Forschung und Praxis Wie sich die KI-Entwicklung für die Finanzbranche beschleunigt

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Zudem hat die Sprachverarbeitung ergeben, dass das „Um-den-heißen-Brei-Herumreden“ von Unternehmensmanagern besonders ausgeprägt ist, wenn

  • die Unternehmensgewinne und/oder die Eigenkapitalrendite im Berichtsquartal unbefriedigend ausgefallen sind,
  • Analysten hartnäckig gefragt, also dieselben Analysten nach ihrer ersten Frage auch Folgefragen gestellt haben,
  • Analystenfragen negativ kontextualisiert waren
  • und auf Zukunftsprognosen abzielten. 

Für Teil 2 („Let me get back to you" – A machine learning approach to measuring non-answers“) wurden rund 1350 (!) Begriffe und Phrasen für Non-Answers klassifiziert („Ich weiß nicht“, „Schwer vorhersehbar“ und weitere). Das so entstandene Glossar diente als Trainingsinput für das Machine-Learning-Programm „Multinomial Inverse Regression“ (MNIR). Dadurch erkennt das MNIR-Programm nun, wenn Manager auf beispielsweise Investoren- und Analystenfragen unkonkret antworten. Die Wortdatenmassen für das Training der MNIR-Algorithmen sind Frage-Antwort-Runden bei Quartalskonferenzen von Finanzunternehmen entnommen, die im US-Aktienindex S&P 500 gelistet sind. Die Umfragen fanden in den Jahren 2002 bis 2019 statt.

In Teil 3 („Does firm's silence drive media's attention away?”) geht es um die treibenden Kräfte hinter der Unternehmensberichterstattung professioneller und nicht-professioneller Wirtschaftsmedien. Die Forschung zeigt klar, dass die mediale Nachfrage nach unternehmensspezifischen Informationen infolge ausweichender Antworten von Unternehmensvorständen zunimmt. Allerdings produzieren die Medien dann auch weniger Inhalte, weil die Unternehmen eben diese gestiegene Nachfrage nicht präzise bedienen.

Unternehmensmanager können sich also überlegen, ob sie Analysten, Investoren, Journalisten und andere Stakeholder über bestimmte Aspekte im Unklaren lassen und dafür sinkendes Marktvertrauen, weniger Medienberichterstattung und mehr Journalistenfragen in Kauf nehmen möchten.

Machine Learning schlägt herkömmliche Anleihe-Bewertung deutlich

Die zweite Förderpreis-Gewinnerarbeit ist die Master-Thesis „Robust Machine-Learning-Based Estimation of Credit Returns” (Colin Glag, 111 Seiten, ebenfalls in englischer Sprache). Sie hat drei Kernteile:

  • Teil 1: „Research Design, Methodology and Predictive Modeling”
  • Teil 2: „Corporate Bond Data and Factor Specifications“
  • Teil 3: „An Empirical Study on Global Corporate Bonds”

Im Allgemeinen geht es hier darum, zu verstehen, wie maschinelles Lernen für die empirische Bewertung von Vermögenswerten nutzbar ist. Und im Speziellen, wie gut prognostizierbar die Renditen von Unternehmensanleihen sind. Letzteres beleuchtet wissenschaftliche Literatur noch dürftig. Ein wesentlicher Grund dafür könnte die relativ kurze Datenhistorie von Unternehmensanleihen sein. Außerdem haben viele nicht börsennotierte Unternehmen Anleihen emittiert. Und deren Daten sind schwerer zugänglich als die von börsennotierten Unternehmen. Doch sowohl in der akademischen Forschung als auch in der wirtschaftlichen Praxis wächst das Interesse an Machine-Learning-Methoden enorm  – weil sie erfolgreich sind.