1/N-Multifaktor-Ansatz So lassen sich Transaktionskosten und Faktor-Timing besser abwägen

Von links nach rechts

Von links nach rechts: Daniel Haesen, Lejda Bargjo und Harald Lohre von Robeco erklären anhand einer Simulation, wie sich statische Faktor-Quantmodelle mit einer dynamischen Ergänzung verbessern lassen. Foto: Robeco

Das Investieren in Aktienfaktoren hat in den letzten Jahren stark an Popularität gewonnen, um so die mit bestimmten Firmenmerkmalen verbundenen Faktorprämien zu vereinnahmen. Die Renditen der verschiedenen Faktorportfolios weisen jedoch bestimmte Zyklen auf, was dazu verleiten kann, die Faktorallokation dynamisch anzupassen. Im Lichte der Vorzüge, aber auch der Fallstricke des Faktor-Timings, ist ein dynamischer 1/N-Multifaktor-Ansatz ein umsichtiger Weg zu einem effektiven Aktienfaktor-Timing: Er verknüpft eine angemessene Faktor-Diversifikation mit dem bekannten Faktor-Momentum-Effekt und weist gleichzeitig einen geringen Portfolioumschlag auf. 

Die Vorzüge und Fallstricke des Faktor-Timings

Die Investition in Aktienfaktoren erfolgt nach bestimmten Firmenmerkmalen wie Value, Qualität, Low Risk oder Momentum. Es gibt umfangreiche Literatur, die die Relevanz dieser Faktoren in verschiedenen Regionen und über lange Zeiträume hinweg belegt.1 Aufgrund ihrer geringen gegenseitigen Korrelationen eignen sich Faktoren als natürliche Bausteine für die Konstruktion von Aktienportfolios. Während es naheliegend erscheint, strategisch eine diversifizierte Faktorallokation zu verfolgen, stellt sich zugleich die Frage, ob auch taktische Abweichungen sinnvoll sein können. Tatsächlich können Einzelfaktorstrategien über eine gewisse Zeit hinweg eine unterdurchschnittliche Performance aufweisen—siehe etwa die Performance des Value-Faktors in den 2010er Jahren—, was Anleger zum taktischen Faktor-Timing verleiten kann, um solche Faktorzyklen besser zu meistern.

Einerseits verspricht das richtige Timing der Faktoren eine bessere risikoadjustierte Rendite. Andererseits kann das Faktor-Timing den Portfolioumschlag und damit die Transaktionskosten erhöhen, was sich negativ auf die Gesamtrendite auswirkt. Letztendlich geht es darum, diesen Zielkonflikt zwischen der Genauigkeit des Faktor-Timing-Signals und den damit verbundenen Kosten zu steuern. Dabei gibt es zum einen explizite Transaktionskosten, die durch die Umschichtung des Aktienportfolios entstehen, um die angestrebte dynamische Faktorallokation widerzuspiegeln. Zum anderen gibt es aber auch implizite Kosten, die sich aus dem teilweisen Verzicht auf eine optimale Faktordiversifikation ergeben, welche einer strategischen, risikobalancierten Faktorallokation innewohnt. 

 

In früheren Arbeiten haben wir gezeigt, dass man eine sehr hohe Prognosegenauigkeit bei den Faktorrenditen benötigt, um eine einfache 1/N-Faktorallokation nach Transaktionskosten zu übertreffen.2 Dichtl et al. (2019) liefern Hinweise für die Vorhersagbarkeit von Faktorrenditen auf Basis von querschnittsbezogenen Faktormerkmalen wie Faktor-Momentum, -Crowding oder -Bewertung; die Autoren fanden zudem eine gewisse Evidenz, fundamentale Zeitreihenprognosen zu verwenden. Sie geben jedoch zu bedenken, dass eine solche Vorhersagbarkeit von Faktorrenditen unter Berücksichtigung realistischer Transaktionskosten in der tatsächlichen Portfolioimplementierung nur schwer zu realisieren ist.3 In der Tat verspricht die Erfassung des kurzfristigen Trends der Faktorrenditen über ein Faktormomentumsignal zusätzliches Alpha, obwohl dieses nach Transaktionskosten deutlich reduziert wird. 

