Flossbach-Ökonom Gunther Schnabl „Der durchschnittliche Deutsche wird enteignet“

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Flossbach-Ökonom Gunther Schnabl
„Der durchschnittliche Deutsche wird enteignet“
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Gunther Schnabl, Direktor des Flossbach von Storch

Gunther Schnabl, Direktor des Flossbach von Storch Research Institute Foto: Flossbach von Storch

private banking magazin: Sie sind 1966 in Starnberg geboren. Erzählen Sie uns von Ihrem Werdegang.

Gunther Schnabl: Ich bin in Oberbayern aufgewachsen, war auf dem Gymnasium Icking, einem altsprachlichen Gymnasium. Ich habe Latein und Griechisch gelernt, war nach dem Abitur aber unzufrieden, weil ich die neuen Sprachen vernachlässigt hatte. Deswegen habe ich lange Zeit im Ausland verbracht, erst in Frankreich und dann zwei Jahre in Japan. Dort habe ich Japanisch gelernt, was meine wissenschaftliche Karriere sehr stark geprägt hat.

Wie sind Sie zur Volkswirtschaftslehre gekommen?

Schnabl: Das kam interessanterweise aus dem Geschichtsleistungskurs. Geschichte sind dynamische Prozesse, da wird agiert und reagiert. Daraus ergeben sich Entwicklungen, die oft mit wirtschaftlichen Aspekten sehr stark verwoben sind. Ein wichtiges Thema damals in meiner Abiturzeit war die Gründerzeitkrise in Deutschland. Da bin ich das erste Mal mit volkswirtschaftlichen Aspekten in Berührung gekommen. Ich habe dann beschlossen, Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Japan zu studieren in Tübingen.

Japan spielt eine zentrale Rolle in Ihrer Forschung.

Schnabl: Japan verfolge ich in meiner Forschung immer wieder, weil die wirtschaftliche Entwicklung in Japan vieles vorwegnimmt, was hier in Europa oder auch in den USA passiert. Nach Tübingen habe ich viele Auslandsaufenthalte gemacht, wieder in Japan an der Tokyo-Universität, dann in Stanford mit Ronald McKinnon, einem sehr bekannten Währungsökonomen, und später in Löwen mit Paul de Grauwe, der ein wichtiges Buch zur Währungsunion in Europa geschrieben hat.

 

Warum haben Sie 2006 die EZB verlassen?

Schnabl: Es war immer mein Traum, Professor zu sein. Nicht nur um zu forschen, sondern das, was ich in der Forschung mir als Wissen aneigne, dann auch wieder an die Studierenden weitergeben zu können. Viele haben damals gesagt, das ist ein goldener Käfig, das ist lukrativ, gut bezahlt. Aber in dem, was wir sagen und nach außen weitergeben, sind wir beschränkt, wenn das Interesse der Institution im Vordergrund steht. An der Universität war man frei, man konnte sagen, was man wollte. Das war der große Unterschied.

2024 wurden Sie Direktor des Flossbach von Storch Research Institute.

Schnabl: Das ist eine wunderbare Aufgabe. Es ist eine sehr würdige Nachfolge von Thomas Mayer. Was bei Thomas faszinierend ist, dass er so viele Ideen und Theorien im Kopf hat und immer in der Lage ist, wenn eine neue Entwicklung auf den Tisch kommt, die richtige Theorie aus dem Hut zu ziehen. Wir haben zwei Leitlinien: die liberale Ausrichtung und finanzmarktbezogene, anwendungsorientierte Forschung. Das ist der große Unterschied zur Wissenschaft.

Was unterscheidet Sie von der klassischen Wissenschaft?

Schnabl: Ich habe miterlebt, dass die Forschung in der Volkswirtschaftslehre immer mehr methodengetrieben wurde. Bei der Forschung stehen die Methoden im Vordergrund und nicht mehr die Themen. Bei uns am Flossbach von Storch Research Institut ist das anders. Bei uns stehen die Themen im Vordergrund, wir sind immer am aktuellen Rand und versuchen, unsere Forschungsergebnisse dann auch wieder an die Öffentlichkeit weiterzugeben.

Ihr Buch trägt den drastischen Titel „Deutschlands fette Jahre sind vorbei“.

Schnabl: Das hängt von den politischen Entscheidungen ab, die in Berlin getroffen werden. Wir sind in gewisser Weise an einem Wendepunkt oder an einer Kreuzung angekommen. Es ist in der Bevölkerung angekommen, dass es nicht gut läuft in Deutschland, dass es früher besser war. Wir hatten ordnungspolitische Prinzipien, eine freie marktwirtschaftliche Grundordnung, die sehr viel Wohlstand und politische Stabilität geschaffen hat. Von dieser haben wir uns seit der Jahrtausendwende immer weiter entfernt. Jetzt müssen wir entscheiden: Zurück zu dieser marktwirtschaftlichen Ordnung oder so weitermachen wie bisher.

Ist die Warnung vor einem „vollständigen Wohlstandsverlust“ nicht übertrieben?

