Georg Graf von Wallwitz „Dann wäre es Zeit, die Aktienquoten zu reduzieren“

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Die Entwicklung der Hochzinsanleihen


Insbesondere bei den Hochzinsanleihen könnte es zu einer interessanten Entwicklung kommen: In den letzten fünf Jahren wurde dieser Bereich mit Geld zugeschüttet. Die entsprechenden Fonds haben sehr viel Geld eingenommen und es investiert, wann immer neue Anleihen auf den Markt kamen.

Gleichzeitig haben die Banken, die in der Vergangenheit für die Liquidität im Sekundärmarkt gesorgt hatten (das ist der Markt, auf dem Anleihen gehandelt werden, die vor ihrer Endfälligkeit verkauft werden), im Rahmen der allgemeinen Risikoreduktion ihren Handel mit Hochzinsanleihen weitgehend eingestellt. Diesem Markt sind damit die natürlichen Käufer abhanden gekommen.

Wenn es nun, wie es sich in den letzten Wochen abgezeichnet hat, zu Abflüssen aus den entsprechenden Fonds kommt – und insbesondere bei den Indexfonds – dann kann es sehr schnell zu erheblichen Preisabschlägen kommen. Ein Crash bei den schlechtesten Bonitäten (CCC und schlechter) ist absolut im Bereich des Möglichen.

Um Blasen an den Finanzmärkten entstehen zu lassen, bedarf es einer Reihe von Voraussetzungen, von denen hier nur die weite Verbreitung von Betrug, unrealistischen Erwartungen und billigem Geld genannt seien. Das Geld ist gewiss billig in dieser Zeit, aber es ist noch wenig von Euphorie und jenem plötzlichen Schwund von Vermögenswerten zu spüren, der die Übertreibungsphasen kennzeichnet.

Die meisten großen Investoren sind zwar optimistisch, aber wohl nur in einem Maße, das zu einer längeren Seitwärtsbewegung an den Märkten führt und nicht zu einem Ausverkauf. Und die Bewertungen der Aktienmärkte geben ebenfalls keinen besonderen Anlass zur Nervosität. Sie liegen heute im langjährigen Durchschnitt (für den S&P 500: wenn die Zinsen zwischen 0 Prozent und 4 Prozent lagen, war in den letzten 90 Jahren das durchschnittliche KGV bei 17. Aktuell liegt es bei 17,1).

Alles gut für die Optimisten also? Leider nein, denn die Feststellung, es gebe keine größeren Blasen, ist keineswegs unproblematisch. Ginge es der Wirtschaft nämlich gut, so müsste es beim gegenwärtigen Zinsniveau gewaltige Verwerfungen an den Finanzmärkten geben.

Die deutschen 10-jährigen Zinsen notierten, als ich zuletzt nachgesehen habe, auf einem 200-Jahrestief und die niederländischen so niedrig wie seit 500 Jahren nicht mehr.

Die relative Ruhe spricht eher dafür, dass das gegenwärtige Zinsniveau durchaus gerechtfertigt ist – und dass es der Wirtschaft lange nicht so gut geht, wie sie es vorgibt. Vielleicht sind die Schäden durch die große Finanz- und Wirtschaftskrise so groß, dass Produktionskapazitäten permanent verschwunden sind.

Vielleicht macht sich langsam das Altern der Gesellschaft bemerkbar, das die Wachstumsraten dauerhaft drückt. Vielleicht sorgt die merkantilistische Politik Chinas global für einen Überhang von Ersparnissen und damit für niedrige Zinsen. In einer solchen, aus welchen Gründen auch immer stagnierenden Welt, wären die Zinsen nicht zu niedrig, sondern angemessen.

Ist die Weltwirtschaft tatsächlich auf dem Weg der Heilung und das Zinsniveau zu niedrig, dann ist es jetzt wohl Zeit, die Hochzinsanleihen zu verkaufen und die Aktienquoten zu reduzieren. Ist das Zinsniveau allerdings angemessen, so hat es keinen Sinn, auf einen großen Rückschlag an den Börsen zu warten. Dann ist es lediglich nötig, sich auf permanent niedrigere Erträge aus allen Wertpapieren einzustellen – und mehr zu sparen.

Für Investoren ist somit unklar, welches die schlechtere Botschaft ist: Dass es Übertreibungen an den Märkten gibt oder dass wir uns in einem Zeitalter der Stagnation befinden. Mit dieser Unklarheit werden wir noch eine Weile leben müssen.

Fatal wäre es, wenn man sich einbildete, Sicherheit zu haben. Zum 100sten gönnen wir uns in diesem Sinne noch ein hübsches Zitat aus Goethes Maximen und Reflexionen: Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren.

Die nächsten 100 Börsenblätter werden erweisen, ob heute schon der Tag war, an dem man seine Aktien besser verkauft hätte – oder ob der Aufschwung, durch die allgemeine Stagnation und wirtschaftliche Schwäche gerechtfertigt, noch eine längere Weile trägt. Optimistisch fürchte ich das Letztere.

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