quotenrolle haben. Wir wollen befördert werden, weil wir die am besten qualifizierte Person für diesen Posten sind, unabhängig von unserem Geschlecht und Hintergrund. Wir wollen nicht schon gegen das Misstrauen unserer Kollegen kämpfen, bevor wir überhaupt in die erste Vorstandssitzung gehen. Selbst wenn die Besetzung ideal wäre, würde gegenseitiges Misstrauen den positiven Effekt gemischter Teams zerstören.

 

 

Gleichzeitig gibt es Pro-Argumente für die Quote. Häufig wird der scheinbare Mangel an qualifizierten Kandidatinnen nur als Argument vorgeschoben. Es gibt durchaus Fälle, wo die Quote funktioniert hat. Zudem sind Vorbilder extrem wichtig. Die Visibilität von Frauen und Minderheiten in leitenden Positionen motiviert. Je ausgewogener die Führungsspitze, desto stärker das Signal. Die Diskussion um die Quote ist eine Debatte, die weitergeführt werden wird und die wir auch weiterführen müssen, wenn der Fortschritt ausbleibt.

Als ich angefangen habe, war die Situation noch ganz anders. Wir haben seitdem riesige Fortschritte gemacht. Diese sind in den Zahlen aber noch nicht sichtbar. Deshalb wird die Gleichberechtigungsdebatte auch nicht verschwinden. Allein, dass wir sie führen, ist schon ein Gewinn. Bis wir Ergebnisse sehen, bis sich die Zahlen verändern, müssen wir aber weiterhin kreativ darüber nachdenken, wie wir mehr Frauen und Minderheiten in die Industrie und in Führungspositionen bringen können. Der Fokus auf die Eingangspositionen ist dabei wichtiger als der Blick auf die Spitze. Denn ohne Nachwuchs gibt es keine Talente, die Führungspositionen besetzen können. Wir haben den Marathon gerade erst begonnen, den wir schon viel früher hätten laufen müssen.

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