Der Spielraum des Faktor-Timing in der Praxis

In unserer aktuellen Arbeit untersuchen wir den praktischen Nutzen von Faktor-Diversifikation und -Timing in einem globalen Aktienuniversum. Dabei untersuchen wir das Zusammenspiel der bewährten Faktoren Value, Momentum, Qualität und Low Risk, die jeweils in einem Einzelfaktorportfolio implementiert sind, das darauf abzielt, das jeweilige Faktorexposure zu maximieren und gleichzeitig die Portfoliorisiken und Transaktionskosten zu begrenzen. In diesem 4-Faktoruniversum gibt es tatsächlich reichlich Spielraum für Faktor-Timing. So zeigen wir, dass ein „hellsehender“ Faktorinvestor mit perfekter Prognose hinsichtlich der Faktoren-Performance im nächsten Monat eine klar verbesserte Performance vieler Portfoliomerkmale erreichen kann, einschließlich eines reduzierten maximalen Drawdowns. 

Nur: In der Realität verfügt man allerdings über keine perfekte Prognose, sodass es schwieriger wird. Als realistische Timing-Signale analysieren wir das kurzfristige Faktormomentum, die Faktorbewertung und die Faktor-Saisonalität. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Faktormomentum tatsächlich ein aussagekräftiges Signal ist. Es überrascht nicht, dass Faktormomentum mit einem beträchtlichen Umschlag von 88 Prozent einhergeht, der wegen der Transaktionskosten einen Teil dieses Performancevorteils wieder aufzehrt. Auch das Bewertungs-Timing besitzt eine Vorhersagekraft für künftige Faktorrenditen; dieser relative Vorteil kann jedoch in der Praxis nicht genossen werden, da der Umschlag der Faktorbewertungsstrategie von 97 Prozent alle Bruttovorteile wieder zunichtemacht. Die Evidenz für die Faktorsaisonalität ist sogar noch schwächer.

Dynamic 1/N: Die umsichtige Umsetzung des Faktor-Timings

Der Schlüssel zum Erfolg beim Investieren in Aktienfaktoren ist eine diversifizierte Faktorallokation. Während die Möglichkeiten des Faktor-Timings verlockend sind, ist die tatsächliche Praxis der Faktorprognosen – wie bereits erklärt – verrauscht und mit einem kostspieligen Portfolioumschlag verbunden; dieser kann die grundsätzliche Güte eines gegebenen Faktor-Timing-Signals vollständig aushöhlen, wie im Falle der Faktorbewertung oder der Faktorsaisonalität. Daher empfiehlt sich eine umsichtige dynamische Faktorallokation, um (1) die Faktordiversifikation aus der Gleichgewichtung (1/N) zu nutzen, (2) von den Vorteilen des Faktormomentums zu profitieren und (3) die potenziellen Nachteile einer Allokation mit hohem Umschlag zu vermeiden. Eine dynamische 1/N-Faktorallokationsstrategie bringt diese drei Überlegungen miteinander in Einklang, kurz: Dynamic 1/N.

Die Dynamic 1/N-Allokation beruht auf einer diversifizierten 1/N-Faktorallokation, wird aber nur dann auf gleiche Gewichte zurückgeführt, wenn sie vordefinierte Allokationsbandbreiten überschreitet. Diese Allokationsregel hat zwei wichtige Implikationen. Erstens verringert sie den Umschlag im Vergleich zu einer festen 1/N-Allokation, die in kürzeren Abständen neu gewichtet wird, und spart somit Transaktionskosten. Zweitens: Da bei einer häufig umgeschichteten 1/N-Allokation regelmäßig Gewinnerfaktoren verkauft und Verliererfaktoren gekauft werden, wirkt sie dem eigentlichen Faktormomentumeffekt entgegen. Daher empfiehlt sich, die Faktoren innerhalb sinnvoll kalibrierter Allokationsbandbreiten laufen zu lassen, um so das Faktormomentum zu erfassen, ohne die Faktordiversifikation unnötig zu beeinträchtigen und den Allokationsumschlag unangemessen zu erhöhen.

