Seit März 2019 berechnet und veröffentlicht die Vermögensverwaltungs-Boutique Plexus Investments monatlich den AI Outperformance Index. Investmentprofis erhalten damit quantitative und qualitative Transparenz darüber, ob auf Artificial Intelligence (AI) beziehungsweise Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Fonds ihnen Mehrwert bringen. Auf KI basieren Investmentstrategien nach Plexus-Lesart, wenn vor allem Algorithmen die Wertpapierkauf- und Verkaufsentscheidungen treffen.
Outperformance mit Algorithmen ist möglich
In der Breite und im Schnitt können sich die im AI Outperformance Index vertretenen Strategien sehen lassen – zum Beispiel gegenüber aktiv gemanagten US-Aktien-Fonds. Das lässt sich einmal mehr am Vergleich mit der SPIVA-Scorecard für 2022 ablesen, die der US-Finanzdienstleister S&P im ersten Quartal 2023 veröffentlicht hat.
„SPIVA“ steht für „S&P Indices versus Active“. Die „Scorecard“ zeigt unter anderem den Anteil jener aktiv gemanagten US-Aktien-Fonds, die ihre Benchmark im Vorjahr geschlagen haben. Das Gleiche zeigt die Plexus AI Outperformer Ratio – bezüglich der Fonds, die im AI Outperformance Index vertreten sind. Seit Auflage des Index im März 2019 waren die dort vertretenen Strategien erst einmal den US-Aktien-Fonds – knapp – unterlegen: im vergangenen Jahr. Die Plexus AI Outperformer Ratio im Jahr 2022 betrug 44 Prozent. In der SPIVA-Analyse für das vergangene Jahr hatten 49 Prozent der Fonds, die gegen den S&P 500 gemessen wurden, diesen Index geschlagen. Nach drei vorherigen Siegen steht es nun – in Jahresvergleichen – also immer noch 3:1 für die Strategien im AI-Outperformance Index.
Doch keine Frage: Der Vergleich hinkt natürlich – etwa, weil das Fonds-Universum im AI Outperformance Index deutlich geringer ist als im S&P-Universum. Kein Wunder: KI im Asset Management ist nach wie vor noch ein sehr junges Thema.
Jury zeichnete besondere Forschungsbeiträge aus
Klar ist aber auch: KI erobert die Finanzbranche – vielleicht noch langsam im Vergleich zu anderen Branchen, aber ebenso sicher. Dazu tragen auch Forschungsarbeiten von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Universitäten bei, von denen zwei Arbeiten bei der zum dritten Mal veranstalteten Plexus-Konferenz zu Künstlicher Intelligenz im Finanzsektor ausgezeichnet wurden. Die Jury bestand aus Walter Farkas, Professor für Quantitative Finance am Institut für Banking und Finance an der Universität Zürich, Christof Kutscher als Verwaltungsratspräsident der Privatbank Bergos sowie Stefan Mittnik, Professor für Finanzökonometrie, bis 2020 Inhaber des gleichnamigen Lehrstuhls an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitgründer von Scalable Capital.
Die diesjährigen Förderpreis-Gewinner sind Urban Ulrych, Postdoktorand an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), und Sebastian Alois Ott, Analyst im Bereich Global Family & Institutional Wealth der UBS in Zürich, der seine Gewinnerarbeit an der Universität St. Gallen verfasst hat. Der Einblick in die Forschungsarbeiten weckt dann auch Verständnis für die Funktionsweise von KI-Modellen.
Statistische Lernmethoden zur Lösung von Problemen bei quantitativen Kapitalanlagestrategien
Die mit dem Förderpreis ausgezeichnete Dissertation „Applications of Statistical Learning in Quantitative Finance” (Urban Ulrych, 159 Seiten, in englischer Sprache) hat vier Kernteile:
Teil 1: „Ambiguity, Optimal Currency Overlay, and Home Currency Bias”
Teil 2: „Dynamic Currency Hedging with Non-Gaussianity and Ambiguity“
Teil 3: „Sparse and Stable International Portfolio Optimization and Currency Risk Management”
Teil 4: „Accelerated American Option Pricing with Deep Neural Networks”
Das heißt, die Dissertation besteht aus vier Forschungsbeiträgen, die verschiedene statistische Lernmethoden zur Lösung von Problemen bei quantitativen Anlagestrategien vermitteln. Die ersten drei Teile behandeln das optimale Absichern von Fremdwährungsrisiken – und Teil 4 Methoden zur Optionspreisberechnung.
