Die 1970er waren eine spannende und ereignisreiche Zeit. In den USA waren die Menschen noch immer faszieniert von der ersten Mondlandung, als am 21. Juli 1969 Neil Armstrong und Buzz Aldrin als erste Menschen den Erdtrabanten betraten. Der Vietnamkrieg tobte noch immer und die westliche Welt wurde von der Ölpreiskrise getroffen. In dieser Dekade nahm auch eine wirtschaftliche Entwicklung ihren Lauf: Fixed Income. Eine Zeitreise durch die turbulenten Jahre am Anleihemarkt.
Der Bondmarkt steckt in den Kinderschuhen
Vor fünf Jahrzehnten steckte der Bondmarkt noch in seinen Kinderschuhen. Das Geschäft mit festverzinslichen Wertpapieren war von einem starken Home Bias geprägt. Weder in den USA noch in Europa hatte man das Bedürfnis, sich über die Staatsanleihen seines Heimatlandes hinaus zu wagen. Doch, wie die Geschichte zeigt, sollte sich das dramatisch verändern.
Erst Inflation, dann Stagflation
Die 1970er Jahre waren für die US-Wirtschaft eine schwierige Zeit. Die Inflation schoss in die Höhe, die expansive Geldpolitik der 1960er Jahre, die auf eine Verbesserung der Lage am Arbeitsmarkt abzielte, trieb die Preise insgesamt in die Höhe. Gleichzeitig waren die Staatsschulden durch den Vietnamkrieg deutlich gestiegen. 1971 scheiterte das Bretton-Woods-Währungssystem, als die USA die feste Goldpreisbindung aufhoben („Nixon-Schock“).
Mit dem Ende des Goldstandards wurde der US-Dollar frei handelbar. Und er wurde immer schwächer. Von 1971 bis 1978 wertete die Währung rund 30 Prozent ab, was sich preistreibend auf Rohstoffe auswirkte. Der Trend wurde noch zusätzlich durch die erste Ölkrise angeheizt, nachdem die OPEC ihre Fördermengen 1973 aus politischen Gründen reduzierte. Von etwas über 3 Dollar im Jahr 1972 stieg der Preis bis 1975 in der Spitze auf 15 Dollar. Parallel brach 1973 und 1974 der Aktienmarkt ein. Nach einer kurzen Phase der Entspannung führte die iranische Revolution 1979 zu einer zweiten Ölkrise.

Die Menschen gingen im Zuge dieser Ereignisse dazu über, eine grundsätzlich hohe Inflation zu erwarten und in ihren alltäglichen Entscheidungen zu berücksichtigen. Das führte zu einer gefährlichen Lohn-Preis-Spirale, bei der die Löhne und damit die Kosten der Unternehmen schneller stiegen, was wiederum den Anstieg der Inflation befeuerte. Das Ergebnis war eine verheerende Phase stagnierenden Wirtschaftswachstums bei zugleich hohen Inflationsraten. Es herrschte Stagflation.
Magere Zinsen, wenig Volatilität
Zwar gehörten zur Verwaltung von Kundenportfolios schon immer auch Anleihen und andere Schuldtitel. Doch erst Anfang der 1970er Jahre nahm das Interesse von Anlegern in diese Instrumente erkennbar zu, sodass Unternehmen den Schritt zur Gründung eigener Abteilung gingen.
Um das nachvollziehen zu können, muss man sich in die damalige Zeit zurückversetzen. Buy-and-Hold galt für Fixed Income lange als anerkannter Standard. Das lag daran, dass die Zinsen mager waren und relativ wenig Volatilität herrschte. Typische Anleiheportfolios hatten in den 1950er Jahren noch durchschnittliche Kupons von fünf Prozent. Erst in den späten 1960er Jahren änderte sich das. Steigende Inflationsraten, höhere Renditen und die Stabilität, die eine Fixed-Income-Komponente in unsicheren Zeiten für Aktienportfolios bedeutete, sorgten für anhaltendes Wachstum dieser Anlageklasse.
Fixed Income in den 70ern
In den 1970er Jahren herrschten Inflationsraten vor, die noch eine Dekade zuvor undenkbar waren. Das Ziel war es nun, die Kaufkraft der Anlegergelder zu erhalten. Ein Ansatz, um dem Entgegenzusteuern war bei T. Rowe Price systematisch so früh wie möglich Renditen zu realisieren (Early Recapture), um die freiwerdenden Gelder dann möglicherweise zu besseren Konditionen wieder neu investieren zu können. So wollte man die Inflation umschiffen.
Der Ansatz war aber im Detail kompliziert und erforderte ein hohes Maß an Expertise. Es mussten Anleihen mit entsprechender Qualität in den richtigen Sektoren ausgewählt und die Einflussfaktoren auf die erwarteten Renditen richtig eingeschätzt werden. Gleichzeitig musste der Ansatz flexibel genug bleiben, um auch auf strukturelle Veränderungen der Wirtschaft reagieren zu können.

