FDP-Chef Lindner „Die Marktlücke für uns ist natürlich riesig“

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Als Sie die Aufgabe übernommen haben, die FDP in den Bundestag zurückzuführen, gab es noch keine identifizierbare AfD. Kann es sein, dass die AfD Ihre Rückkehr erschwert oder vielleicht sogar verhindert?

Nein, bei den letzten Wahlen haben Sie gesehen, dass die FDP als einzige Partei des demokratischen Zentrums dazugewonnen hat. In Berlin sind wir von 1,5 auf 6,5 Prozent geklettert.

Das ist angesichts der Ergebnisse der AfD auch nicht gerade viel.

Das können Sie minimal nennen. In meinen Augen ist das gut. Und mit Blick auf die AfD frage ich: Wie soll denn ein Liberaler AfD wählen können? Eine Partei, die sich wieder zu völkischem Denken bekennt. Das heißt: Man geht von der Illusion einer Blutsgemeinschaft aus, deren Interessen identisch sind, nur weil sie der gleichen Rasse angehören. Das ist falsch, denn das führt zu autoritären und gefährlichen Antworten. Mein liberaler Anspruch ist: Wir sind eine plurale Gesellschaft aus vielen Individuen und ganz individuellen Wünschen und Vorstellungen …

Aber die AfD erreicht bei den Landtagswahlen Ergebnisse, von denen die FDP nur träumen kann.

Warum vergleichen Sie uns mit der AfD? Bei ihnen schwingt die Frage mit: Gäbe es die AfD nicht, wären diese Wähler alle bei der FDP. Das ist katastrophal falsch. Ein schlimmer Irrtum. Denn die Wähler der AfD sind keine Liberalen. 25 Prozent der AfD-Wähler sagen ihre zweitliebste Partei sei die Linkspartei. Unsere Wähler und Unterstützer haben in der Sache die geringsten Überschneidungen mit der AfD. Das gilt auch umgekehrt. Von allen Parteien. Das ist ein Thema in der Reihenfolge absteigend von CDU, Linkspartei und SPD. Die AfD ist im Wählerwettbewerb kein Problem für die FDP.

Und wie steht es um die Chancen einer Regierungsbeteiligung und einer Durchsetzung liberaler Ideen? Zwei Koalitionen werden in diesen Tagen gehandelt. Entweder wir, Grün oder Schwarz-Grün. Wo wären Sie mit Ihrer FDP?

Ich sage Ihnen voraus: Es wird knapp werden, es könnte reichen für Rot-Rot-Grün, aber ganz knapp.

Und Schwarz-Grün?

Halte ich für unwahrscheinlich.

Und Schwarz-Grün-Gelb?

Mir fehlt die Fantasie, wie Frau Merkel eine Brücke bauen könnte, die von der CSU, den Grünen und der FDP zugleich betreten werden kann. Mein Tipp lautet daher: Es geht leider weiter mit der Großen Koalition. Und dann muss es auch eine starke marktwirtschaftliche, rechtstaatliche Kraft im Bundestag geben, die diese Koalition treibt, anders als es jetzt geschieht. Wir müssen nicht um jeden Preis regieren.

Gibt es seit der Grenzöffnung im Herbst 2015 („Wir schaffen das!“) so etwas wie einen Merkel-Malus?

Es gibt eine völlig veränderte Wahrnehmung von Frau Merkel, die fundamental ist. Den letzten Wahlkampf hat Frau Merkel gewonnen mit dem Satz: „Sie kennen mich.“ Frau Merkel war immer bekannt für Rationalität, kluges Management und nicht unbedingt für die große empathische Vision. Und dann kommt die Entscheidung, dass Deutschland eine Politik der grenzenlosen Aufnahmebereitschaft fährt. Bis heute, auch wenn es eine Korrektur gegeben hat, fehlt mir die Konsequenz in Rhetorik und gesetzgeberischem Umsteuern, in Form eines Einwanderungsgesetzes, eines europäischen Grenzschutzes, der nach meiner Meinung deutlich verstärkt werden müsste, eines Abkommens mit den Staaten Nordafrikas, dass die Entwicklungshilfe gekürzt wird, wenn illegal Eingewanderte nicht zurückgenommen werden. Eine solche Konsequenz fehlt. Ich kenne Frau Merkel eben nicht mehr so wie vorher. Und das ist schon, wie Sie sagen, ein Merkel-Malus …

Ist die Kanzlerin führungsschwach geworden?

Sie führt ja, nur – glaube ich – in eine falsche Richtung. Von Führung erwarte ich doch, dass nicht nur edle Motive gesehen werden, sondern auch die praktischen sozialen Folgen für die aufnehmende Gesellschaft, die das akzeptieren muss, für eine Ökonomie, die das finanziell leisten muss und die auch Beschäftigungschancen bringen muss. Ich muss sehen, welche Auswirkungen hat eine Entscheidung auf die bestehenden Wanderungsströme. Bremse, stoppe oder entfessle ich sie. Vor diesem verantwortungsethischen Hintergrund waren die Entscheidungen von Frau Merkel falsch. Sie hat partiell korrigiert. Was unverändert fehlt, ist die Konsequenz, diese Korrekturen bis zum Letzten durchzusetzen.

Der Kanzlerin wird auch in der Energiepolitik ein allzu jäher Wechsel und ein armseliges Management vorgeworfen.

Beim Atomausstieg muss man wahrnehmen, dass es in der Bevölkerung einen großen Konsens dafür gegeben hat. Obgleich ich auch bei der Kernenergie Kritik am Management habe, denn im Zusammenwirken mit Blick auf die Kernenergie und die Klimaschutzziele unternehmen wir zwei Alleingänge in Deutschland auf einmal, nämlich Verzicht auf den sauberen, sicheren Strom aus den Kernkraftwerken und zugleich den Verzicht auf die Kohle. Und das zusammengenommen ist eine echte Belastung für den Industriestandort Deutschland. Man kann sehen, wie hierzulande die chemische Industrie an Boden verliert. Das ist nichts anderes als ein Warnsignal. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sinkt.