Das Finanzpaket von mehr als 1.200 Milliarden Euro stellt einen gewaltigen Fiskalimpuls dar. Wir analysieren, ob der auf Pump finanzierte Anstieg der Nachfrage auf eine Volkswirtschaft mit viel oder wenig freien Kapazitäten trifft. Am Ende dürfte ein beträchtlicher Teil des Pakets in höheren Preisen verpuffen.

Ein gewaltiger Fiskalimpuls
Das Finanzpaket sieht für die kommenden zwölf Jahre zusätzliche Ausgaben für Infrastruktur in Höhe von 500 Mrd. Euro vor, wobei jeweils 100 Milliarden an den Klima- und Transformationsfonds und an die Bundesländer fließen.
Außerdem dürften die Änderungen an der Schuldenbremse dazu führen, dass die Verteidigungsausgaben von derzeit 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts mittelfristig auf 3,5 Prozent steigen, was in Preisen von heute über zwölf Jahre zu Mehrausgaben von insgesamt 750 Milliarden Euro führen würde.
Alles in allem geht es – abhängig von der Inflation – um deutlich mehr als 1.200 Milliarden Euro, was pro Jahr rund 2 1/4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Es handelt sich also um einen gewaltigen Fiskalimpuls.
Niedrig ausgelastete Kapazitäten, ...
Ob die massiv expansive Fiskalpolitik in den kommenden Jahren die Konjunktur anschiebt oder in höheren Preisen verpufft, hängt davon ab, ob der auf Pump finanzierte Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage auf eine Volkswirtschaft mit viel oder wenig freien Kapazitäten trifft.
Auf den ersten Blick sind die Kapazitäten des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland verglichen mit den zurückliegenden gut 30 Jahren weit unterdurchschnittlich ausgelastet, wenn man sich auf die entsprechenden Umfragen des Ifo-Instituts stützt (Chart 1).

... aber nach wie vor ein Mangel an Fachkräften, ...
Allerdings leiden die Unternehmen Umfragen zufolge noch immer unter einem Mangel an Fachkräften. Zwar ist der Anteil der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe deutlich gesunken, die sich in ihrer Geschäftstätigkeit durch einen Mangel an Fachkräften beeinträchtigt sehen.
Aber der Anteil liegt noch immer deutlich über dem langjährigen Durchschnitt (Chart 2). Das erklärt auch, warum viele unserer mittelständischen Kunden aus dem verarbeitenden Gewerbe in Gesprächen noch immer über einen Mangel an Fachkräften klagen.

Im Tiefbau, der in Zukunft viele zusätzliche Staatsaufträge erhalten dürfte, haben in den vergangenen zwölf Monaten sogar fast ein Drittel der Unternehmen über einen Mangel an Arbeitskräften geklagt (Chart 3). Das sind fast so viele wie beim Hochpunkt im Jahr 2022 und deutlich mehr als über den größten Teil der vergangenen 30 Jahr.

... der sich in den kommenden Jahren verschärfen wird
Hinzu kommt, dass sich die erwähnten Umfragen auf das Hier und Jetzt beziehen. Aber die Nachfrage nach mehr Rüstung und Infrastruktur wird nicht bereits in diesem Jahr zulegen, sondern erst vom nächsten Jahr an:
- Im Bereich der Rüstung dauert es erfahrungsgemäß lange, bis Rüstungsgüter bestellt, produziert und ausgeliefert werden. So hat der 2022 geschaffene Sonderhaushalt ("Sondervermögen") für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro bisher nur 23,6 Milliarden Euro an Schulden aufgenommen, also maximal diesen Betrag in Form von An- und Abschlagszahlungen an die Rüstungsfirmen ausgezahlt (Chart 4).
- Im Bereich der Infrastruktur im engeren Sinne (Brücken, Straßen, Schienen, Gebäude) dauert es häufig mehrere Jahre, bis Baurecht geschaffen ist, ohne dass wie bei LNG-Terminals ein Beschleunigungsgesetz in Sicht ist.
Wenn die Nachfrage erst vom kommenden Jahr an zulegt, dürfte sich der Fachkräftemangel aus zwei Gründen verschärft haben:
- Dass zuletzt nicht mehr ganz so viele Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe über Fachkräftemangel klagen, liegt auch daran, dass die zurückliegenden massiven Zinserhöhungen der EZB und anderer westlicher Zentralbanken die Konjunktur gedämpft haben. Diese zyklische Belastung dürfte in den kommenden Quartalen wegen der Leitzinssenkungen nachlassen, so dass auch deshalb die Nachfrage nach Fachkräften wieder steigen dürfte.
- Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter wird in Deutschland nach einer Projektion des Statistischen Bundesamtes bis 2030 trotz Zuwanderung jährlich um mehr als 300 Tausend oder gut 0,5 Prozent sinken.

