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Flossbach von Storch zu Dax-Prognosen Crash-Propheten heischen zu Unrecht um Aufmerksamkeit

Das Ende des Jahres ist eine hektische Zeit, nicht nur im Einzelhandel, sondern auch in den Finanzhäusern und Finanzredaktionen. Es ist die Zeit der Prophetie. Wo steht der Deutsche Aktienindex (Dax) am Ende des kommenden Jahres? Was ist mit dem Euro? Oder dem Goldpreis? Oder den vielen anderen Indizes, Währungen und Rohstoffen? Die Analysten und Strategen der Finanzinstitute sind gefragt – qua Amt dazu berufen, möglichst präzise Vorhersagen zu treffen, wohin die Kurse in den kommenden zwölf Monaten drängen.

2020 – die große Vorschau

In den Finanzressorts der Zeitungen werden die Seiten freigeräumt für große Tabellen mit vielen Prognosen der unterschiedlichsten Prognosegeber, fein säuberlich eingetragen, Spalte neben Spalte, jeweils mit den unterschiedlichen Vorhersagen zu unterschiedlichen Anlagen versehen. „So wird 2020! Die große Vorschau.“ Und: „Was Anleger jetzt wissen müssen.“ Wenn gerade nichts Spektakuläres passiert, taugt die Vorschau gar zum Zeitungs- oder Magazinaufmacher. Verkauft sich gut am Kiosk. Die Tabelle ist meist so platziert, dass sie sich gut ausschneiden lässt. Was viele Leser auch gerne tun – um sie dann an die Pinnwand heften. Ein bisschen so, wie sie es mit der Stecktabelle des Kicker-Sonderhefts vor Beginn einer jeden Fußballbundesliga-Saison tun.

Das Problem an der Geschichte ist, dass die Kicker-Stecktabelle mehr Aussagekraft hat als die Dax-Dow-Euro-Gold-Heiz-und-Palmöl-Tabelle. Die Kandidaten für den kommenden deutschen Meister, das haben die vergangenen Jahre gelehrt, lassen sich recht verlässlich eingrenzen. Bei den Absteigern wird es dagegen etwas schwieriger. Da ist immer mal wieder einer dabei, den man dort nicht unbedingt vermutet hätte, einerseits.

Eine Jahresprognose ist schlicht unmöglich

Andererseits ist das Vertrauen in die Dax-Prognosen der Finanzbranche weit größer als in die Stecktabelle, weil diejenigen, die die Prognose machen – das ist zumindest die Perspektive des Lesers –, sich ja den ganzen Tag über mit nichts anderem beschäftigen als mit den Faktoren, die letztlich die Prognose bedingen. Das tun sie, sicherlich, trotzdem können sie es nicht wissen. Denn unzählige Faktoren wirken auf die verschiedenen Märkte ein, auch Unwägbarkeiten und Katastrophen. Eine Prognose über einen so kurzen Zeitraum, und nichts anderes sind zwölf Monate, ist schlicht unmöglich.

Das wissen im Übrigen auch die Prognosegeber. Sie versuchen sich trotzdem daran, weil sie dafür bezahlt werden und der, der zahlt, nicht ungern in der Zeitung steht. Nicht zuletzt gehen die Vorhersager davon aus, dass das Publikum genau das von ihnen erwartet – Prognosen. Licht ins Dunkel der Unwägbarkeiten bringen, sei es auch noch so schwach. Das hilft, Ängste zu überwinden. Der Mensch sehnt sich nach Gewissheiten, auch wenn es die in Wahrheit gar nicht gibt. Das ist nachvollziehbar, kurz: menschlich.

Die Medien wissen ebenfalls um den begrenzten Wert der Prognosen. Aber eben auch um das Bedürfnis der Leser und damit die Attraktivität der Geschichte, die zudem verbunden ist mit der Aussicht auf eine Folgegeschichte. Denn wer Prognosen abfragt, der kann diese – mit etwas Abstand – auch bewerten. Also denjenigen beglückwünschen, der (zufälligerweise) besonders gut lag mit seiner Einschätzung, und diejenigen vors Schienbein treten, die – rückblickend – völlig abstruse Prognosen abgegeben hatten.