Interview mit Michael Hünseler, Teil 2 „Bleibt der Konsum hoch, bleibt auch die Inflation hoch“

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Interview mit Michael Hünseler, Teil 2
„Bleibt der Konsum hoch, bleibt auch die Inflation hoch“
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Michael Hünseler von der Meag

Michael Hünseler von der Meag: „Die Corona-Pandemie wie auch die Ukrainekrise stellt zunehmend die Vorteile der Globalisierung infrage. Es zeigt sich, dass es sinnvoll sein kann, teurer zu produzieren, wenn so die Verfügbarkeit von Gütern gesichert werden kann. Der Schritt zum Protektionismus ist dann nicht mehr weit.“ Foto: Meag

private banking magazin: Herr Hünseler, Sie sprachen im ersten Teil unseres Interviews unter anderem darüber, dass Zinssorgen den Markt plagen, steigende Ausfallrisikoprämien zusätzlich auf die Kurse drücken. Emerging Markets jedoch, die grundsätzlich schlechter abschnitten, konnten durch eine gute Auswahl eine ansprechende Performance generieren. Rohstoffexportierende Länder wurden von der Meag übergewichtet, solche, die stärker unter der Lebensmittelinflation litten, untergewichtet. Im Nachhinein betrachtet, sagen Sie, war das genau das Richtige. Wie geht es weiter in dieser unsicheren Phase?

Michael Hünseler: Wir haben zuletzt unsere Positionen deutlich reduziert, weil das Gesamtbild weniger klar geworden ist.

Was meinen Sie damit konkret?

Hünseler: Die Unsicherheit bleibt weiterhin sehr hoch, und das Rückschlagpotenzial hat mit der zuletzt positiven Marktentwicklung zugenommen. Die hohe Inflation stellt weiterhin ein Risiko dar und kann die Notenbanken zu weiteren Zinserhöhungen zwingen, falls sich der erhoffte Rückgang nicht einstellt. Schließlich ist derzeit unklar, wie scharf der wirtschaftliche Abschwung ausfallen wird. Die zuletzt robusten Konjunkturdaten legen einen milden Verlauf nahe, während die inversen Zinskurven auf eine Rezession hindeuten. Zuletzt kamen von den Notenbanken uneinheitliche Signale, die EZB zeigte sich aber unerwartet forsch und wird die geldpolitischen Zügel wohl weiter anziehen.

Haben EZB und Fed die Situation verkannt, oder wollten sie möglicherweise der Wahrheit nicht ins Auge blicken?

Hünseler: Möglicherweise etwas von beidem. Vor langer Zeit war die Bundesbank der Währungsstabilität verpflichtet, dazu sollte die Preissteigerung mittelfristig zwei Prozent nicht übersteigen. Die EZB dagegen setzte in den letzten Jahren eine ultralockere Geldpolitik ein mit dem Ziel, die Inflation anzukurbeln und sie so auf zwei Prozent zu bringen. Dafür wurden selbst negative Zinsen in Kauf genommen. Eine unfassbare Situation: Ein Investor zahlt dafür, dass er anderen sein Kapital überlässt. Mit der Corona-Pandemie geriet der Trend der Globalisierung ins Stocken, Lieferketten brachen zusammen, die Produktion sank. Bei hoher Nachfrage, die nicht zuletzt auch eine Folge der umfangreichen Corona-Hilfsprogramme ist, stiegen die Preise erst schleichend, dann immer schneller.

 

 

 

Dazu kam, dass die Invasion in der Ukraine das Energieangebot dramatisch verknappte und die Preise hochschnellen ließ. Während es also zunächst so aussah, als wäre die Inflation nur vorübergehender Natur, stellte sich zunehmend eine Ernüchterung ein. Bis die großen Notenbanken aber darauf reagierten, dauerte es noch eine ganze Weile. Besonders die EZB hat sich sehr zögerlich auf die neue Situation eingestellt und erst im Juli die Zinsen erhöht. Seitdem ging es mit dem Einlagensatz in vier Schritten von minus 0,5 Prozent auf aktuell 2 Prozent herauf und weitere Schritte sollen folgen. Am Ende könnte es heißen, ‚Die Geister, die ich rief, werd´e ich nun nicht los‘, wenn die Kerninflationsrate hoch bleibt.