Schnabl: Ich verfolge die Wirtschaftspolitik in Deutschland mehr als 30 Jahre sehr sorgfältig. Je länger ich das getan habe, desto skeptischer bin ich geworden. Aus meiner liberalen, ordnungspolitischen Sicht habe ich ein ganz klares Raster: die konstituierenden Prinzipien von Walter Eucken. Das ist freie Preise, Währungsstabilität, Wettbewerb auf den Märkten, Privateigentum, Haftung, Vertragsfreiheit und Zurückhaltung der Wirtschaftspolitik. Immer wenn ich dieses Maß ansetze, bin ich sehr enttäuscht in den letzten 20 bis 30 Jahren.

Sie kritisieren die offizielle Inflationsmessung scharf.

Schnabl: In dem Korb fehlen die Vermögenspreise oder die Immobilienpreise. Wir haben einen Verbraucherpreisindex, das heißt per Definition, dass die Vermögenspreise nicht vertreten sind. Wir haben seit den 90er Jahren gesehen, dass sich die zunehmend expansive Geldpolitik der Zentralbanken überwiegend in Vermögenspreisen niedergeschlagen hat und nicht in Konsumentenpreisen. Die Vermögenspreisinflation hat negative Wachstums- und Verteilungseffekte. Die Leute, die Vermögenswerte haben - Aktien, Immobilien, Gold, Bitcoin - werden besser gestellt. Der durchschnittliche Deutsche, der am Sparbuch hängt, wird von der Europäischen Zentralbank enteignet, dadurch dass sie die Zinsen auf Null drückt und Inflation schafft.

Wie bewerten Sie die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz?

Schnabl: Für mich war enttäuschend, dass die FDP rausgefallen ist, weil die FDP in der Ampelkoalition die Schuldenbremse konsequent verteidigt hat. Solide Staatsfinanzen sind die Voraussetzung für eine stabile Währung. Es war ein Rückschlag, als die Schuldenbremse aufgeweicht wurde und ein Schuldenpaket im Umfang von 1.000 bis 1.700 Milliarden Euro in den nächsten 10 bis 12 Jahren auf den Weg gebracht wurde. Das ist für mich eine ordnungspolitische Enttäuschung. Wir bräuchten eine grundlegende wirtschaftspolitische Wende, nicht nur hier oder da eine Reform.

Sie sehen die Grundfehler der letzten Jahre in der expansiven Politik.

Schnabl: Wir hatten eine zunehmend expansive Geldpolitik. Die hat eine zunehmend expansive Finanzpolitik ermöglicht, also deutlich angestiegene Staatsausgaben. Im Windschatten dieser expansiven Geld- und Finanzpolitik dann auch immer mehr Regulierungen, die ins Getriebe der Unternehmen und der Finanzwirtschaft geworfen wurden. Jetzt bräuchten wir eine Wende: zurück zu einer stabilen Währung, Konsolidierung der Staatsausgaben und Abbau der Regulierungen.

Wo sehen Sie denn positive Ansätze – ausgerechnet in Trumps USA?

Schnabl: Differenziert betrachtet. In den USA sehe ich zumindest Ansätze zu den Politiken, die wir brauchen. Bei der Regulierung hat er gesagt, er wird sie sehr stark zurückschneiden. Bei den Staatsausgeben will er kürzen. Er hat die wunden Punkte identifiziert: kostspielige Beschäftigung im öffentlichen Sektor, Umweltregulierung, große Ausgaben im Gesundheits- und Bildungssektor. Allerdings sind die Steuersenkungen nicht ausreichend gegenfinanziert. In Ansätzen richtig, in der Umsetzung mangelhaft, aber immerhin besser als in Europa.

Seine angekündigten Zölle lehnen Sie aber ab.

Schnabl: Zölle sind immer der falsche Weg. Freihandel und internationaler Wettbewerb schaffen globalen Wohlstand. Aber man darf nicht über jedes Stöckchen springen, was Trump einem hinhält. Wir müssen sehen, was am Ende des Verhandlungsprozesses steht. Das ist auch ein positiver Aspekt an Trump: Er stellt viele Dinge in Frage und zwingt uns, über neue Dinge nachzudenken.

Wie schätzen Sie die Zukunft der deutschen Automobilindustrie ein?

Schnabl: Wir haben eine Studie zur Automobilindustrie gemacht. Ein Ergebnis war, dass die deutsche Automobilindustrie sich immer dann bewährt hat, wenn die Lage ernst war - wie jetzt. Ich glaube, dass sie die Kapazitäten hat, sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten, insbesondere im Hochqualitätssegment. Wenn ich in einem Tesla mitfahre, wirkt das alles windig und billig und nicht ausgereift. Es ist aber nicht der richtige Weg, die Autoindustrie mit Subventionen zu verhätscheln. Sie haben sehr gute Ingenieure und ambitionierte Leute - man muss sie machen lassen.

Sie prognostizieren einen weiter starken Dollar.

Schnabl: Ich bin Fundamentalist, ich schaue auf die Fundamentaldaten und langfristigen Entwicklungen. Auf kurze Frist sind Währungsentwicklungen schwer zu prognostizieren. Aber ich kann eine Strukturprognose wagen: Die Fed war mit Zinssenkungen deutlich zurückhaltender als die Europäische Zentralbank. Das weist für mich auf einen starken Dollar hin.

