Interview mit Michael Hünseler, Teil 2 „Bleibt der Konsum hoch, bleibt auch die Inflation hoch“

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Es ist also durchaus sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass wir unser Konsumverhalten ändern müssen. Vereinfacht ausgedrückt: Zahlen wir mehr für die notwendige Energie, muss bei anderen, weniger notwendigen Ausgaben gespart werden. Dass ausgerechnet Jeff Bezos hier warnt, hat mich überrascht. Richtig ist es dennoch, was er sagt, weil er eine konsequente Folgerung anspricht.

Wäre es dann nicht praktisch, wenn der Konsum einbrechen würde, weil die Sachen nicht mehr lieferbar sind und was halten Sie von den der gesamten Lieferkettenproblematik?

Gibt es Produktionsengpässe mit der Folge einer Angebotsverknappung, wirkt dies bei unveränderter Nachfrage preistreibend. Teilweise konnten die Unternehmen ihren Umsatz dadurch stabilisieren, dass sie höhere Preise verlangten, wenn sie weniger Produkte verkauften. Daher wäre es im Sinne einer rückläufigen Preissteigerungsrate vorteilhaft, wenn die Unternehmen ihre Güter störungsfrei in dem Maße herstellen könnten, in dem sie nachgefragt werden. Nach der Coronakrise haben die Firmen daran gearbeitet, die Lieferkettenprobleme in den Griff zu bekommen und sind dabei gut vorangekommen. Andererseits zeigt uns ein exogener Schock wie der Angriffskrieg gegen die Ukraine, dass es Rohstoffe, Vor- und Endprodukte gibt, die nicht einfach und vor allem nicht kurzfristig ersetzt werden können.

Ist die De-Globalisierung wegen der angesprochenen Erfahrungen, teurerer Frachtkosten und weiterer Punkte in vollem Gange?

Hünseler: Da sind zwei Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen ist die Globalisierung letztlich Ausdruck des komparativen Vorteils, bei dem unter der Voraussetzung des friktionsfreien Handels zwei Länder jeweils die Produkte herstellen, die sie jeweils kostengünstiger produzieren können und diese dann zum Vorteil beider Länder tauschen. Gibt es jedoch unerwartete Einschränkungen bei der Herstellung oder gilt die Annahme des freien Handels nicht mehr, kann aus der vorausgehenden Globalisierung eine unerfreuliche Abhängigkeit entstehen. Die Corona-Pandemie wie auch die Ukrainekrise stellt zunehmend die Vorteile der Globalisierung infrage. Es zeigt sich, dass es sinnvoll sein kann, teurer zu produzieren, wenn so die Verfügbarkeit von Gütern gesichert werden kann. Der Schritt zum Protektionismus ist dann nicht mehr weit.

Und der zweite Aspekt?

Hünseler: Da geht es um Nachhaltigkeit. Investoren erwarten von Unternehmen heute deutlich mehr Transparenz bezüglich ihrer Nachhaltigkeit und lassen die dahingehend gewonnenen Erkenntnisse verstärkt in ihre Anlageentscheidungen einfließen. Gelten etwa bei zwei Produktionsstätten nicht dieselben Sicherheitsstandards, mag monetär betrachtet der kostengünstigere Produzent im Vorteil sein. Bereinigt um die Kosten eines möglichen Reputationsschadens fällt die Entscheidung jedoch möglicherweise zugunsten des vermeintlich unattraktiveren Standorts aus. Eine Rückabwicklung der Globalisierung ist zwar nicht vorstellbar, der Trend wirkt gleichwohl inflationsverstärkend.

Kann es nicht eine Win-Win-Situation geben in dem Sinne, dass die EZB die Inflation runterbekommt und dennoch keine Arbeitsplätze verloren gehen, weil Deutschland die ins Ausland verlagerte Produktion wieder zurückholt?

