Gefährdete Marktmechanismen, Teil 2 Auch ohne EU müssten sich die Staaten organisieren

Gründer der Beratungsboutique Panthera Solutions: Markus Schuller

Gründer der Beratungsboutique Panthera Solutions: Markus Schuller

Nationalismus ist eine Entwicklung der europäischen Neuzeit. Spätestens seit Napoleon konstruiert sich die Menschheit ihre Inklusions-/Exklusionssphären dominant in Form von Nationalstaaten. Ein junges Phänomen.

Mit dem rasanten technologischen Wandel des 20. Jahrhunderts, nahmen supranationale Koordinierungsbedarfe zu. In früheren Artikeln thematisierten wir das Global Order Deficit, wiesen wir auf die unzureichende Koordination der Nationalstaaten hin. Das Global Order Deficit hat als Ursache das dysfunktionale Etablieren von supranationaler Verbindlichkeit.

Im Artikel „Kapitalismus gefährdet Marktmechanismus“ fassten wir zusammen: „Ergebnis ist eine Schwächung sowohl des inklusiven Marktmechanismus durch die Oligopolisierung von marktwirtschaftlichen Allokationsprozessen und die Plutokratisierung von politischen Entscheidungsprozessen, als auch eine Schwächung der generationalen Chancengleichheit durch ein Dekonstruieren der Mittelschicht und ihrer stabilisierenden Faktoren, wie direkte demokratische Partizipation (…) In Summe ergibt dies eine Schwächung der sozialen Mobilität in unseren Gesellschaften.“

Will man nun die Schwächung der sozialen Mobilität als Quelle vieler gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Probleme unserer Zeit in den Griff bekommen, wird der zunehmende Bedarf an verbindlicher supranationaler Koordination einer in Nationalstaaten fragmentierten Weltgemeinschaft offensichtlich.

Nun kennen wir das Instrument der völkerrechtlichen Verträge (Charta der Vereinten Nationen, EU-Vertrag, Atomwaffensperrvertrag, et cetera). Doch auch hier gilt, dass eine verbindliche Umsetzung stets im Licht der Eigeninteressen der teilnehmenden Völker/Institutionen relativiert wird. Es mangelt also an einer möglichst neutralen Letztinstanz in der Bewertung einer Situation im Geiste der Vereinbarung.

Der Preis der Innovation

Auf nationaler Ebene begegnet man dem Bedarf an möglichst unabhängigen Instanzen mit Institutionen wie dem Verfassungsgerichtshof oder einer unabhängigen Notenbank. Gleiches versucht nun erstmals ein Bund von Nationalstaaten mit der EZB und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) oder auch in globaler Dimension mit dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC).

Diese Versuche operieren am Erkenntnisrand, die sogenannte Trial-Error-Frontier, mit dem Ziel, eine möglichst hohe Verbindlichkeit (inklusive Sanktionen, Overruling, et cetera) herzustellen. Die Weltgemeinschaft lernt damit an den Fehlern in Echtzeit mit. Ein Beispiel dafür ist die Europäische Union. Charakteristik jeglichen Erkenntnisrandes ist, sich quasi bei dichtem Nebel in unwegsamem, unbekanntem Gelände voranzutasten, ohne dabei zu oft gegen ein Hindernis laufen zu wollen.

Dies ist übrigens der zu akzeptierende Preis jeglichen Innovationsversuches. Die Frage dabei ist, ob sich die Innovation letztlich als zweckdienlicher im Vergleich zu etablierten Lösungen durchsetzt. Oder wird sie durch Widerstände absorbiert oder implodiert sie aufgrund eigener Unzulänglichkeit?

Klar am Beispiel der Europäischen Union ist: Selbst wenn es zur Renationalisierung käme, bliebe der Koordinierungsbedarf bestehen. Im Bedienen eben dieses Bedarfes, würden die Nationalstaaten bald wieder vor den gleichen Fragestellungen stehen, wie auch derzeit gegeben.