Geschäftsprozesse der Zukunft, Teil 1 Was bei einer Digitalstrategie im Private Banking zu beachten ist

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Weniger (sein zu wollen) ist mehr

Bei der Bestimmung des Kernangebotes stellen wir uns die Frage, wo stehe ich momentan, und als was soll mich der Markt wahrnehmen: Bin ich ein Investment Manager, ein Produktspezialist und Verkäufer oder gar eine Handelsplattform? Das kann je nach Kundensegment durchaus variieren. Die schlechteste Option ist, von allem etwas sein zu wollen und dabei noch der Beste.

Sowohl in der Diskussion um das Investment-Management wie auch im Produkteverkauf ist der tolerierte Freiheitsgrad der Kundenberater versus Banksicht ein bestimmender Faktor. Unabhängig von einer Compliance-Diskussion haben größere Freiheitsgrade weniger Prozess- und Ergebnisstabilität, eine breitere und komplexere Produktpalette zur Folge und bedingen alternative digitale Implementierungskonzepte als strukturell engere Prozessvorgaben mit entsprechend verankerten Steuerungsfunktionen.

Beim Betrachten des geographischen Fokus der Digitalisierung lässt sich die Komplexität beliebig steigern von lokalen über nationale bis hin zu multinationalen und internationalen Lösungen. Insbesondere in Großbanken sind die oftmals sehr unterschiedlichen bestehenden Systeme in verschiedenen Lokationen sowie die recht unterschiedliche Datenbasis und -qualität neben der generell verschiedenen Service-Ausrichtung in Europa, Amerika und Asien ein wesentlicher Treiber der Komplexität. Der Einbezug von Cross-Border-Beschränkungen im Rahmen von Offshore-Buchungsplattformen limitiert in vielen Fällen die technisch vorhandenen Möglichkeiten.

Nicht zuletzt spielt die Frage der Marktpositionierung eine gewichtige Rolle. Zwei Ausprägungen der Marktpositionierung sind je nach Anspruch und Möglichkeiten zu prüfen. Aus einer Positionierung als Differenzierer folgt eine First-Mover-Position, welche durch Eigenentwicklung oder exklusive Auftragsvergabe erfolgt. Beides verlangt höhere Investitionen als eine Me-Too-Entwicklung als sogenannte Fast Follower oder Late Mover, umgesetzt über einen Kauf oder als Outsourcing von Teilprozessen.

In der Zwischenzeit gibt es eine Reihe von Anbietern, die Lösungen offerieren, oft damit verbunden, sensible Unternehmens- oder Kundendaten extern verarbeiten zu lassen. Hier muss abgewogen werden, ob die selbst bei vollständiger Anonymisierung für den externen Anbieter analysierbaren Volumina und Flows zu tolerieren sind.

IT-Nachholbedarf vs. große Erwartungen

Die Ergebniserwartungen auf Vorstandsetagen an Digitalisierungsinitiativen sind oft hoch und nicht selten induziert durch Entwicklungen der Konkurrenz oder Marktberichte über die neusten technischen Möglichkeiten. Viele der Digitalisierungsprojekte haben hingegen mit jahrelangem Investitionsstau, einer Reihe operativer Prozesspflästerchen sowie einer IT-Umgebung zu kämpfen, die nicht mehr zeitgemäß ist.

So soll dann auf dem Weg der Digitalisierung gleich das eine oder andere Prozessproblem gelöst oder größere Basis-IT-Upgrades umgesetzt werden. Das führt unter dem Strich selten zu positiven Business Cases. Die gewünschten Ertragssteigerungen durch Digitalisierung sind meist dem Wunsch näher als der Realität, da es selten gelingt, digitale Elemente für den Kunden dann separat zu bepreisen. Im besten Fall sehen wir im Ergebnis ein angereichertes Kundenerlebnis, Prozessbeschleunigungen, Qualitätsverbesserungen, regulatorisch verbesserte Stabilität und eine damit einhergehende Kostenersparnis. Nichtdestotrotz bleibt es strategisch notwendig, in die Digitalisierung zu investieren, um nicht von der Konkurrenz abgehängt zu werden.

Die Erschließung der fünf Themenbereiche hat einen wesentlichen Einfluss auf die Fokussierung der Digitalisierungsstrategie, ihrer konzeptionellen Ergebnisse, dem Bedarf an Expertise und den Implementierungskosten. Letztendlich geht es um die Vorgaben für deutliche Anpassungen von Kernprozessen des Unternehmens.