Finance-Professor im Gespräch „Alpha ist immer ein Ausdruck von Marktunvollkommenheit”

Christian Rieck (l.) ist Professor für Finance an der University of Applied Sciences in Frankfurt. Alexander Raviol ist Partner und Leiter Portfoliomanagement Alternative Solutions bei Lupus Alpha.

Christian Rieck (l.) ist Professor für Finance an der University of Applied Sciences in Frankfurt. Alexander Raviol ist Partner und Leiter Portfoliomanagement Alternative Solutions bei Lupus Alpha. Foto: Markus Kirchgessner / Lupus alpha

Herr Rieck, der Begriff Nullsummenspiel wird heute in der Finanzpresse mitunter disqualifizierend genutzt. Deshalb gleich zu Anfang die klärende Frage: Wie definiert eigentlich die Wissenschaft Nullsummenspiel?

Prof. Dr. Christian Rieck: Ein Nullsummenspiel ist ein Spiel, bei dem die Auszahlungssumme an alle Spieler insgesamt null ist. Was die einen gewinnen, müssen andere also verlieren. Die Spieltheorie hat ihre Wurzeln in Gesellschaftsspielen. Um spannend zu sein, sind viele von ihnen als Nullsummenspiele konstruiert. Diese Spiele sind keine Glücksspiele, sondern in der Spieltheorie geht es immer um strategische Spiele wie etwa Schach.

Um das gezielt auf den Kapitalmarkt zu übertragen – Von welchen Renditen wollen wir untersuchen, ob sie Ergebnisse von Nullsummenspielen sind?

Alexander Raviol: Wir unterscheiden Renditen nach den Renditetreibern, die ihnen zugrunde liegen. Erstens die klassische Risikoprämie. Man erhält eine Prämie als Entschädigung für die Übernahme eines Risikos, etwa bei Aktien. Zweitens: zeitlich befristete Preiseffekte ohne Übertragung eines ökonomischen Risikos. Ein Beispiel ist der Momentum-Effekt. Heute hat sich dafür der Begriff Anomalien eingebürgert. Alpha schließlich ist der Mehrertrag durch Informationsvorteile. Alpha ist am attraktivsten, da es langfristig existiert und auch unkorreliert ist. Allerdings erfordert es Aufwand, Alpha zu erwirtschaften.

Spontan würde man sagen, dass bei der Risikoprämie kein Nullsummenspiel vorliegt. Ein klarer Fall?

Rieck: Ich halte es für wichtig, in der Diskussion zwei verschiedene Ebenen zu unterscheiden: zum einen die reale Ebene, auf der das echte Leben stattfindet, auf der die Unternehmen handeln, Werte schaffen und Gewinne erwirtschaften, zum zweiten die finanzielle Ebene, auf der Wertpapiere gehandelt werden. Sobald das, was auf der finanziellen Ebene stattfindet, auch Auswirkungen auf die reale Ebene hat, kann sich durch den Wertpapierhandel die Auszahlungssumme insgesamt vergrößern. Hier sind Aktien-Investments das typische Beispiel. Bleibt die Interaktion auf die finanzielle Ebene beschränkt, gibt es nicht mehr zu verteilen. Wir haben dann eigentlich immer die Ausgangslage für ein Nullsummenspiel.

Raviol: Beim Erzielen von Renditen aus einer Risikoprämie handelt es sich also nicht um ein Nullsummenspiel – sofern ein Produktivitätszuwachs entsteht, an dem ich partizipiere. Der sprichwörtliche Kuchen, der verteilt werden kann, wird größer.

Das ist also beispielsweise nicht beim Einsatz von Derivaten der Fall – eine Partei gewinnt das, was die Gegenpartei verliert?

Rieck: So einfach ist das nicht. Das liegt auch daran, dass sich der Auszahlungsbegriff in der Spieltheorie von dem unterscheidet, was sich in der Diskussion in der Finanzwelt etabliert hat. Der Spieltheoretiker betrachtet Nutzenwerte als Auszahlungen. Und die können weit mehr Faktoren abbilden als das Ergebnis eines Finanzgeschäftes in Euro und Cent. In den Nutzen einberechnet werden kann zum Beispiel, ob ein Akteur durch ein Geschäft auf der Finanzebene sein Risiko auf der realen Ebene verringert.

Wie kann man sich das vorstellen?

Rieck: Zum Beispiel können Derivate eine andere Risikostruktur erzeugen. Denken Sie daran, dass sich Unternehmen mit Futures gegenüber Preisrisiken für ihre Produkte absichern können. Jemand macht also auf der realen Ebene etwas, investiert in neue Produkte oder eine Aussaat, was er ohne die finanzielle Absicherung nicht gemacht hätte. Die eigentlich neutrale Welt der Derivate wird somit verlassen. Das genau erfassen die Nutzenauszahlungen, in die die rein finanziellen Auszahlungen transformiert werden.