Die Early-Recapture-Strategie funktionierte bei schnell steigender Inflation gut. Doch Fixed-Income-Experten mussten auch darauf vorbereitet sein, dass eine Entspannung bei den Preissteigerungen möglich ist.
Analysten erstellten ein eigenes, detaillierten Research zu den aktuellsten Entwicklungen der Einflussfaktoren. Dazu gehörte zum Beispiel die kontinuierliche Einschätzung von Veröffentlichungen der Notenbank, was damals noch ein echter Wettbewerbsvorteil war. Ergänzt und hinterfragt wurden die eigenen Analysen durch Einschätzungen externer Experten. Einer dieser Analysten von T. Rowe Price war George Collins (mehr zu Collins später).
Die drei Bereiche des Fixed-Income-Research:
Wirtschaftliche Analyse:
Die wirtschaftliche Analyse begann bei den Zinstrends, die auf Angebot und Nachfrage an den Kreditmärkten basieren. Da die gesamtwirtschaftliche Aktivität die Nachfrage nach Schuldtiteln bestimmt, versuchte man, die Stärke und Richtung der Wirtschaft für drei bis fünf Jahre zu prognostizieren und Inflationstrends zu antizipieren. Hinzu kam die Analyse des Wirtschaftszyklus sowie eine Nachverfolgung von Veränderungen im Geldangebot und anderen monetären Aggregaten, um die kurzfristige Entwicklung von Geldmarktsätzen zu beurteilen. Außerdem wurden weitere relevante Entwicklungen wie etwa die Entwicklung der führenden Währungen oder Vorschläge für Steuerreformen verfolgt, die sich auf das Vertrauen an den Märkten auswirken können.
Analyse der Kreditwürdigkeit:
Die Analyse der Kreditwürdigkeit begann beim Screening der Unternehmen im Vorfeld jeglicher Engagements in deren Schuldtiteln. Nicht selten wurden dabei bereits frühe Warnzeichen für eine Verschlechterung der Kreditwürdigkeit erkannt oder attraktive Kandidaten für wahrscheinliche spätere Hochstufungen aufgespürt. Zum Hintergrund: Ratingagenturen untersuchten die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens damals oft nur dann, wenn neue Schuldtitel ausgegeben werden sollten.
Value-Analyse:
Entscheid war schließlich die Value-Analyse, die bestehende Renditedifferenzen ganzer Marktbereiche wie Treasuries und Unternehmensanleihen der einzelnen Sektoren untersuchte. Hier wurden besondere Gelegenheiten in unterbewerteten Bereichen zum Einstieg aufgedeckt oder überbewerte Sektoren für den Ausstieg identifiziert. Zwischen einzelnen Schuldtiteln fand man mithilfe dieser Analyse zudem potenzielle Arbitrage-Gelegenheiten.
Gewinne und Risiken auf Kunden abwägen
Das Ziel der Analyse war es letztlich, potenzielle Gewinne und Risiken auf Basis der Anlageziele des Kunden abzuwägen und bestmögliche Entscheidungen zu treffen. Dazu gehörte schon damals eine schrittweise, quantitative Vorgehensweise, um Renditen und Risiken überhaupt halbwegs voraussagen zu können.
Auf Basis dessen wurden mehr oder weniger defensive oder offensive Portfolios auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten. Dabei spielte auch der Stellenwert des Fixed-Income-Anteils innerhalb des gesamten Portfolios der Kunden eine Rolle, was deren Risikotoleranz und Cashflow-Anforderungen anging.