 

Abbildung 1 zeigt  die Funktionsweise der dynamischen 1/N-Allokationsstrategie anhand der Gewichtung des Value-Faktorportfolios im Zeitverlauf für eine beispielhafte Aktienfaktoranlage. Im Dezember 2017 wurde das Portfolio mit einer gleichgewichtigen Allokation in allen vier Faktoren initialisiert, so dass die Anfangsgewichtung des Value-Portfolios 25% betrug. In Anbetracht der unterdurchschnittlichen Performance des Value-Faktors während des Quant-Winters in den Jahren 2018 bis 2020 sank folglich sein Allokationsgewicht. Hätte man in regelmäßigen Abständen eine Neugewichtung vorgenommen, hätte man stärker unter diesem Faktor gelitten. Erst im März 2020, als das Gewicht des Value-Faktors die Untergrenze von 22,5 Prozent überschritt, erfolgte ein Rebalancing. Dieses umfasst nicht den ganzen, sondern nur die Hälfte des Weges zurück auf 25 Prozent, was den Faktorumschlag und die Transaktionskosten weiter reduziert. Auf diese Weise konnte das Gewicht des Value-Faktors während der Werterholung stetig ansteigen, ohne dass eine zwischenzeitliche Anpassung der Faktorallokation erforderlich war.

Abbildung 1: Dynamisches 1/N-Rebalancing - Gewicht des Value-Faktor-Portfolios

Entwicklung der Dollar-Gewichtung des Value-Faktorgewichts in einem Multi-Faktor-Portfolio nach der dynamischen 1/N-Rebalancing-Regel. Die Anfangsgewichtung liegt bei 25 Prozent. Die Neugewichtung wird ausgelöst, wenn die Gewichtung 27,5 Prozent überschreitet oder 22,5 Prozent unterschreitet. Wenn das Rebalancing ausgelöst wird, wird das Faktorgewicht um die halbe Strecke Richtung 25 Prozent zurückgesetzt. © Robeco

Die aufgezeigte Entwicklung des Value-Faktorgewichts legt nahe, dass eine sinnvoll kalibrierte Dynamic 1/N-Strategie am Faktormomentum partizipieren kann, während sie gegenüber einer naiven 1/N-Faktorallokation Umschlag und Transaktionskosten spart. Um zu sehen, wie sich dieses opportunistische Rebalancing in der Gesamtfaktorallokation über den vollen Zeitraum der Stichprobe auswirkt, vergleichen wir die Performance der beschriebenen Faktorallokationsstrategien anhand von 2,5-prozentigen Allokationsbändern in Tabelle 1. Bei perfekter Prognose könnte man eine Netto-Outperformance von 58 Basispunkten erreichen. Während keines der drei Faktor-Timing-Signale dieses Potenzial bei monatlichem Rebalancing wirklich ausschöpfen kann, ist die dynamische 1/N-Strategie in der Lage, eine Netto-Outperformance von 20 Basispunkten zu erzielen und damit ein Drittel der vorhandenen Bandbreite zu nutzen.

In der letzten Spalte von Tabelle 1 ist zu sehen, dass die dynamische 1/N-Strategie die statische Version vor Transaktionskosten um 18 Basispunkte und nach Transaktionskosten um 20 Basispunkte übertrifft, was auf eine Reduzierung des Strategieumschlags entlang der Faktoren von 10 Prozent auf nur 2 Prozent zurückzuführen ist. In einer weiteren Analyse regressieren wir die aktive Rendite von Dynamic 1/N relativ zur statischen 1/N-Benchmark auf die Rendite einer reinen Long-Short-Faktormomentumstrategie. Hierbei zeigt sich, dass ein beträchtlicher Teil der Schwankungen der aktiven Rendite auf den Faktormomentumeffekt zurückzuführen ist.