Schwierig. Die EZB wird zweifellos aktuelle Arbeitsmarktdaten bei ihrer Geldpolitik stärker berücksichtigen als eher langfristige, strukturelle Veränderungen des Arbeitsmarktes. Unabhängig davon liegt unser Fokus aber auf der Entwicklung an den Kapitalmärkten, aus der wir die passende Positionierung der Portfolios ableiten. Dafür ist es notwendig, das Verhalten der Notenbanken richtig zu antizipieren und das wiederum gelingt nur, wenn das makroökonomische Bild stimmt. Auch wenn wir hier viel über Zentralbanken und Geldpolitik sprechen: Für uns zählt vor allem, dass uns deren Übersetzung in Marktentwicklungen gelingt.

 

 

 

Ändert sich die Erwartung am Kapitalmarkt bezüglich der sogenannten Terminal Rate, bei der die Zinserhöhungsrunde der EZB am Ende angelangt sein wird, wirkt sich das unmittelbar auf die Anleihekurse aus. Zuletzt mussten die Erwartungen nach oben revidiert werden, also höhere Einlagensätze und die gegebenenfalls auch länger. Resiliente Arbeitsmarktdaten halten den Druck auf die Zentralbanken aufrecht und das kann ein Belastungsfaktor werden.

Was meinen sie damit?

In den USA weist der Chef der US-Zentralbank Jerome Powell darauf hin, dass der zu beobachtende Anstieg der Löhne weit über das Niveau hinausgeht, das zum zwei Prozent-Ziel der Inflation passt. Notenbanker Daly geht sogar so weit zu sagen, dass die Arbeitslosigkeit in den USA von aktuell 3,7 Prozent auf 4,5 Prozent oder höher steigen muss, um den Anstieg der Inflation zu verlangsamen. Dabei geht es um den zuvor beschriebenen Zusammenhang von Konsum und Inflation.

Welche Spitzen werden Inflation und Zinsen erreichen?

Hünseler: Die EZB bleibt bei ihrem mittelfristigen Zielwert von 2 Prozent Inflation. Die jüngsten Projektionen sehen einen Rückgang auf 6,3 Prozent im Jahr 2023, 3,4 Prozent 2024 und 2,3 Prozent 2025 vor. Das lässt Raum, um auf datenbasierte neue Erkenntnisse flexibel zu reagieren. Wäre das Ziel, zwei Prozent Inflation schon früher zu erreichen, müsste der Kapitalmarkt von einer deutlich strafferen Geldpolitik ausgehen, was sehr negativ zu interpretieren wäre. Aber auch so erscheint die Projektion ambitioniert. Es ist zwar denkbar, dass wir ‚Peak Inflation‘, also den Inflationshöchststand mit über zehn Prozent in der Eurozone bereits hinter uns haben. Dennoch erwarten wir eine zähe Kernrate, welche die Zentralbanken zu weiteren Zinsschritten zwingen wird. Bei der EZB gehen wir von 3 Prozent Terminal Rate aus, in den USA von 5,25 Prozent. In beiden Fällen haben die Anleiherenditen noch Luft nach oben.

Was würden Sie in dieser Zeit einem risikofreudigen und was einem risikovermeidenden Kunden nahelegen – mit Aussicht für die kommenden fünf Jahre?

Hünseler: Entscheidend bei dieser Frage ist der zeitliche Anlagehorizont und die Risikobereitschaft. Ein gut diversifiziertes Portfolio aus Anleihen von Unternehmen mit besserer Bonität erzielt derzeit annähernd vier Prozent Rendite bei einer durchschnittlichen Laufzeit von fünf Jahren. Das ist attraktiv und bietet aufgrund des laufenden Ertrages über die Zeit einen nennenswerten Verlustpuffer. Selbst wenn die Renditen noch weiter steigen, hilft hier die mittelfristige Investmentdauer. Denn vorausgesetzt die Unternehmen können ihren Schuldendienst leisten, tendieren die Anleihen zur Fälligkeit hin zum Nennwert zurück und holen so gegebenenfalls Verluste auf.