Erster Einsatz von Computern
Das vereinbarte Investmentprogramm wurde jährlich mit den Kunden durchgesprochen. Der Fokus lag dabei darauf, Entwicklungen für die Zukunft zu antizipieren, statt einfach nur historische Renditen zu analysieren. Hierzu schätzte man Wahrscheinlichkeiten für eine weite Spanne von optimistischen und pessimistischen Szenarien auf verschiedenen Zeitebenen, die monatlich aktualisiert wurden.
Analysten nutzen schon zu dieser Zeit Computer, um die Genauigkeit ihrer Prognosen zu verbessern. Mithilfe spezieller Software konnten Renditesimulationen durchgeführt und gegenüber einem passiven Anleihenindex bewertet werden. Zudem wurden Optimierungen für verschiedene Zinsannahmen erstellt, denen das Verhalten einzelner Marktbereiche zugrunde lag.
Das Ergebnis waren nach Attraktivität geordnete Listen der Schuldtitel. Im nächsten Schritt wurden Zielportfolios definiert, die bestimmten Laufzeiten, Kreditrisiken und Renditen entsprachen und auf individuelle Anlageziele und Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten werden konnten.
In der damaligen Zeit hatte der strukturierte, disziplinierte, computergestützte Ansatz sicherlich Seltenheitswert. Gleichzeitig spielte aber weiterhin auch die Einschätzung des jeweiligen Portfoliomanagers eine entscheidende Rolle. Genau darin lag auch der eigentliche Wettbewerbsvorteil dieser Methode. Denn das Verständnis für die Anlageziele und die Risikotoleranz der Kunden ist und bleibt die Grundlage des Portfoliomanagements.
Von der Randnotiz zu 3,2 Milliarden US-Dollar
Eine besondere Geschichte ist die von dem bereits erwähnten George Collins. Er war 1971 einer von nur zwei Mitarbeitern der Fixed-Income-Abteilung im Jahr 1971. Der ehemalige Weltklasse-Schwimmer und Ex-Militärangehörige machte anfangs mit seiner Abteilung im Vergleich zur dominierenden Aktienseite keine fünf Prozent des verwalteten Vermögens bei T. Rowe Price aus. Collins scherzte, dass die schwierigste Entscheidung an manchen Tagen darin bestand, ob er nach dem Mittagessen noch zwei oder drei Runden Basketball spielen konnte. Er war jedoch maßgeblich am Wachstum des Fixed-Income-Geschäfts beteiligt.

Der erste Durchbruch gelang 1972, als man Northwestern Bell als Kunde gewann. Es war ein für damalige Verhältnisse riesiger 25-Millionen-US-Dollar-Deal. 1973 startete der erste Anleihefonds und man gewann einen Kunden im Nahen Osten. Zu dieser Zeit verwalteten mittlerweile bereits zehn Mitarbeiter mittel- und langfristige Anleihen sowie Geldmarktobligationen im Gesamtwert von mehr als 1,5 Mrd. US-Dollar.
Die Nachfrage nach dem Fixed Income-Angebot übertraf selbst die Erwartungen von Collins. 1976 lancierte das Team einen High-Yield-Geldmarktfonds, der die Renditen seiner Wettbewerber übertraf und auch angesichts steigender Inflationsdynamik ein Verkaufsschlager wurde. Bis 1982 sollte das allein in diesem Fonds verwaltete Vermögen auf für damalige Zeiten extrem hohe 3,2 Milliarden US-Dollar steigen.

Anders als Wettbewerber ließ sich Collins nicht von den hohen Zinsen (1979 waren es zehn bis zwölf Prozent) dazu verleiten, im großen Stil auf langlaufende Anleihen zu setzen. Als die Zinsen kurzzeitig auf 20 Prozent anstiegen, wurden Manager, die sich zu früh zu stark engagiert hatten in diesem Markt gegrillt. Einen Vorteil, den Collins wiederholt ausnutze, war die genaue Beobachtung der Notenbank. Das „Fed-Watching“ gehörte damals noch nicht zum Standard.
Ausblick auf Teil 2
Ende der 1970er Jahre wuchsen die Anleihemärkte auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Zinsen waren einfach zu hoch, um ignoriert zu werden. Die Zentralbanken hatten erkannt, dass höhere Zinsen zur Bekämpfung der Inflation erforderlich waren.
Im August 1979 wurde schließlich der legendäre Paul Volcker zum Chef der US-Notenbank ernannt. Er setzte auf eine extrem restriktive Geldpolitik, um der Inflation der Garaus zu machen. Und das mit Erfolg, wenn auch zu einem hohen Preis. Lesen Sie im zweiten Teil dieser Serie, welche Folgen seine Geldpolitik hatte und wie sich das Fixed-Income-Geschäft daraufhin in den 1980er Jahren entwickelte.
Über den Autor:
Emily Davidson ist Brand Historian und Corporate Archivist bei dem US-amerikanischen Finanzdienstleistungsunternehmen T. Rowe Price. Sie beschäftigt sich mit Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte.