Was sind die Folgen dieser Gemengelage?

Hünseler: Der Zinsanstieg macht sich bereits in einigen Branchen deutlich bemerkbar. Geschäftsmodelle, die vom jederzeitigen Zugang zu billigem Kapital lebten, sind nun gefährdet. Immobilien profitierten besonders von günstigen Zinsen, das ist vorerst vorbei. Die Konsumnachfrage hingegen zeigt sich bislang recht unbeeindruckt, was die Inflation entsprechend unterstützt. Erstmals seit langer Zeit stehen daher die Geld- und die Fiskalpolitik im Konflikt. Unterstützt der Staat die Bürger etwa bei den gestiegenen Energiekosten oder fordert sogar Lohnerhöhungen, sind das positive Signale für die Nachfrage der privaten Haushalte. Aber das konterkariert die Maßnahmen der EZB und setzt sie weiter unter Druck. Die US-Notenbank Federal Reserve peilt deswegen sogar einen Anstieg der Arbeitslosigkeit an. Denn bleibt der Konsum hoch, bleibt auch die Inflation hoch.

Warum?

Hünseler: Es wäre zu einfach, die zweistellige Inflation nur auf die hochschnellenden Energiekosten zurückzuführen. Bislang waren die Unternehmen in der Lage, ihre deutlich gestiegenen Produktionskosten auf die Verbraucher zu überwälzen. Die Konsumenten waren bislang bereit, die höheren Preise zu bezahlen. Diese Nachfrage muss also zurückgehen, soll die Inflation spürbar sinken. Das gilt es bei den fiskalpolitischen Maßnahmen zu bedenken.

Was würden Sie sich von der EZB wünschen?

Hünseler: Die EZB wurde bei ihrer letzten Sitzung sehr deutlich dahingehend, dass noch weitere Zinsschritte folgen werden. Bislang herrschte überwiegend die Meinung vor, dass für die Leitzinsen bei etwa drei Prozent Schluss sein wird. Bleibt es bei dem jüngsten Tempo, braucht es dafür nur zwei weitere Zinsanpassungen. Zudem sollen die bisher aufgebauten Anleihebestände des APP genannten Programms reduziert werden, indem nicht alle Fälligkeiten wieder investiert werden. Noch bei der vorhergehenden Pressekonferenz, bei der die Leitzinsen gleichwohl um 0,75 Prozent angehoben wurden, wurden die Äußerungen der Notenbank als eher maßvoll interpretiert.

 

 

Die Folge war ein Aufatmen an den Finanzmärkten, die Renditen und Risikoprämien fielen wieder. Für Investoren bedeutet das, dass die Reaktionsfunktion der Notenbank umso schwerer zu prognostizieren sein wird, je uneinheitlicher die Konjunktur- und Inflationsdaten ausfallen - die Zentralbanker werden wohl schwerer zu ‚lesen‘ sein. Dementsprechend wäre mehr Transparenz bei den geldpolitischen Entscheidungen hilfreich.

Der Konsum muss also zurückgehen. Jeff Bezos, reich geworden durch Konsum, hat geschrieben, dass es nicht die richtige Zeit dafür ist, sich teure TV-Geräte zu kaufen, es kommen harte Zeit. Was bezweckt er damit?

Hünseler: Spannend bleibt zu beobachten, wann sich der inflationsinduzierte Rückgang des verfügbaren Einkommens deutlicher auf den Konsum auswirken wird. Bislang ist das so nicht zu beobachten, was dafür spricht, dass Konsumenten verstärkt ihre Ersparnisse nutzen oder sich verschulden. Das deutet auf ein hohes Verbrauchervertrauen hin, trotz einer möglichen Rezession, das kann aber nur vorübergehend so bleiben