Neustart in der Wirtschaftspolitik?
Alles in allem wird die durch Schulden angefachte Nachfrage vom kommenden Jahr an auf eine Volkswirtschaft mit Fachkräftemangel treffen. Dagegen mag man einwenden, dass das Finanzpaket und die angestrebten wirtschaftspolitischen Entscheidungen die Standortqualität verbessern und damit das Wachstum der Produktivität erhöhen werden, wodurch Arbeit weniger knapp würde. Aber wir bezweifeln, dass es dazu kommen wird:
- Infrastruktur: Es ist gut, dass in Zukunft viel Geld für Infrastruktur bereitgestellt wird, auch wenn es nicht ausschließlich in Straßen, Brücken, Schienen und Gebäude fließen wird. Aber leider findet sich im Sondierungspapier von Union und SPD kein Wort zu einem Gesetz, um die quälend langsamen Genehmigungsverfahren für Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen und die unterbesetzten Bauämter aufzustocken. Die Situation wird sich wohl nur langsam verbessern.
- Unternehmenssteuern: Im Sondierungspapier ist nur die Rede von einem "Einstieg" in eine Unternehmenssteuerreform in der kommenden Legislaturperiode. Offenbar genießt dieses Projekt keine hohe Priorität, obwohl es für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wichtig ist.
- Energiepolitik: Laut dem Sondierungspapier sollen in Zukunft mehr energieintensive Unternehmen vom subventionierten Industriestrompreis profitieren. Für alle Unternehmen sollen die Stromsteuer und die Netzentgelte gesenkt werden. Das ist für sich genommen positiv, wobei Energie in Deutschland teuer bleiben wird.
- Lohnnebenkosten: Die Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen dürften in den kommenden Jahren weiter deutlich steigen, weil die künftigen Koalitionspartner das Renteneintrittsalter trotz einer steigenden Lebenserwartung nicht erhöhen möchten und eine Senkung des Rentenniveaus ausschließen. Außerdem wird die Frühverrentung weiter subventioniert.
- Bürokratie: Hier finden sich im Sondierungspapier nur Absichtserklärungen, aber wenig Konkretes.
Alles in allem dürfte es in den kommenden Jahren zu einer gewissen Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur kommen. Aber wir erwarten keinen wirtschaftspolitischen Neustart in der Breite. Das Produktivitätswachstum bleibt niedrig, Fachkräfte bleiben tendenziell knapp.
Fazit: Die Konjunktur wird nur moderat profitieren
Die kreditfinanziert massiv gestiegene Nachfrage nach Rüstungsgütern und Infrastruktur wird vom kommenden Jahr an auf eine Volkswirtschaft mit Fachkräftemangel treffen. Ein beträchtlicher Teil der Mehrausgaben von jährlich gut 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird also in höheren Preisen verpuffen.
Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt dürfte deutlich weniger steigen, als es die Mehrausgaben vermuten lassen. So hatten wir unsere deutsche Wachstumsprognose für das kommende Jahr vor zwei Wochen nur moderat von 1,0 Prozent auf 1,5 Prozent angehoben.
Was machen die Märkte daraus?
Anleger und Markbeobachter vor allem aus dem angelsächsischen Bereich haben teilweise enthusiastisch auf die faktische Aushebelung der Schuldenbremse reagiert. Deutschland habe sich von fiskalischen Fesseln befreit.
Jetzt könnten nicht nur einzelne Branchen wie Rüstung oder Tiefbau durchstarten (eine berechtigte Annahme), sondern die gesamte deutsche Wirtschaft, was wir aus den oben genannten Gründen nicht erwarten. Aber es kann durchaus mehr als ein Jahr dauern, bis sich der Enthusiasmus der Anleger legt.
An den Rentenmärkten war die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen in der Woche, als das Finanzpaket angekündigt worden war, so stark gestiegen wie noch nie seit Anfang der 90er Jahre. Zum einen haben die Rentenanleger sehr positive Erwartungen, was die konjunkturelle Wirkung des Fiskalpakets anbelangt, weshalb sie nun etwas weniger Zinssenkungen durch die EZB erwarten.
Zum anderen dürfte das Verhältnis der Staatsschulden zum nominalen Bruttoinlandsprodukt in den kommenden zwölf Jahren von zuletzt 63 Prozent in Richtung 90 Prozent steigen, so dass die Anleger höhere Risikoprämien verlangen. Aber nach dem jüngsten Ausverkauf dürften sich die Rentenmärkte in den kommenden Monaten erst einmal entspannen und die Renditen wieder etwas fallen.
Schließlich dürfte der Bund für dieses Jahr noch nicht viel mehr Anleihen emittieren. Aber auf die längere Sicht (12 Monate und mehr) sehen wir durchaus höhere Anleiherenditen. Schließlich dürften parteipolitische Gegensätze auch in anderen Ländern des Euroraums tendenziell durch mehr Schulden übertüncht werden. Außerdem wird sich die Inflation im Euroraum am Ende wohl über 2 Prozent einpendeln.
Über den Autor:
Jörg Krämer ist Chefvolkswirt der Commerzbank und leitet das Research des Finanzinstituts.