 

 

 

Zu bedenken sind jedoch der sich abzeichnende Konjunkturabschwung sowie die anhaltende Straffung der geldpolitischen Zügel, die aktuell mehr Risiken als Chancen bedeuten. Während wir also für die kommenden Monate erneute Turbulenzen erwarten und weiter vorsichtig bleiben, sprechen wir Anleihen wieder die Rolle zu, die sie vor der Zeit negativer Renditen hatten. Noch vor Kurzem waren Anleger gezwungen, immer größere Risiken einzugehen und Illiquidität in Kauf zu nehmen. Wir denken, dass Fixed Income bereits jetzt wieder übliche Ertragsziele institutioneller Investoren wie Pensionskassen und Versicherungen erfüllt und deswegen zu Recht wieder stärker in der Asset Allocation berücksichtigt wird.

Wie wichtig ist Ihnen ESG?

Hünseler: ESG als Synonym für nachhaltiges Investieren ist anspruchsvoll, aber notwendig. Ich halte es für die Aufgabe und Verantwortung der Kapitalsammelstellen, sich bewusst zu sein, welche Effekte mit der Steuerung des Kapitals verbunden sind und auch erreicht werden können. Kann ein Unternehmen beispielsweise seine Nachhaltigkeitsstrategie transparent darlegen und findet diese Zuspruch bei den Investoren, kann das einen günstigeren Zugang zu Fremdkapital bedeuten. Bessere Refinanzierungskonditionen stärken die Wettbewerbsposition, Nachhaltigkeit lohnt sich also. Umgekehrt können Umweltsünder gerade dann Zugangsschwierigkeiten am Kapitalmarkt haben, wenn sie frisches Kapital am dringendsten brauchen. Auch dieses Risiko gilt es zu beurteilen. Wir nehmen unsere Verantwortung als großer Investor sehr ernst und agieren entsprechend.

Was bedeutet das konkret?

Hünseler: Unsere Analysten prüfen die infrage kommenden Unternehmen neben der Kreditwürdigkeit auch auf Nachhaltigkeit. Neben den eigenen Analysen nutzen wir weitere ESG-Datenanbieter, die Aufschluss über die verschiedenen Merkmale Umwelt, Soziales und Unternehmensführung geben. Neben der Anwendung von fest definierten Ausschlusskriterien nutzen wir unsere Position zur Einflussnahme, wo wir dies für angeraten halten. Zudem steuern wir den CO2-Ausstoß in unseren Portfolios mit der Zielsetzung einer signifikanten Reduktion.

Wie wollen Sie dies erreichen?

Hünseler: Wir nutzen Datenanbieter, die den CO2-Beitrag von Unternehmen ermitteln. So können wir die CO2-Intensität der Portfolios berechnen. Fallen Unternehmen hier negativ auf, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Zum einen können wir signalisieren, dass eine Firma am CO2-Wert arbeiten muss, um uns als Investor zu erhalten. Auf der anderen Seite gibt es schadstoffintensive Industrien, deren Möglichkeiten zur CO2-Reduktion begrenzt sind. Hier kann ein sogenannter ‚Best of Class‘-Ansatz geeignet sein, der nur die relativ saubereren Unternehmen im Portfolio berücksichtigt. Auch der Verkauf von Anleihen besonders umweltschädlicher Firmen ist eine Möglichkeit, um CO2-Ziele zu erreichen.

Den ersten Teil des Interviews können Sie hier lesen.

Über den Interviewten: Michael Hünseler leitet seit Juli 2021 das Fixed-Income-Team der Meag (Head of Active Fixed Income im Bereich Public Markets). Der Asset Manager der Versicherer Münchner Rück und Ergo verwaltet gut 336 Milliarden Euro. Im Geschäft mit institutionellen Anlegern und Privatkunden verwaltet die MEAG 70 Milliarden Euro.Vor dieser Zeit leitete er knapp neun Jahre den geschäftsbereich Fixed Income bei Assenagon Asset Management. Seit 2020 hatte er dort auch die damals neu geschaffene Position des Head of ESG inne. Davor war er in verschiedenen Führungsfunktionen in der Unicredit-Gruppe und bei Deka Investments tätig.

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