Was halten Sie vom digitalen Euro?

Schnabl: Ich sehe die Notwendigkeit nicht. Wenn eine neue Währung geschaffen wird, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, diese Entscheidung zu treffen. Interessanterweise kommt die Idee aus der EZB. Ursprünglich war er als Konkurrenzprodukt zum Bitcoin konzipiert. Heute wird er als Zahlungssystem kommuniziert, als Konkurrenz zu dollardominierten Zahlungssystemen. Wir haben Kreditgeld, wir können elektronisch Geld transferieren - dafür brauchen wir den digitalen Euro nicht.

Sie praktizieren selbst, was Sie predigen: Keine "sicheren" Anlagen.

Schnabl: Ich bin Volkswirt und muss keine Anlageentscheidungen für andere treffen. Ich habe großen Respekt vor den Leuten, die das täglich tun. Für mich persönlich: Wir leben in unsicheren Zeiten, deshalb meide ich sichere Anlageformen. Ich habe kein Sparbuch mehr, lasse mein Geld nicht lange auf der Bank liegen und habe keine Staatsanleihen. Ich investiere in reale Anlageformen: Immobilien, Aktien. Ich habe großes Vertrauen in Flossbach von Storch und bin dort investiert. Außerdem habe ich einen Blick auf Gold und Bitcoin - mit einer Hard-Wallet.

Haben Sie schon einmal ein echtes Fehlinvestment gemacht?

Schnabl: Da fällt mir ehrlich gesagt nichts ein. Vielleicht steigt man manchmal zum falschen Zeitpunkt in Aktien ein, aber langfristig war das immer eine gute Entscheidung. Ich verstehe aber, dass Kollegen, die sich jeden Tag damit befassen, das deutlich besser einschätzen können.

Japan prägte nicht nur Ihre Forschung, sondern auch Ihren Geschmack.

Schnabl: Ich habe lange in Japan gelebt und gehe immer noch gerne zum Japaner. Die japanische Küche ist sehr komplex und schwer selbst zu reproduzieren. Ich mache Ausflüge nach Düsseldorf, wo es viele japanische Restaurants gibt. Dort probiere ich mit einem ehemaligen Doktoranden, der übrigens Japaner ist, alle Restaurants durch.

Haben Sie heute noch Lampenfieber?

Schnabl: Nein, früher hatte ich viel Lampenfieber und war deswegen immer übervorbereitet. Heute bin ich immer noch gut vorbereitet, aber müsste es eigentlich nicht mehr sein. Gute Vorbereitung ist eine wichtige Voraussetzung, um kein Lampenfieber zu haben und keine Fehler zu machen.

Die beste Entscheidung Ihres Lebens war der Gang nach Japan.

Schnabl: Nach Japan zu gehen. Ich war gerade 20 geworden und kam aus einer oberbayerischen Kleinstadt nach Tokio – 30 Millionen Menschen, die Stadt pulsiert 24 Stunden. Das waren noch ganz andere Zeiten. Wenn ich mich einmal im Monat bei der Familie melden wollte, musste ich nachts 15 Minuten zur nächsten internationalen Telefonzelle laufen. Ich hatte eine Telefonkarte für 1000 Yen und konnte zwei bis drei Minuten die wichtigsten Dinge berichten. Dann war die Leitung abgeschnitten. Ich habe gelernt, mich von außen zu betrachten und Deutschland aus einer anderen Sichtweise zu reflektieren.

Geldverschwendung kennen Sie nicht – bis auf eine Schwäche?

Schnabl: Bei mir gibt es keine Geldverschwendung. Ich bin sparsam erzogen und denke über jede Ausgabe nach. Allerdings habe ich eine Neigung für Kunst, Leipziger Schule, und das ist oft nicht billig. Wir haben schon Diskussionen geführt, ob ein Bild ein Investitions- oder Konsumgut ist.

 

Sie sind ein Grübeltyp.

Schnabl: Ja, ich grübele sehr viel. Ich habe Fragen in meinem Kopf und trage sie ständig mit mir rum. Ich betrachte Volkswirtschaftslehre als eine Art Puzzle. Es gibt viele Faktoren, die zusammenspielen, und die muss ich so zusammensetzen, dass am Ende das Bild stimmt. Oft fehlt ein Puzzleteil, und das trage ich dann so lange mit mir rum, bis ich es gefunden habe. Dann ist das Thema publikationsreif.

War das schon immer so oder haben Sie diese Eigenschaft entwickelt?

Schnabl: Ich glaube, das habe ich über die Zeit entwickelt. Mein Elternhaus war so liberal, dass sie ihren Kindern keine Leitlinien gegeben haben. Ich musste über die Zeit erst verstehen, was mich interessiert, was Liberalismus ist. Ich musste eigentlich alles selber rausfinden, geprägt durch meinen Lebenslauf.


Über den Interviewten:

Gunther Schnabl ist Direktor des Flossbach von Storch Research Institute.

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