Teil 1 – verfasst von Urban Ulrych und seinem Forschungskollegen Nikola Vasiljević – bestimmt die optimale Währungsallokation eines risikoaversen, international agierenden Investors, der Unsicherheit (Ambiguität) reduzieren möchte. Das optimale Währungsengagement für diesen Anleger leiten die Autoren mit Hilfe eines sogenannten robusten Mittelwert-Varianz-Modells (Mean-Variance Model) ab. Dabei liefern sie eine neue Erklärung für den „Homebias“ einer Währungsallokation, also für die Tendenz, Fremdwährungsrisiken und Währungschancen! abzusichern. Die Unsicherheit führt zu verzerrten Schätzungen und übermäßig abgesicherten, also reduzierten Fremdwährungspositionen. Abschließend zeigen die Autoren, dass durch Berücksichtigung der „Ambiguität“ eine stabilere und optimale Währungsallokation erreicht und die risikoadjustierte Portfolioperformance nach Transaktionskosten deutlich verbessert wird.
In Teil 2 stellen Urban Ulrych und dessen Kollege Pawel Polak eine dynamische Währungsabsicherungsstrategie für global diversifizierte Investoren vor. Dabei werden den Wertpapieren und Währungen keine normalverteilten Renditen unterstellt – und die Investoren agieren unter Unsicherheit. Die Autoren entwickeln eine optimale unsicherheitsbereinigte und dynamische Währungsallokation auf Basis des Mittelwert-Varianz-Modells (Mean-Variance Model). Über Simulationen lassen sich beliebige Risikomaße optimieren, der erwartete Verlust in schlechten Marktphasen (Expected Shortfall) etwa. Der Out-of-Sample-Backtest (Backtest außerhalb der Stichprobe) zeigt, dass diese dynamische, nicht-normalverteilte Absicherung bessere Ergebnisse liefert als eine konstante und als eine dynamische, normalverteilte Absicherung.
Teil 3, den Förderpreisgewinner Urban Ulrych mit Co-Autor Raphael Burkhardt erarbeitet hat, stellt einen sogenannten „sparse and stable“-Optimierungsansatz für die Vermögensallokation mit mehreren Währungen vor. Im Kontext der Portfoliooptimierung bedeutet „sparse and stable“, dass das Verfahren konzentrierte Portfolien den extrem breit gestreuten vorzieht, und dass sie bei periodischen Umschichtungen einen vergleichsweise tiefen Turnover aufweisen. Die beiden Autoren belegen zudem die Vorteile der gleichzeitigen Optimierung der Allokation von Vermögenswerten (wie Aktien und Anleihen) und dem Währungs-Mix gegenüber der üblichen Praxis – nämlich das Währungsrisiko über sogenannte Währungs-Overlay-Strategien erst nach der Optimierung der Vermögensallokation zu managen. Beim abschließenden empirischen Test schneidet ihre gleichzeitige Asset- und Währungs-Optimierung nach Transaktionskosten durchwegs besser ab als der Overlay-Ansatz.
In Teil 4 entwickeln Urban Ulrych und David Anderson eine neuartige Methode zur Preisbestimmung amerikanischer Optionen, also Optionen mit Recht auf Ausübung während der Laufzeit. Bei gleicher Preisgenauigkeit berechnet ihr künstliches neuronales Netzwerk (KNN) amerikanische Optionspreise mehr als 50-mal schneller als die in der Praxis häufig verwendeten konkurrierenden Ansätze. Der vorgestellte Ansatz ermöglicht die von Regulierungsbehörden geforderte Interpretierbarkeit der Parameter und etabliert die Methode im Bereich der Explainable Artificial Intelligence (XAI) für das Finanzwesen. Der „Deep Explainable Pricer“ ermöglicht die Bewertung von Derivaten mit pfadabhängigen und komplexeren Auszahlungsprofilen und ist angesichts der Geschwindigkeit, der Berechnungsgenauigkeit und Interpretierbarkeit direkt im Market-Making einsetzbar.