Tabelle 1: Dynamic 1/N versus Faktordiversifikations- und Timing-Strategien bei +/- 2,5% Allokationsbandbreite

Die dargestellten Zahlen basieren auf offiziellen Simulationen (die bis September 2015 aus Simulationen und danach aus Live-Performances bestehen) für ein globales Aktienuniversum (d.h. alle in Industrie- und Schwellenländern gehandelten Aktien, die unsere Liquiditätsfilter passieren). Die Renditen werden relativ zum MSCI All Country World Index gemessen und umfassen den Zeitraum von Januar 1988 bis Dezember 2022. Die simulierten Renditen verstehen sich abzüglich der geschätzten Transaktionskosten. Perfekte Prognose ist die Strategie, die jeden Monat die (rückblickend) besten Faktor-Timing-Positionen umsetzt. © Robeco, Refinitiv

Das Fazit

Faktor-Timing ist der heilige Gral bei der Investition in Aktienfaktoren. Da Einzelfaktoren bisweilen eine Underperformance aufweisen, ist die Versuchung groß, die eigene Faktorallokation dynamisch anzupassen. So könnte ein hellseherischer Faktorinvestor im Vergleich zu einer statischen Faktorallokation eine beträchtliche Outperformance erzielen. In der Tat zeigen auch realistische Bewertungs- und Saisonalitätssignale Prognosekraft für Faktorrenditen, doch sind diese Faktor-Timing-Gewinne mehr Schein als Sein, da beide Timing-Strategien nach Berücksichtigung der Transaktionskosten hinter der Benchmark zurückbleiben. Umgekehrt kann Faktormomentum eine aktive Rendite vor Kosten hinzufügen, von der fast die Hälfte auch nach Transaktionskosten abgeschöpft werden kann.

Doch Faktormomentum führt zu einem hohen Strategieumschlag, wodurch die damit verbundenen Transaktionskosten (die mit Sicherheit anfallen) gegen das erwartete Faktormomentum-Alpha (das verrauscht ist) abwägt werden muss. Wir empfehlen daher eine umsichtige Faktor-Timing-Strategie, die eine angemessene Faktordiversifikation anstrebt, von kurzfristigen Faktormomentumeffekten profitiert und gleichzeitig den Umschlag und die Transaktionskosten reduziert. Diese Dynamic 1/N-Strategie fügt einer Multi-Faktor-Strategie attraktives Alpha hinzu und erweist sich als ein besonnener Weg zu effektivem Faktor-Timing.


Über die Gastautoren:

Harald Lohre führt seit März 2022 das Team des quantitativen Aktienresearch des niederländischen Asset Managers Robeco. Der promovierte Finanzwissenschaftler wechselte von Invesco Quantitative Strategies, wo er die Position Direktor für Research bekleidete und zudem Mitglied des globalen Management-Teams war. Zuvor arbeitete er als Leiter Quantitatives Research und als Portfoliomanager für Deka Investment und davor promotionsbegleitend als Analyst im Quantitative-Strategies-Team von Union Investment.

Daniel Haesen kam 2003 als quantitativer Researcher zu Robeco, wo er sich insbesondere mit quantitativem Selektions-Research befasste und an Multi-Faktor-Selektionsmodellen für Aktien und Unternehmensanleihen arbeitete. Er war auch für das quantitative Nachhaltigkeits- und quantitative Allokationsresearch verantwortlich. Daniel Haesen konzentriert sich auf die Verwaltung von Factor Investing-Portfolios wie Value-, Momentum-, Quality- und Multi-Factor-Portfolios und ist spezialisiert auf Faktorforschung und Portfoliomanagement. Er hat in mehreren akademischen Fachzeitschriften veröffentlicht.

Lejda Bargjo bekleidet seit 2020 die Position als Quant-Client-Portfoliomanager bei Robeco. Zuvor war sie von 2017 bis 2019 im quantitativen Portfoliomanagement beim Bankhaus Lampe tätig, davor in unterschiedlichen Funktionen bei Factset. Als Fixed-Income-Spezialistin arbeitete sie von 2016 bis 2017, nachdem sie zuvor seit 2012 als Beraterin und Senior-Beraterin Erfahrungen gesammelt hatte. Lejda begann ihre Karriere 2011 als Analysten-Assistentin im Risikomanagement bei Citi.


Ergänzende Literatur:
[1] Siehe Bartram, Lohre, Pope und Ranganathan (2021), Navigating the factor zoo around the world: An institutional investor's perspective, Journal of Business Economics, 91, 655-703.
[2] Siehe Blitz, Lansdorp, Roscovan und Vidojevic (2018), The promises and challenges of factor timing, Robeco Client Note.
[3] Siehe Dichtl, Drobetz, Lohre und Rother (2019), Optimal timing and tilting of equity factors, Financial Analysts Journal 75(4), 84-102.

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