Mit maschinellen Lernmethoden Renditen von Unternehmensanleihen beschreiben und prognostizieren
Die zweite Förderpreis-Gewinnerarbeit ist die Master-Thesis „Empirical Asset Pricing via Machine Learning – The Case of Corporate Bonds” (Sebastian Alois Ott, August 2020, 111 Seiten, ebenfalls in englischer Sprache). Trotz der großen Bedeutung von Unternehmensanleihen für institutionelle Anleger hat der Markt diese Anlageklasse hinsichtlich der empirischen Vermögensbewertung mittels maschinellen Lernens bis zur Erstellung dieser Master-Thesis vernachlässigt. Dass Sebastian Alois Ott Methoden des maschinellen Lernens mit Anleihendaten anwendet, ist ein wichtiger Beitrag zur Forschung. Denn er zeigt, dass Nichtlinearitäten und Wechselwirkungen, welchen traditionellen Analysemethoden verborgen bleiben, modellierbar sind.
Sebastian Alois Ott untersucht, ob maschinelle Lernalgorithmen die Beschreibung und Vorhersage von Unternehmensanleihenrenditen verbessern können. Die empirische Grundlage bilden Transaktionsdaten von US-Unternehmensanleihen in den Jahren 2002 bis 2019. Auf dieser Basis identifiziert er verschiedene Anleihenfaktoren und makroökonomische Variablen, um die Wertentwicklung von Unternehmensanleihen zu erklären. Dabei zeigt er, dass bestimmte Faktoren hierzu besonders gut geeignet sind. Bei den Anleihenfaktoren sind dies Variablen wie Kreditrisiko, Value-at-Risk, Rentenmarkt-Beta, vergangene Anleihenrenditen und Restlaufzeit. Auf der Makroebene erweisen sich insbesondere Zins- und Aktienmarktvariablen als aussagekräftig.
Ott analysiert 14 verschiedene maschinelle Lernmodelle und zeigt, dass einige der Modelle besonders gut geeignet sind, um Defizite herkömmlicher linearer Methoden zu überwinden. Zudem weisen diese Lernmodelle auch über die Stichprobe hinaus ein robust höheres Bestimmtheitsmass aus. Um die Risikoprämien von Unternehmensanleihen zu erklären, eignen sich bestimmte Machine-Learning-Ansätze besonders. Dazu zählen Entscheidungsbäume (Gradient Boosting & Extremely Randomized Trees) und Neuronale Netzwerke.
In seiner Gewinnerarbeit weist er zudem nach, dass höhere Vorhersageleistungen von Machine-Learning-Modellen auch in höheren Anlagerenditen münden. Nahezu alle auf maschinellen Lernmodellen basierende Long-Short-Portfolios schneiden besser als der Gesamtmarkt ab. Sowohl die Gradient-Boosting- als auch Random-Forest-Methoden zeigen neben einer sehr guten Portfolioperformance ein geringeres Drawdown-Risiko als der Gesamtmarkt.
Ethik sollte auch bei KI im Asset Management weiter beachtet werden
Bei allen quantitativen und qualitativen Verbesserungen, die Künstliche Intelligenz im Asset Management heute schon ermöglicht und in den kommenden Jahren beschleunigt bringen wird, sollten wir allerdings nicht die Ethik aus den Augen verlieren. „Glass Boxes“ sind „Black Boxes“ – auch mit Blick auf KI im Asset Management – vorzuziehen. Und dafür verantwortlich, „Glass Boxes“ zu bauen, ist weiterhin die menschliche Intelligenz.
Über die Gastautoren:
Günter Jäger ist Geschäftsführer von Plexus Investments und Veranstalter der Konferenz „Artificial Intelligence in the Financial Sector“ und Initiator der Plexus-KI-Denkfabrik.
Urban Ulrych von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne ist Autor der Dissertation „Applications of Statistical Learning in Quantitative Finance”, die er an der Universität Zürich verfasst hat.
Sebastian Alois Ott von der UBS ist Autor der Master-Thesis „Machine Learning – The Case of Corporate Bonds”, die er an der Universität St. Gallen verfasst hat.